Sicher werden Sie kennen, dass es beim Essen kochen manchmal schnell gehen muss, oder das Haushaltsbudget kürzer als der Monat war bzw. ist. Dann besinnt man sich oft dessen, was im Volksmund „Arme-Leute-Essen“ genannt wird. So kommen Kartoffeln und einfache Zutaten wie Quark, Wurst und Gemüse zu schmackhaften Ehren. Schauen Sie sich in meiner virtuellen Rezeptsammlung um, was ich Ihnen diesbezüglich empfehlen kann. Für mich ist das deftig-schmackhafter Genuss, hat nicht wirklich etwas mit arm zu tun, und fördert genusstechnische Kreativität.
Lassen Sie sich heute von einem vermeintlichen Arme-Leute-Essen verführen. Es gibt Pellkartoffeln mit Quark, wie es Sternekoch Tim Raue aus Berlin zubereitet, der seinem Namensvetter Tim Mälzer verbal und kochend schon mächtig Paroli geboten hat. Mit diesem Gericht kommen Sie abseits von 0815 auf einen Geschmack der besonderen Art: Kochen Sie etwa ein Pfund festkochende Kartoffeln mit klangvollen Namen wie Linda, Sieglinde, Glorietta, Anabelle oder Charlotte in gut mit Salz versetztem Wasser. Dann muss Charlotte, die es mir angetan hat, raus aus dem heißen Bad und wird entblättert, sprich: abgepellt. Die Hüllen, das sollten Sie nicht vergessen, legen Sie zur weiteren Verwendung beiseite.
Nun werden die Schönen möglichst gleicher Größe in einer Mischung aus einem Viertelliter Leinöl (aus dem Spreewald, versteht sich), 150 Milliliter flüssiger Butter und etwa 15 Gramm Salz eingelegt und können sich aalen. In der Zwischenzeit werden die Kartoffelschalen in Rapsöl bei knapp 150 Grad knusprig ausgebacken und leicht gesalzen.
Zeit, sich dem Quark zuzuwenden. Dafür werden etwa 300 Gramm mit 100 Gramm Crème fraîche verbandelt und eine halbe, geschälte und geriebene Salatgurke untergejubelt. Hinzu kommen noch etwa 30 Gramm feine Kapern, ein halbes Bund fein gehackter Kerbel, ein Esslöffel gemörserter Anissamen und eine kleine, sehr fein gehackte rote Zwiebel. Abgeschmeckt wird schließlich mit Limettensaft, Salz und weißem Pfeffer. Sozusagen das geschmackliche i-Tüpfelchen ist geräucherte Butter. Dazu werden im Topf fünf Gramm Räuchermehl erhitzt, bis es raucht. Dann kommen 150 Milliliter gesalzene Butter hinzu, die sich nun zehn Minuten aromatisieren kann und anschließend durch ein Tuch passiert wird.
Nun geht es schon an’s Anrichten: Der Quark bildet die sahnige Grundlage für das Bett der Charlotten, die von den gebackenen Schalen bekrönt (sieht fast wie Trüffel aus) und mit der Räucherbutter beträufelt werden. Garniert wird mit dem fein gewürfelten Rest der Gurke und Feldsalatspitzen. Das sieht toll aus und schmeckt richtig edel, kann ich Ihnen versprechen. Wer Max kennt, ahnt aber, dass dazu noch etwas Bissfestes fehlt. Das kann, damit es sich nicht gar so arm anfühlt, eine feines Lammkarree ebenso sein wie eine grobe Bratwurst. Dazu schmeckt ein trockener Chardonnay, aber auch ein würziges Bier inklusive einem „Verteiler“ in Gestalt von Doppelkümmel à la „Mann un Fru“.
Und die Moral von der Geschicht‘: Schäme dich, frei nach Max, der Armut nicht. Ein geflügeltes Wort heißt nicht umsonst, dass Armut der sechste Sinn ist. Nicht nur kochtechnisch kann ich das unterschreiben. Denn Not macht erfinderisch, die zu schmackhaftem und sonstigem Reichtum führt.
Und als Nachtrag noch einige Rezepte aus meiner Sammlung, die man zu den Arme-Leut-Gerichten, zum Teil neu interpretiert, zählen kann:
Teichelmauke / Sauerampfersuppe / Erzgebirgisches Neunerlei / Strammer Max / Soljanka à la Max / Poltawaer im Wirsingmantel / Heringsvariationen / Zudelsupp / Klümpe mit Wurstsuppe / Schladerergucks / Zwiebelsuppe / Alemannischer Bettelmann / Grünkohlsuppe / gefüllte Heringe /
Diese Kolumne erschien 17.12.2020 in der Schweriner Volkszeitung und in der Neuen Osnabrücker Zeitung.