Seiten-Blicke: Kulinarischer Grenzgänger

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Geschmackvoll: Grenzenlose Einkehr

Dass Essen keine Grenzen kennt, dürfte sich wohl inzwischen herumgesprochen haben. In vielen Restaurants und Gasthäusern wird längst eine Art multikulturelle Küche angeboten, kann man ganz nach Gusto mediterrane, asiatische, französische oder eben deutsche Gerichte genießen. Es ist aber geschichtlich gesehen noch gar nicht so lange her, da wurden Grenzen gesetzt, die nicht nur Genuss, sondern auch zwischenmenschliche Beziehungen getrennt haben. Wie glücklich darf sich die junge Generation schätzen, dass ihr solche Erfahrungen erspart blieb. Aber: Es ist mehr denn je ein Gebot der Zeit, Geschichte zu bewahren und begreifbar zu machen. Ein Ort wie der Elbberg in Boizenburg ist so ein Ort des Mahnens, des Erinnerns, aber auch ein Ort der gastlichen Einkehr. In diesem Sinne ist der markante "Checkpoint Harry" weit mehr als eine clevere Geschäftsidee. Sein Erfinder und Gründer hatte 1990 die Zeichen der Zeit verstanden und sich mit Ideenreichtum und Feingefühl ein gastronomisches Denkmal geschaffen, das seinen Gästen grenzenlosen Genuss und Wissenserweiterung im besten Sinne des Wortes bietet. Seien Sie neugierig und überzeugen Sie sich.

Boizenburg OT Vier. Bei den sogenannten "Zwölf Aposteln" vor den Toren von Boizenburg hat man einen wundervollen Blick auf das Elbtal. Die Apostel sind Bäume, unter denen an dieser Stelle während der napoleonischen Kriege zwölf französische Offiziere begraben wurden. Nach 1945 gingen die Bäume ein, und 1996 fasste die Boizenburger Stadtvertretung den Beschluss, die Bäume neu zu pflanzen und einen Gedenkstein anzulegen. Ich hatte seinerzeit die Freude, einen der Apostel zu pflanzen, der sich heute als stattliche Linde präsentiert.

Nur einen Steinwurf entfernt befindet sich ein weiterer markanter geschichtlicher Ort: Bis 1989 befand sich hier der Kontrollpunkt Vier für alle Personen, die in das Sperrgebiet an der innerdeutschen Grenze bei Boizenburg einreisen wollten. Gleiches galt natürlich auch für BRD-Bürger, die über die frühere F 5 in die DDR einreisten. Nach dem Wendeherbst 1989 blieb das Objekt mit dem markanten Kontrollturm zunächst ungenutzt, bis Harald Strelow die Idee hatte, hier einen Imbiss zu errichten. Den nannte er pfiffiger Weise "Checkpoint Harry". Im Laufe der Jahre hat sich dieser Imbiss zu einem Restaurant mit Partyservice entwickelt, den viele Bürger aus dem Umland bis in Lauenburgische hinein schätzen. Sie wissen: Bei Harry schmeckt es gut.

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Für seine Pläne hatte Harald Strelow im Gegensatz zu anderen kulinarischen Existenzgründern aus dieser Zeit als gelernter Koch auch die besten Voraussetzungen. Immerhin hat der Mittfünfziger im früheren Interhotel Magdeburg gelernt, dann beim Zoll gekocht und war bis zur Wende stellvertretender Küchenleiter in den Boizenburger Fliesenwerken. "Wendezeit war Revoluzzerzeit. Jeder wollte, und musste, irgendetwas machen. Ich dachte mir, Harald bleib bei deinen Leisten und fand hier den idealen Standort für mein Vorhaben", erinnert sich Strelow verschmitzt, aber auch nachdenklich lächelnd.

Sein zweckmäßig und stilgerecht, aber nicht kitschig nostalgisch-verklärt eingerichtetes  Restaurant bietet das, was er selbst gern isst: Gute deutsche Küche mit einer erstaunlichen Bandbreite schmackhafter Gerichte aus Fleisch, Fisch und Allerlei für den sogenannten kleinen Hunger. Harald Strelow und sein Team wissen, dass ihre Gäste hauptsächlich Durchreisende sind. Er hat aber auch eine Menge Stammgäste aus der näheren Umgebung, die sein Angebot schätzen. Es freut ihn in diesem Zusammenhang auch, dass immer mehr junge Leute den Weg auf den Elbberg finden und seine frisch zubereitete Hausmannskost bestellen. Nach dem Renner seines Angebots gefragt lacht Harald Strelow: "Wissen Sie noch, welches Gericht zu DDR-Zeiten kurz LPG genannt wurde?" Klar weiß ich das, habe schließlich als Student lange genug in Gaststätten als Kellner gejobt. Da war das Bauernfrühstück ein begehrtes Essen. Und, gut zubereitet, ist es das auch heute noch.

Nicht zuletzt begehrt ist "Checkpoint Harry" durch seinen sehr individuellen Partyservice. Da zaubern er und seine Mitarbeiter schon mal warme und kalte Buffets für bis zu 300 Personen, richtet Abi-Bälle und Familienfeiern aus. "Das sind schon schweißtreibende Aufträge mit logistischen Herausforderungen", meint Harald Strelow. Der beste Lohn für die Arbeit aber sind, neben dem finanziellen Obolus, versteht sich, zufriedene Gäste, die seinen Service weiterempfehlen.

Oft muss er natürlich seinen Gästen Rede und Antwort stehen zu diesem Ort, der ganz in der Nähe auch noch das Elbbergmuseum mit Ausstellungen zum KZ-Außenlager Vier und der innerdeutschen Grenze zu bieten hat. Sein Resümee nach fast 25 Jahren Selbstständigkeit: "Ich arbeite gern an diesem historischen Ort. Hier wird Geschichte buchstäblich lebendig. Ich erzähle meinen Gästen gern, was hier Sache war und was ich erlebt habe. Man soll ja schließlich aus der Geschichte lernen. Und, nicht zu vergessen, ohne den Wendeherbst 1989 gäbe es auch keinen Checkpoint Harry.

Das wäre vor allem wegen der deutschen Einheit, aber auch wegen unserem Restaurant ein Verlust." Und er freut sich sichtlich, dass der bekannte Fliesenkünstler Lothar Scholz für sein Haus ein Wandbild mit einem ehemaligen Grenzer der NVA gestaltet hat. "Auch das gehört zur Geschichte", so Harald Strelow beim Abschied vor seinem Restaurant.

Diese Kolumne und dieser Beitrag erschienen im Rahmen der Seite
"Kochen & genießen" in der Schweriner Volkszeitung vom 24. Juni 2014.

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