Samstagabend nach acht. TV-Tristesse vom Feinsten. Helene Silberfischchen und andere ungenannte Stars, die die Welt nicht braucht, sind nicht in Sicht. Grund genug, sich den Dingen zuzuwenden, die das Leben ausmachen. Nein, nicht das berühmt-berüchtigte Thema Nr. 1. Essen und Trinken ist angesagt. Also doch Thema Nr. 1.
In meinem Büro warten noch -zig Bücher großen und kleineren Formats aus dem weitestgehenden kulinarischen Dunstkreis auf Besprechungen. Seit einigen Tagen lockt mich ein nicht mehr ganz neuer Titel zu einer Einkehr ins Wirtshaus. Ich liebe solche, im unverfänglichsten Sinne des Wortes, kulinarischen Freuden-Häuser. Nicht wegen einem Bier am Stammtisch, sondern wegen der mitunter einer ebenso bodenständig-deftigen und schmackhaften wie verführerisch-kreativen Küche.
Das Buch meiner Begierde heißt: Der Huberwirt. Und trägt den eher unspektakulären Untertitel: Meine neue bayerische Wirtshausküche. Klar: Kalbhaxen, diverses Kraut, Knödel und andere Kalorienbomben. Autor ist ein gewisser Huber. War ja nach dem Titel zu vermuten. Er wähnt sich als elften Huberwirt. Was man so hinnehmen muss. Und gibt an, dass er der „erste gelernte“ Koch seiner Sippe ist, die seit 1612 in Töpfen und Pfannen herumfuhrwerkt. Schön, in einer Art kurzem Vorspann zu lesen, wie seine Familie im bayerischen Pleiskirchen über 400 Jahre eine gastronomische Erfolgsgeschichte schreibt.
Machen wir es kurz: Ich kenne den Huber Alexander natürlich. Leider bisher nur virtuell. Facebook lässt grüßen. Er hat mir für diverse Kolumnen auch schon den einen oder anderen schmackhaften Tipp gegeben und ist jetzt sogar Präsident der deutschen Sektion der Jeunes Restaurateurs d‘ Europe (JRE), kurz gesagt: einer Vereinigung junger und jung gebliebener Spitzenköche.
Darauf will ich aber an dieser Stelle nicht eingehen, und das hat bei der Auswahl des Kochbuchs überhaupt keine Rolle gespielt. Erst recht werde ich dafür nicht, in welcher Form auch immer, entlohnt. Aber ich will endlich ins Wirtshaus. Erstmal über den Umweg Buch.
Dazu lädt mich der Huberwirt in seinem stattlichen Wälzer ein. Er bietet schmackhafte Starter ebenso wie „ewige“ Klassiker, Fisch und Wild, kocht im kapitelmäßigen Rhythmus der Jahreszeiten und entwickelt veritable Kirta-Rezepte an, die zu bayerischen Kirchweih am dritten Sonntag im Oktober aufgetischt werden.
Und er geht natürlich auch speziell auf das ein, was der „gemeine“ Deutsche oder ein anderer Tourist unter echter und guter bayerischer Wirtshausküche versteht oder ihm vorgemacht wird. Ich glaube aber dem Huber auf’s Wort, dass dazu Entenpflanzerln, Böfflamott oder deftiger Szegediner Gulasch dazugehören.
Die Rezepte des in der „Edition Fackelträger“ erschienenen Kochbuchs sind logisch aufgebaut, für ambitionierte Hobbyköche sehr verständlich beschrieben und auch mit kurzen Anleitungen zum Anrichten des Gerichts versehen. Bei einzelnen Kapiteln findet der Autor auch einfühlsame persönliche Worte, die von Stolz auf die Familientradition ebenso zeugen, wie von der Liebe zu seinem Beruf.
Ich habe sicher noch nicht alle Rezepte auf zubereitende Schlüssigkeit überprüft, aber auch noch keine Mängel entdeckt, um alles sachgerecht in Töpfe und Pfannen zu bringen. Das alles wird mit fantastischen, vorwiegend großflächigen Fotos von Mathias Neubauer in Szene gesetzt. Der Mann versteht sein Handwerk und hat den Blick für das gewisse kulinarische Etwas.
Der geneigte Leser wird mit den Rezepten recht sinnig durch das Buch geführt und nahezu nebenbei zum Nachmachen animiert. Was im Detail hochtrabend und kochtechnisch schwer klingt, entpuppt sich oft als auch für den kochenden Laien passable Idee, was man mit wenig Aufwand auf den Tisch bringen kann, wenn Gäste ins Haus stehen, die man geschmackstechnisch und visuell überraschen möchte.
Mir gefallen solche Kleinigkeiten wie eingelegter Bergkäse ebenso wie Strammer Max vom Saibling. Den habe ich bereits in einer meiner Kolumnen „verbraten“. Der Name allein fordert mich ja schon heraus. Nicht minder verlockend ist (s)eine Sashimi-Kreation von der Forelle. Ich liebe solche Leckerbissen. Ganz zu schweigen von „Pflanzerln“ aller Art, wie unterhalb des Weißwurschtäquators die Buletten genannt werden. Huber versteht es meisterlich, solche vermeintlichen Karo einfach-Rezepte mit raffinierten Komponenten in Szene zu setzen.
Ganz diesem Anspruch verpflichtet sind auch Klassiker wie Forelle Müllerin, Mamas Rindsrouladen oder ein deftiger Spanferkelrücken esstechnische Einladungen mit großem Verführungspotenzial. Und wer das legendäre Wiener Schnitzel mit gebackenem Kalbsbries und Milzwurst kombiniert, dem muss man schon großes kochendes Selbstvertrauen, ja Mut, attestieren. Da muss man sich als Gast erst einmal herantrauen. Nach dem Motto: Was der Bauer nicht kennt… Ich jedenfalls brenne darauf, diese Kombination auszuprobieren.
Und wie Alexander Huber Rezepte mit Fisch wie Forelle, Lachs, Zander und Steinköhler entwickelt. À la bonne heure, wie der Bayer sagen würde. Da kommen Kartoffeln ebenso ins Spiel wie Gemüse und Früchte, sogar Maultaschen, die ich zum fressen gern habe. Man sollte sich nicht von der teils aufwendigen Beschreibung täuschen lassen. Huber erklärt recht kurz und bündig und lässt auch Anrichte-Vorschläge nicht außen vor.
Um nochmal auf die originäre Huberwirtshaus-Küche zurückzukommen: Da geht es auf dem Teller natürlich etwas opulenter, aber durchaus nicht weniger anspruchsvoll zu. Wie beispielsweise der traditionelle bayerische Rinderschmorbraten kombiniert und zubereitet wird: „Do schlagts di nieda.“
Das ist für mich die Wirtshausküche zum Niederknien, wie ich es in meiner aktuellen Kolumne beschrieben habe. Gut beraten ist übrigens auch, wer die Rezepte nicht zu ernst nimmt, also eigene Varianten daraus entwickelt. Ich wette, das ist dem Huberwirt gar nicht so unrecht, der mit seinen Ideen ganz sicher auch zu kochender Kreativität anregen möchte.
Dass Alexander Huber auch „richtige“ Gourmet-Kreationen kann entwickelt, liegt für mich in den Natur der Sache. Der Mann ist schließlich Sternekoch und ein Profi vor dem Herrn. Wäre schlimm, wenn er mit dieser Gabe nicht auch in seinem Buch mit den Pfunden wuchert. Solche Rezepte sind im Detail kleine Kunstwerke mit hohem Genuss-Effekt.
Chapeau, wie er Poltinger Lamm mit Wachauer Marillen liiert, Huchen (also Donaulachs) mit Holunderblüten und Apfel kombiniert oder Wild und Geflügel zu Gaumenkitzlern verarbeitet. „Ein Träumchen“. Ich überlege gerade, wer das immer sagt… Scherz.
Dass auch die süßen Verlockungen wie Strudel und Topfenknöderln in seinem kulinarischen Kompendium nicht fehlen, versteht sich ebenso von selbst wie die Erläuterungen des Küchenchefs zu einzelnen Grundrezepten. Das verleiht dem über 200 Seiten in jeder Weise starkem Buch zusätzlichen praktischen Gehalt.
Und ich darf gar nicht daran denken, was in Pleiskirchen alles zur Kirchweih aufgetischt wird. Leider bin ich zu dieser Zeit nicht vor Ort. Aber Anfang Juni wird Gelegenheit sein, im Herrgottswinkel im Gaststüberl 1612 der Wirtshausküche auf den Zahn zu fühlen. Vielleicht sogar bei einem gemeinsamen Bier mit dem Huberwirt. „Des würd mi gfrein…“ Oder so ähnlich.
Zu guter Letzt ein paar Angaben zu den "Mediadaten":
Alexander Huber: Der Hubertwirt, oder: Meine neue bayerische Wirtshausküche
Fackelträger Verlag Köln 2016, ISBN: 978-3-7716-4656-1