Seeplatz 3 - 83257 Gstadt am Chiemsee
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Wenn jemand das Privileg genießt, dort arbeiten und leben zu dürfen, wo andere Urlaub machen, hat er sozusagen Schwein gehabt. Einer, dem dieses Glück beschieden ist, ist André Siegmann. Kennengelernt habe ich den Koch vor einigen Jahren als er in der Küche des Dorfhotels Sylt das Zepter schwang. Seit 2015 hat es ihn an das andere Ende der Republik an den malerischen Chiemsee verschlagen. Sein neues Reich ist die Küche des Wirtshaus Gstadt am Chiemsee.
Da wollte ich schon immer mal hin. Also nichts wie rein ins Auto und von Mecklenburg aus ab gen Süden. Bereits die Fahrt hinter München in Richtung Rosenheim lässt ahnen, in welcher Idylle Siegmann nun arbeitet. Und die Ankunft am Chiemsee hat mich schier sprachlos gemacht. Das ist ein einzigartiges Naturparadies mit dem direkt am See gelegenen Wirtshaus mittendrin. Dort begrüßt mich Siegmann auf der weitläufigen Terrasse des Hauses und wir haben ausreichend Zeit, uns ausführlich meinem Interview mit ihm zu widmen. Und ein gut gezapftes Bier erfrischt meinen von der langen Fahrt gezeichneten Gaumen.
Das Wirtshaus ist gastronomisch gesehen zweigeteilt. Zum einen lädt die große Wirtsstube mit einem separaten Hofbräu Platzl und einem Fischer Eck sowie der großzügigen Terrasse zum Verweilen und Genießen ein.
Diese Räume sind bayrisch-rustikal eingerichtet. Ein wenig fehlt mir hier noch gestalterische Pfiff und der Sinn für das liebevolle Detail. Die Terrasse ist zweckmäßig mit Gartenmöbeln bestückt. Genau richtig für den Aufenthalt im Freien.
Zum anderen gibt es noch die Künstler Stuben, sozusagen das Feinschmecker-Restaurant des Hauses. Das ist vom Ambiente her ein ganz anderes Kaliber. Ebenfalls bayrisch-rustikal eingerichtet, aber mit viel Geschmack eingerichtet.
Hier entsteht eine regelrecht intime Atmosphäre, die durch die anspruchsvolle Tischgestaltung noch unterstützt wird, ohne abgehoben zu wirken. "Des gfoit ma." würde ich als Bayer sagen.
Demzufolge ist auch die Küche des Hauses mehr oder weniger zweigeteilt. Im Wirtshaus bieten Siegmann und sein Team nach eigenem Bekunden eine neue, moderne bayrische Küche. Also alles das, was man sich unter traditionell-deftiger Wirtshausküche vorstellen kann.
In der Künstler Stuben geht es alles einen Zahn anspruchsvoller zu. Siegmann nennt das selbstbewusst "gehobene, weltoffene bayrische Küche". Nicht zu Unrecht, wie ich meine.
Ich will mich nach des Tages Mühen am frühen Abend stärken und genieße erst einmal die herrliche Aussicht über den Chiemsee bis hin zur Fraueninsel. Mir steht der Sinn nach deftiger Kost. Ich bestelle einen warmen Salat mit gegrilltem Gemüse, bayerischen Flusskrebsen. Das war im Nachhinein geschmackstechnisch-harmonisch mit meinem Hauptgang keine so gute Idee. Denn ich konnte nicht widerstehen, mir Beuschel mit einem Knödl zu bestellen. Das ist eine sehr deftige, leicht süß-saure aus einer Art Ragout von der Lunge.
Solche Dinge habe ich schon als kleiner Bub außerordentlich gern gegessen, während meine Zeitgenossen angesichts Lungenhaschee oder pikanten Nierchen entsetzt die Zähne fletschten. Geschmeckt hat es jedenfalls vorzüglich. Der Knödl war mit aber wegen der opulenten Vorspeise eine Herausforderung. Letztere war kein gestalterischer Hammer, hat aber in ihrer Gesamtheit durchaus gemundet. Ob die Melone das Gericht wirklich optimal ergänzt hat, darüber lässt sich trefflich parlieren. Ich hätte darauf verzichten oder mir eine Kombination mit anderen Zutaten vorstellen können.
Insgesamt hat mir die Karte des Wirtshauses außerordentlich gut gefallen. Siegmann und seine Mitarbeiter ziehen hier alle geschmacklichen Register bayerischer Küche. Nicht auszudenken, wenn ich dort einmal längere Zeit Urlaub mache. Was ich durchaus vorhabe. Die Wurstecke jedenfalls war ebenso verlockend wie die deftigen Brotzeiten aller Couleur.
Und Waller in Kräuterkruste mit Wirsing, Hechtklößchen mit Blattspinat und Flusskrebsen oder Sauerbraten vom Seeteufel und Rahmkohlrabi sind echte kulinarische Verführungen, denen die anderen Gäste auf der Terrasse reihenweise erlagen.
Natürlich gibt's auch richtigen Schweinsbraten, Kalbsfleischpflanzerln, Backhendl oder Ochsenbackerln. Nur Leberkäs, daran werde ich mich wohl ebenso nie gewöhnen wie an Weißwürste. Selbst für die süße Küche auf der Speisekarte hatte ich Gelüste, war aber für einen zünftigen Kaiserschmarrn zu pappensatt. Ein Bier hat's auch getan.
Die Karte der Künstler Stuben bietet zwei Menüs zum Preis von unter 60 bzw. unter 50 Euro. Dafür wird aber einiges geboten. Mein Geschmack wäre letzteres gewesen. Da bietet Siegmann ein Zweierlei Suppe von der Karotte mit gegrillter Jacobsmuschel, Risotto mit geräucherter Forelle, Lachs im Teigmantel auf Zucchini mit Feta, Praline von der Ochsenbacke mit Aubergine und Orangensorbet, Kalbsrücken mit Flußkrebsfarce gefüllt mit Champignons in weißem Portwein und Frühlingslauch sowie ein in zwei Gängen serviertes Tomahawksteak vom US-Rind mit einem warmen Salat von Gemüse sowie auf einer Polenta mit weißer Schokolade und sautierten Pilzen auf. Nicht schlecht, Herr Specht. Das hole ich einmal mit meiner Frau nach. Statt des US-Rind frage ich den Küchenchef aber garantiert, ob er als adäquaten Fleisch-Ersatz etwas Einheimisches auf den Tisch bringen kann.
Ebenfalls nicht vom Tisch zu weisen ist das andere Menü, in dem der Küchenchef Carpaccio vom Seeteufel mit Zweierlei von der Aubergine, Ravioli von Schwammerln mit Trüffelschaum, Würfel vom Hirsch im Amaranthmantel an einer cremigen Polenta oder Zanderfilet in Pinot noir gegart auf Vanille-Zimt-Spinat sowie Sabayon vom dunklen Bier mit einem warmem Apfel-Crumble kombiniert.
Und Siegmann verrät mir, dass er seine Menüs oft nach Lust und Laune zusammenstellt. Angesichts solcher Kreationen kann man ihm reichlich von beidem attestieren du auf weitere kulinarische Überraschungen gespannt sein. Schade übrigens, dass nach seinen Angaben die Künstler Stuben noch relativ sparsam angenommen wird. Vielleicht liegt es ja an der Strategie, dieses Angebot an den Gast zu bringen und eine dauerhafte Klientel für diese vorzügliche Küche zu schaffen.
Ein wenig enttäuscht war ich vom Service. Während die Damen des Hauses durchaus charmant und solide auftischten, musste ich mit einem nicht mehr ganz jungen Kellner offensichtlich mediterraner Herkunft, er ist wohl Türke, vorlieb nehmen. Zu sagen, er wäre unfreundlich, ginge an der Sache vorbei. Aber er wirkte so gelangweilt und legte mein Besteck so lustlos-leger auf den Tisch, das man ihn gar nicht richtig anzusprechen wagte. Irgendwie waren auch seine einsilbigen Höflichkeitsfloskeln nicht das Gelbe vom Ei. Da hätte ich mir mehr Esprit türkisch-bayerischen Charme gewünscht. Auch dass ein weiterer Kellner sein Bier oder Radler auf dem Anrichtetisch der Terrasse schlürfte, war nicht so ganz mein Service-Verständnis. Wohl wissend, das auch der Durst haben darf.
Mein Fazit: Kulinarische gesehen bietet das Wirtshaus ein vorzügliches Angebot. An kleinen Details an den Speisen und des Ambientes kann man feilen. Und wenn man einen guten Tag des Kellners erwischt, wird das vielleicht ein richtig grandioses gastronomisches Erlebnis. Das Potenzial dafür ist vorhanden. Die Website ist gut bebildert, könnte aber etwas mehr redaktionellen Pep vertragen. Warum die Internet-Adresse etwas mit einer Strandbar zu tun hat, erschließt sich mir nicht wirklich. Aber, wie sagt der Bayer so treffend, München wurde auch nicht an einem Tag erbaut. In diesem Sinne "pfiat eich" und "Auf Wiedersehen".
Der MGQ ist der Quotient aus der Summe der Einzelbewertungen in Bezug auf Angebot / Geschmack / Präsentation / Preis-Leistung / Service / Ambiente / Konzept
Kategorie: Restaurants - Künstler Stuben
Der MGQ ist der Quotient aus der Summe der Einzelbewertungen in Bezug auf Angebot / Geschmack / Präsentation / Preis-Leistung / Service / Ambiente / Konzept
Kategorie: Gasthäuser - Wirtshaus