Kommentiert: Corona zeigt die Kraft der Gesellschaft …

kulinarische-kolumne-juli20

Interview mit DEHOGA-Präsident Guido Zöllick

Kürzlich hat die Delegiertenversammlung des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) ein neues Präsidium gewählt und Guido Zöllick (51) für weitere dreieinhalb Jahre in seinem Amt als Präsident bestätigt. Der General Manager und Geschäftsführer des Hotel Neptun in Warnemünde spricht im Interview mit unserer Zeitung über die Lage der Branche während und nach Corona.



Glückwunsch zur Wiederwahl. Worin sehen Sie die Schwerpunkte Ihrer nächsten Amtszeit?

Vorrangig ist, dafür Sorge zu tragen, dass der Aufbruch unserer Branche nach der Corona-Pandemie gelingt. Größte Relevanz hat für uns auch die bevorstehende Bundestagswahl. Wir haben zentrale Handlungsfelder benannt und werden unsere Forderungen an die Politik herantragen.


Sehen Sie sich in Ihrem Amt auch als starke Stimme für die Branche in den neuen Bundesländern?

Der DEHOGA-Bundesverband spricht für die gesamte Branche in Deutschland. Ich sehe hier keine Unterscheidung in der Art, wie wir uns um die Belange der Branche kümmern. Mit starken Strukturen in jedem Bundesland und aktiven Landesverbänden arbeiten wir auf allen Ebenen intensiv zusammen an den gleichen Zielen.

zoellick-interview

Gibt es überhaupt noch signifikante Unterschiede Ost-West?

In Teilen gibt es sicherlich Unterschiede in der Art der Betriebstypen in Ost und West. So sind die Traditionsbetriebe in den alten Bundesländern stärker vertreten als in den neuen Ländern. Die inhaltlichen Sorgen und Nöte aber sind aber deutschlandweit sehr ähnlich.


Befürchten Sie nach Corona drastische Zahlen bei Betriebsschließungen und Verlusten von Arbeitsplätzen?

Unsere Branche ist wie keine zweite von der Corona-Pandemie betroffen. Nach unseren Umfragen haben etwa 20 Prozent unserer Mitgliedsunternehmen existenzielle Nöte und Sorgen und befürchten eine Schließung Ihres Betriebes. Darüber hinaus haben in den vergangenen Monaten einige Unternehmen ihren Betrieb eingestellt, auch ohne in die Insolvenz zu gehen. Aktuell gehen unsere Prognosen von einem Verlust von etwa 130.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten aus.


Warum kommen, beispielsweise in MV, Tourismusverband und DEHOGA zu unterschiedlichen Bewertungen der Corona-Maßnahmen?

Beide Verbände haben unterschiedliche Aufgaben und vertreten unterschiedliche Interessengruppen. Im DEHOGA sprechen wir für die Unternehmerschaft und die Arbeitgeber. Der Tourismusverband ist in erster Linie eine Marketingorganisation. Daraus ergeben sich verschiedene Sichtweisen auf die Maßnahmen und insoweit ist eine unterschiedliche Bewertung in Teilen durchaus nachvollziehbar. Grundsätzlich müssen wir aber festhalten, dass gerade in MV beide Verbände sehr eng und effizient zusammengearbeitet haben.


Können Sie nachvollziehen, wenn mancher Gastgeber finanzielle Hilfe vom Staat nimmt und sein Unternehmen schließt, als wieder zu öffnen?

Jedem Unternehmer hat die freie Entscheidung, abzuschätzen, wir wirtschaftlich sinnvoll das Öffnen seines Betriebes gerade unter den sehr strengen Öffnungsmaßnahmen in der Pandemie effizient ist. Keinen stellt es aber zufrieden, von Hilfen des Staates zu leben. Alle Unternehmer, die ich kenne, sind lieber selbstständig aktiv. Wir sind schließlich Gastgeber und keine Bittsteller.


Bietet die Bezahlsituation in der Branche noch genügend Anreiz, sich den oft nicht leichten Arbeitsbedingungen zu stellen?

Wir haben in MV seit vielen Jahren einen mit der Gewerkschaft abgestimmten Lohn-Tarifvertrag. Es ist natürlich immer wünschenswert, höhe Löhne zahlen zu können, doch dafür sind auch höhere Umsätze und Gewinne vonnöten. Diese lassen sich aber nicht einfach erzählen und soweit stellt der immer wieder nachgebesserte Tarifvertrag die entsprechende Basis dar. Darüber hinaus lassen sich viele Unternehmer zusätzliche Möglichkeiten einfallen, ihre Mitarbeiter mit geldwerten Vorteilen oder Sonderzahlungen zu motivieren.


Wie sehen Sie die Rolle ausländischer Arbeitskräfte in Hotels und Gastronomie?

Das Gastgewerbe ist die Branche der Vielfalt und Weltoffenheit. Für Gäste und Mitarbeiter gleichermaßen. Insoweit sind ausländischen Arbeitskräfte eine unabdingbare Unterstützung und Bereicherung unserer Betriebe. Wir werden auch zukünftig auf diese Menschen zugehen und sie in unseren Betrieben beschäftigen.


Ist das angesichts deutscher Arbeitssuchender nicht ein Widerspruch in sich?

Ich kann diesen Widerspruch nicht erkennen. Bei Bereitschaft zur Flexibilität können auch deutsche Arbeitssuchende eine entsprechende Tätigkeit finden. Ich kann deshalb nicht nachvollziehen, dass eine ausländische Arbeitskraft einem deutschen Arbeitssuchenden den Arbeitsplatz wegnimmt.

Im September stehen Bundestagswahlen an. Welche Forderungen hat Ihr Verband an die Politik?

Wir erwarten klare Antworten auf unsere Konzepte und Vorschläge zur Zukunftssicherung der Branche. Die wichtigste Forderung ist die unbefristete Senkung der Mehrwertsteuer auf alle Speisen-Umsätze unter Einbeziehung der Getränke-Umsätze und der Eintrittsgelder für Diskotheken und Clubs. Darüber hinaus fordern wir, dass sich die Steuern und Abgaben nicht erhöhen, sondern in weiten Teilen eine Senkung angestrebt wird. Weiterhin fordern wir, dass wir von aufwendiger Bürokratie entlastet werden. Außerdem brauchen wir weitere Maßnahmen zur Fachkräftesicherung, eine echte Offensive zur dualen Ausbildung sowie die klare Zusage, dass Steuern und Abgaben verringert bzw. nicht erhöht werden.


Wie wollen Sie das kommunizieren?

Wir haben die entsprechenden Wahlprogramme analysiert und werden auf alle Bundestagskandidaten zugehen, mit ihnen das Gespräch suchen, unsere Fragen stellen und unsere Forderungen formulieren.

Sehen Sie für die Zeit nach Corona auch Chancen für die Branche, sich neu auszurichten, im Detail gar neu zu erfinden?

Jede Krise birgt Chancen in sich, moderner und zukunftssicherer zu werden. Auch unsere Betriebe haben in der Pandemie bewiesen, dass sie mit neuen Geschäftsideen bestehen können und die schlimmsten Phasen der Schließung erfolgreich überstehen. Ich glaube schon, dass sich auch einige Geschäftsfelder, beispielsweise bei Tagungen, Kongressen und Messen neu ausrichten werden.


Was sagen Sie zu einem Slogan „Corona war/ist (k)ein Betriebsunfall“?

Darüber kann man trefflich parlieren. Lassen Sie es mich so auf den Punkt bringen: „Corona ist der Beweis, wozu eine Gesellschaft unter extremer Belastung in der Lage ist.“

Dieser Beitrag erschien am 28.6.2021 in allen Ausgaben der Schweriner Volkszeitung.

Das könnte Sie auch interessieren

Hier finden Sie ein paar Vorschläge zum Weiterlesen.