Da soll einer die Frauen verstehen. Für meine kulinarische Freundin Ute aus Rosenow sind gerade die Teile des Tieres die edleren, die es kaum noch in die Fleischtheken schaffen. Aber was eigentlich wie weibliche Logik klingt, macht schon Sinn. Denn es sind oft die Raritäten abseits von Steak und Filet, bei denen es sich sehr wohl lohnt, seine kulinarische Kreativität zu testen. Ute nickt vielsagend mit dem Kopf und meint: „Ein Steak braten kann doch jeder.“ Dass das eben auch nicht jeder kann, verschweigt sie geflissentlich. Denn sie meint mit „jeder“ sicherlich die Frauen. Wie heißt es so schön: „Frauen sind eitel, Männer nie…“
Ich schließe mich aber der Meinung der pfiffigen Köksch gern an, die für den sparsamen Umgang mit natürlichen Ressourcen wirbt und daraus feine Gaumenfreuden zubereitet. So werden aus Rippchen oder Beinscheiben köstliche Gerichte, die keinen geschmacklichen Vergleich zu scheuen brauchen. Und ein Sauerfleisch wird viel mehr als nur billige Resteverwertung. Ganz zu schweigen davon, dass man aus Markknochen, Spitzbeinen oder Karkassen eine kräftige Brühe für Vorsuppe, Eintopf oder würzige Soßenfonds herstellen kann. „Das hat nichts mit Geiz, sondern mit weiblich-kreativer Sparsamkeit zu tun“, meint Ute mit erotischem Augenaufschlag. Sprach’s, und zeigte mir die Zunge. Aber nicht, was Sie nun denken könnten. Es handelte sich um eine fulminante Rinderzunge.
Die will die Köksch von der ollen Dörpschaul natürlich nach ihrem Hausrezept mit Spargel und Kartoffeln auf den Tisch bringen. Da sage ich nicht nein, denn Zunge gehörte immer schon zu meinen Lieblingsspeisen. Also lausche ich andächtig der Machart ihrer Zubereitung. Sie nimmt natürlich eine Zunge vom Mecklenburger Weiderind. Regional ist schließlich das Motto meiner guten Ute. Sie setzt die Rinderzunge kalt mit Zwiebel, Sellerie, Möhre, Porree und Meerrettich an. Dazu kommt noch etwas Salz und ganz nach Geschmack Gewürze wie Wacholder, Lorbeer, Senfkörner und Kümmel.
Das ist schon der zweite Pluspunkt für sie, denn ich bin ein Kümmelfreund. In fester wie in flüssiger Form. Das Ganze wird kurz aufgekocht und gut eineinhalb bis zwei Stunden am Simmern gehalten. Man(n) kann auch „leise köcheln“ dazu sagen. Sodann fügt sie diverse Kräuter hinzu und lässt alles nochmals etwa eine Stunde ziehen. Wegen der Kräuter rückt sie aber nicht so richtig mit der Sprache heraus. Das müsse man ausprobieren, meint sie mit einem schelmischen Lächeln.
Ich mache mir meinen Reim drauf und staune, wie leicht sich die Haut von der Zunge lösen lässt. Denn das heißt, habe ich bereits in meiner Kindheit von meiner Großmutter Martha gelernt, dass die Zunge gut gar ist. Mir tropft derweil schon der Zahn. Nun wird der Sud noch durch ein Sieb gegossen und durch selbiges das Suppengemüse kräftig durchgestrichen. Damit wird auch die Soße bereits etwas abgebunden. Wenn das noch nicht reicht, alles noch etwas einreduzieren lassen oder mit Speisestärke binden.
Als Beilage zaubert die Köchin ein Duett von weißem und grünen Spargel sowie Kartoffeln der Sorte Rosa Tannenzapfen. Auch diese Dinge sind wie gewohnt einheimische Produkte. Zu guter Letzt wird alles mit der Zunge angerichtet und mit ein paar frischen Kräutern und Blüten garniert. Ich durfte sogar davon kosten. Der Genuss war ein kulinarisches Gedicht. Nun muss ich nur noch einen Schlachter finden, der auch Zunge, Nieren oder andere „edle“ Teile auf Lager hat.
Diese Kolumne erschien am 31. Mai 2016 in der Schweriner Volkszeitung.