Rezensiert: Genussvoll in Szene gesetzter wilder Geschmack

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Wer mich kennt, weiß, dass mich mein Geschwätz von gestern gar nicht schert. Was nicht heißt, dass man(n) immer weiß, was man gestern so gesagt hat. Zumindest dann, wenn „gestern“ auf den Tag genau 14 Monate her ist. Denn einen Tag vor Silvester 2016 habe ich mir ein Buch vorgeknöpft, in dem es um wilde Liebhabereien am Küchentisch ging. Auf dem Titelfoto prangte seinerzeit ein stattlicher Rehbock. Schade, oder zum Glück, dass der letztlich küchentechnischen Gelüsten geopfert wurde. Nun liegt neben diesem Buch ein zweites. Gleiches Format, etwa gleiche Seitenanzahl, ziemlich ähnliche, um nicht zu sagen: identische, Gestaltung. Sogar der Untertitel ist geblieben. Die Rede ist von, wie ich es kurz bezeichne, „Wild Kitchen Project 2.0“.


Was soll man nun von einem kulinarischen Fortsetzungs-Roman halten. Wild ist Wild. Und mehr als essen kann man es auch nicht. Also kann es nur um prätentiöse Klugscheißerei gehen. Dachte ich. Nicht wirklich. War aber gespannt wie eine Kugel im Lauf der Büchse, wohin diesmal der Schuss gehen würde. Und vor allem, ob er in das Gelbe des kulinarisch-waidmännischen Eies treffen würde. Zumal  neben den vier freiluftkochenden Paaren ein „Special Guest“ mit von der Partie ist, der sogar auf dem Titel reißerisch als „Don Marco“ angekündigt wird.

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Angesichts solcher Effekte stellt Max gern seine Lauscher in den Wind. Weil: Mir ist diese Art anglizistischer Marktschreierei eher suspekt. Zumindest hätte ich auch im Buch ein wenig mehr über den bürgerlichen „Don Marco“ erfahren.  Dank Google & Co. habe ich dazu jedoch einiges gefunden. Der Knabe scheint wirklich ein Griller vor dem Herrn zu sein, der zudem ein Händchen für Barbecue Rubs hat, denen man auch allgemein verständlich die Bezeichnung "Gewürzmischung" geben kann. Ganz zu schweigen von den Grill- und Barbecue-Meriten, die der wohl aus dem Ruhrpott stammende Marco schon eingeheimst hat. Da verdreht es einem ja schon beim Lesen die Zunge. Versuchen Sie mal „Annual Jack Daniels World Championship Invitational Barbecue Lynchburg“ im Schnelldurchlauf über die Zunge zu sprudeln...


Zurück zum WKP 2.0. Dessen Titel ziert ein stattliches Wildschwein. Ich nehme angesichts der markanten Eckzähne, die man wohl auch Gewaff nennt, das es sich um einen Keiler handelt, der seine Hauer respekteinflößend zur Schau stellt. Wenn das allerdings die Haken einer Bache sind, bitte ich die Sau um Verzeihung. Man(n) kann ja nicht alles wissen. Jedenfalls ereilt dem Wildschwein in dem Buch das gleiche Schicksal: Es wird waidgerecht zerlegt und kulinarisch facettenreich in Szene gesetzt.


Spätestens jetzt muss es buchtechnisch ans Eingemachte gehen. Auch diesmal geht es thematisch sinnig strukturiert in die kulinarische Wildnis. Die Namen einiger Kreationen, auch daran hat sich nicht viel geändert, sind ebenso gewöhnungsbedürftig wie bestimmte Fachausdrücke. Aber das ist wohl dem geschuldet, was man heute Zeitgeist nennt. Ich könnte mir durchaus für die meisten Gerichte auch gängige deutsche Namen vorstellen. Aber vielleicht wüssten dann einige eingefleischte BBQ- und Grillenthusiasten gar nicht, was gemeint ist… Geblieben und ausdrücklich für gut befunden ist der Anspruch, ein Tier ganzheitlich zu verwerten und nicht nur die edlen Teile zu verarbeiten.


Eine Schippe aufgelegt haben die kochenden Autoren in Sachen Kreativität. War das WKP 1.0 schon ein geschmackvolles Kompendium für wilden Genuss, haben sie dem im Folgeband noch eine Krone aufgesetzt. Ich bin erstaunt und begeistert, auf welche Ideen diese jungen Leute gekommen sind und mit welcher geschmacklich-kombinatorisch-kochenden Meisterschaft sie das umgesetzt haben.

Die einzelnen Rezepte sind schlüssig aufgebaut und zudem mit wertvollen Tipps zur Umsetzung versehen. Es macht die Texte lesenswert-sympathisch, wenn darin immer auch einer der Akteure zu Wort kommt und ohne Schulmeisterei Tricks aus der wilden Kochkiste preisgibt. Ich habe das Buch an einem wunderschönen Frühlingssonntag sozusagen in einem Ritt gelesen. Dass das kein vollständiges Verarbeiten der Inhalte sein kann, ist wohl verständlich. Aber im Vergleich von Zutaten und Zubereiten sind mir keine Ungereimtheiten aufgefallen. Die Würztipps ergänzen das Ganze und verleiten zum Variieren. Das ist mir als Verfechter deftig-scharfer Kreationen sehr wichtig. Trotzdem gehen die Autoren ohne Anspruch an Selbstherrlichkeit und Bevormundung an ihre Rezepte heran. Sie empfehlen einfach und verständlich. Und sie regen auch zum Experimentieren an. Auch die Erläuterungen zu Garpunkten und zur Fleischveredlung (Stichwort: Dry Aging)  machen das Buch einmal mehr praktikabel für den ambitionierten Hobbykoch.


Für mich bietet das Buch nichts, was ich nicht probieren möchte. Ich werde die Zeit nutzen, im Freien und natürlich auch am heimischen Herd nachzukochen, ohne dabei immer streng am Original-Rezept zu kleben. Ich meine, das ist auch nicht Anliegen des Buches, das nicht nur den Verstand für ganzheitliche, natürliche Verwertung schärft und die Möglichkeit bietet, eigenen Genuss zu entwickeln. Der Wälzer hat für mich einige geschmacklich-kombinatorische Favoriten. Auch wenn ich sonst so gar kein „Pulled-Fan“ bin: Den Schlemmerbecher mit der Pulled Wildsau werde ich mir garantiert einmal antun. Und sei es, um ordentlich damit anzugeben.  Das kann  man auch trefflich mit den Lammgyros-Wraps. Die Schinkenröllchen mit dem Wildsau-Hack kommen garantiert demnächst auf meinen Grill als köstlicher Snack. Auch das Wilschwein-Bruschetta lässt meinen Zahn schon mächtig tropfen.


Ob sich die Autoren mit der „Bambi“-Bezeichnung für Rehfleisch einen Gefallen tun, sei dahingestellt. Unsere Tochter würde diese Gerichte jedenfalls mit einem mahnenden Augenaufschlag verschmähen. Was nicht heißt, dass ich Reh vom Teller schubse. Ganz im Gegenteil. Auch die Wildspieße lassen mich frohlocken. Ich werde bald den Weg zum Wildhändler meines Vertrauens antreten. Mal schauen, ob ich mich vielleicht auch an das etwas aufwendigere Wild-Pastrami wage. Das weiß ich noch nicht. Geschmacklich reizt mich das aber mächtig.

Und Ehrensache ist auch, dass ich Surf ‚n‘ Turf oder das Forellimbocca zubereite und anrichte. Und obwohl ich alles andere als Whisky-Fan bin, werde ich mich garantiert mal daran versuchen, einen Rehrücken über Whiskyaroma heißzuräuchern. Die Liste könnte ich beliebig fortsetzen. Ein Hochgenus jagt den anderen. Chapeau den Rezepte-Machern.


Dass ich die Jana nicht explizit für ihre wie immer sehr aus- und eindrucksstarke Gestaltung lobe, liegt in der Natur der Sache. Denn sie weiß, wie sehr ich ihre diesbezügliche Arbeit schätze und trotzdem darum keinen Schmus mache. Sie gestaltet anspruchsvoll und trotzdem im besten Sinne des Wortes einfach. Was sie schnörkellos in Szene setzt, wirkt anschaulich und übersichtlich. So muss es sein.


Lediglich die Seite mit den Team-Fotos hat mich nicht umgehauen.  Da ist für mich zu viel drauf, manches zu weit weg vom Thema. Und die Fotos mit dem WKP 1.0 wirken auf mich wie Siegerehrungen der Volkssolidarität um den größten Kürbis im Kleingarten. Aber auch das ist bekanntlich Geschmackssache. Oder auch nicht. Das trifft auch auf die Nennung von Namen im Zusammenhang mit Superlativen wie „bekannteste“ usw. zu. Da bin ich eher für vornehme Zurückhaltung. Denn, man weiß ja nie…


Zu guter Letzt: Ich schrieb bereits, dass ich das Buch „am Stück“ gelesen und mich schon darauf gefreut habe, mein „Unwort des Jahrtausends“ zu entdecken und zu kritisieren. Pustekuchen, ich habe es (bisher) kein einziges Mal entdeckt und kann mir keinen richtigen Reim darauf machen. Die dafür verwendeten Synonyme allerdings haben mir ebenso geschmeckt wie 99 Prozent der Rezepte, soweit das meine Fantasie (bisher) zuließ. Aber ich kann  mir auch vorstellen, dass die pfiffige Jana das doch irgendwo untergejubelt hat und grinsend auf meinen medialen Aufschrei wartet.


In diesem Sinne, bis auf die kleinen kritischen Anmerkungen, Gratulation. Version 2.0 gelungen. Fortsetzung erwünscht. Vielleicht auch mal mit weiteren Akteuren aus der wilden Szene. Namen dafür gibt’s wie Bäume im Wald.


Um es nicht zu vergessen: Das Buch ist Untertitel "Rezepte und Erfahrungen für Liebhaber von Wild, BBQ und Outdoorküche" und dem Unter-Untertitel: „Band 2 – Wild & Weide – Special Guest: Don Marco“ ist in der 1. Auflage im April 2018 im Eckhaus Verlag Weimar erschienen. ISBN: 978-3-945294-21-5

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