Kommentiert: Warum weniger kein Genussverzicht sein muss…

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Die Nachricht überrascht schon: Erika Bergheim, die man getrost zu den weltweit besten Köchinnen zählen darf, wird künftig nicht mehr im noblen Sternerestaurant Nero des Schlosshotel Hugenpoet in Essen kochen. Das Schloss an sich aber verlässt sie nicht, sondern wird künftig mit ihrer bewährten Küchencrew im Hugenpöttchen, der legeren Alternative zum Nero, arbeiten. Der Grund dafür ist simpel: Das sternengekrönte Gourmetrestaurant wird geschlossen, die Besitzer des Schlosshotels offensichtlich nicht mehr bereit sind, den Aufwand für die Sterneküche mit dem Hotelbetrieb zu subventionieren.

Dafür haben sie jetzt ein ganz simples Rezept: Das Hugenpöttchen zieht von der Remise ins Schloss und bietet wohl auch künftig kreative, originäre Landhausküche an, die sich durch Frische und handwerklich erstklassige Zubereitung aller Speisen auszeichnet. Das soll offensichtlich auch den Gast anziehen, der sich bisher vor dem Sterne-Status und den damit (manchmal) verbundenen steifen Ritualen eines solchen Restaurants scheute. Man erwarte auch ohne das Sternerestaurant, heißt es aus dem Hause Hugenpoet, künftig sowohl internationale als auch einheimische Gäste aus der unmittelbaren Umgebung. Gegessen werden soll zwanglos, ganz, wie Gast es beliebt, und ohne jeden Gourmet-Verhaltenskodex. So es diesen denn gibt...

Ich meine, dieses neue Rezept macht das Haus sympathisch und im besten Sinne des Wortes anziehend. Eben eine solche unverkrampfte, nicht auf einen Stern fixierte Philosophie wünscht man sich mehr, ohne damit a priori gegen Sterneküche zu argumentieren. Das Ganze offenbart für mich aber noch einen anderen Aspekt: Essen ohne Sterneanspruch muss auf keinen Fall auch Genussverzicht bedeuten. Man darf wohl nicht erwarten, dass Erika Bergheim künftig weniger ambitioniert und weniger gut kocht.

Ergo: Der Stern ist für mich nicht das Maß aller kulinarischen Dinge. Ich kenne eine stattliche Anzahl von Köchen, deren Küche exzellent ist, die aber gern auf den Stern verzichteten. Der ist nämlich oft (immer) mit einem großen Aufwand verbunden, der manchmal in keinem ökonomischen Verhältnis zum Ergebnis, sprich: Erlös, steht.


Warum sich also nicht auf die Tugenden besinnen und authentische, nicht weniger anspruchsvolle Küche zu bieten. Es gibt außerdem, da werden mir die Kenner der Szene sicher zustimmen, eine Vielzahl an Köchen landauf, landab, die so exzellent kochen, dass sie den Stern durchaus verdient hätten. Aber dazu bedarf es auch einer gewissen Aufmerksamkeit durch eben diese Szene. Auch Michelin ist längst nicht so unabhängig wie man das immer gern kommuniziert. Was auch immer man in diese Feststellung interpretieren könnte.

Ich jedenfalls schätze die Leistungen der "einfachen" Köche mit authentischer, frischer Küche nicht minder als die eines Gourmet-Tempels. Wenn ein Koch in Thüringen sich vortrefflich auf regionale Küche versteht und ohne Fertigprodukte ein köstliches Mahl zaubert, hat das für mich den gleichen Stellenwert wie ein Vier-Gänge-Menü im Zwei-Sterne-Haus. Denn es ist, das sollten wir nie vergessen, immer noch eine Frage des Geschmacks. Und der darf aus meiner Sicht nicht mit dem Status eines Restaurants zu tun haben.

Es ist in diesem Sinne beachtlich, was beispielsweise Landgasthöfe und kleinere Restaurants abseits aller voller-Teller-für-kleines-Geld-Mentalität an originärer kulinarischer Kreativität und Qualität zu bieten haben. Da läuft einem nicht nur das Wasser im Munde zusammen, sondern hüpft der Gaumen buchstäblich vor Begeisterung. Das ist für mich ebenso hohe Kochkunst wie die bei Tim Raue in Berlin, Thomas Bühner in Osnabrück oder Heinz O. Wehmann in Hamburg.

Es sollte in diesem Zusammenhang auch nachdenklich machen, wenn Sterneköche sogar ganz bewusst aus der Riege der Koch-Meriten aussteigen, um neue kulinarische Ideen umzusetzen und dem Gast ein Geschmackserlebnis zu bieten, das mit vielen Facetten kombiniert ist.

Tillmann Hahn, der noch im vorigen Jahr in der Yachthafen-Residenz Hohe Düne in Rostock-Warnemünde auf Sterneniveau kochte, setzt jetzt gemeinsam mit seiner Frau im Torhaus in Bad Doberan ein Projekt um, das mehr als den Geschmackssinn anregen soll. Unter dem Motto "Einfach nur das Beste - das Leben ist zu kurz um schlecht zu essen" bietet er eine wunderbare Mixtur aus Kulinarik, Kunst und Kultur an. Auch Michael Laumen, erster Sternekoch in M-V steigt nach einer Ruhephase wieder ins kulinarische Geschehen ein. Man darf gespannt sein, worum es sich handelt.

Köche wie Benedikt Faust dagegen hat es nach erfolgreichen Jahren auf Rügen wieder in die Heimat nach Würzburg verschlagen. Man darf sicher sein, dass er auch dort ein Meister seines Fachs bleiben und weiter auf dem Zettel der Michelin-Tester stehen wird. Muss aber nicht sein, meint er. Qualität ist entscheidend. Der Stern eher schmückendes Beiwerk.

Das alles sind meiner Überzeugung nach Angebote, die Schule machen und von den Gästen dankend angenommen werden. Frei nach Goethe: Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein... Jeder Koch hat in diesem Zusammenhang seine ganz eigene Daseinsberechtigung und seine eigene Philosophie, sich zu verwirklichen.

Ich jedenfalls kehre zum Beispiel gern bei Stefan Rottner in Nürnberg, bei Barbara Siebert in der Sächsischen Schweiz, Sebastian Syrbe in Binz, Peter Franke im Spreewald, aber auch bei Christian Lohse oder Danijel Kresovic in Berlin ein. Ganz nach meinem Geschmack, nach Lust, Laune und Anlass. Und, das sollte man nicht unterschätzen, nach dem aktuellen Pegelstands meines Geldbeutels...

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