Seiten-Blicke: Kulinarische Provokationen

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Geschmackvoll: Alles nur Kopfkino?

Wenn ich als Kind zum Fleischer ging, schenkte mir die dralle Fleischersfrau stets ein Scheibe Blutwurst mit dicken, weißen Fettgrieben. Was habe ich mich innerlich gesträubt, wenn ich daran zumindest symbolisch beißen musste. Hat lange gedauert, bis ich in späteren Jahren wieder an Dinge wie Rot- und Grützwurst heran gewagt habe. Ähnlich ging es mir mit Linsen, Sülze und Innereien. Aber mit den Jahren wird man(n) bekanntlich reifer und experimentierfreudiger. Heute gehören solche deftigen Dinge, vorausgesetzt, sie sind gut zubereitet, zu den Rennern meines persönlichen Geschmacks. Dazu gehört auch das sogenannte Hottehü-Fleisch, wie Pferdefleisch auch humorig genannt. Ich erzähle Ihnen also diesmal was vom Pferd, dessen Fleisch einen exzellent herzhaften Geschmack hat. Meine Familie hat mir inzwischen sogar verziehen, dass ich ihr einmal voluminöse Pferde-Rouladen untergejubelt habe. Hat allen wunderbar geschmeckt, die Soße war exzellent, die Klöße gut gelungen. Erst die Frage, ob jemand auf einen Hufnagel gebissen hat, löste einen Aufschrei des Entsetzens aus. Was beweist: Alles nur Kopfkino. In diesem Sinne möge Sie der Beitrag etwas provozieren. Schreiben Sie, was Sie zum Thema zu sagen haben.

Prislich bei Grabow. Wohl kein Fleisch, das in allen Variationen in (nicht nur) deutschen Küchen verarbeitet wird, erregt die Gemüter so sehr wie Pferdefleisch. Die einen sehen es als schmackhafte Bereicherung der Mahlzeiten an. Die anderen lehnen den Verzehr von Rossfleisch, wie das Pferd im alemannischen Dialektbereich auch genannt wird, vor allem aus ethischen Gründen ab. Ihr Argument: Das Pferd sozusagen als Begleiter und Helfer des Menschen gehört nicht auf die Speisenkarte, weder zu Hause noch im Restaurant.

Einspruch sagen Leute wie Rüdiger Lauck aus dem mecklenburgischen Prislich. Der Mittfünfziger mit dem spitzbübischen Lachen im Gesicht weiß, dass eben diese Ablehnung hauptsächlich eine Kopfgeschichte ist. Der gestandene Schlachtermeister schätzt das schmackhafte Pferdefleisch und bietet es auch durchgehend in seiner Landschlachterei an. Lauck: "Es ist ja nachvollziehbar, dass vor allem Pferdeliebhaber nicht solchen kulinarischen Genüssen frönen. Aber wer beispielsweise Innereien isst oder  genüsslich Austern verzehrt, der sollte nicht mit dem argumentativen Stein im Glashaus kontra Pferdefleisch werfen."

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Das Fleisch ist außerdem, erklärt Rüdiger Lauck, völlig unbedenklich zum Verzehr geeignet. denn im sogenannten Pferdepass wird akribisch genau festgehalten, ob ein Gaul zur Schlachtung bestimmt oder freigegeben ist, oder nicht. Zudem prüft ein Tierarzt vor der Schlachtung sehr genau, dass das Fleisch allen veterinärhygienischen Bestimmungen entspricht. Medikamentenbelastete Tiere bleiben da in jedem Fall außen vor. Dinge wie BSE und Lasagne-Skandal haben die Nachfrage nach Pferdefleisch übrigens eher angekurbelt. "Die Leute haben uns gerade in dieser Zeit buchstäblich die Bude eingerannt, weil sie wussten, bei uns steht Pferd drauf und ist auch Pferd drin", erklärt Lauck schmunzelnd.

Das Fleisch ist ähnlich dem Wildfleisch kurzfaserig, sehr schmackhaft und geschmacklich keineswegs "streng", wie oft kolportiert wird. Das kann ich nur bestätigen. Wenn ich Pferderouladen, oder -goulasch zubereite, dann ist das ein vorzüglich kräftiger Geschmack vor allem bei der Soße, der aber absolut nichts mit "streng" zu tun hat, wie man es zum Beispiel vom Hammelfleisch her kennt. Aber auch dem breche ich eine Lanze, denn wenn man es richtig zubereitet, ist das wahrlich eine geschmackliche Delikatesse.

Dass Pferd in der deutschen Gastronomie eher ein Schattendasein fristet, hat wohl vor allem mit den Befindlichkeiten der Kontra-Pferdefleisch-Fraktion der Verbraucher zu tun. In rheinischen Gefilden aber wird dieses Fleisch in einer erstaunlich großen Anzahl von Restaurationen angeboten. Dort ist der Rheinische Sauerbraten eine besondere Spezialität. Natürlich traditionell aus Pferdefleisch.

Auch Köche wissen, dass man mit Pferd eine Menge anfangen kann, es sei denn, die Akzeptanz bei den Gästen ist da. Jan Eric Petermann, Koch aus Frankfurt, meint: "Pferdefleisch ist von seinen elektrolytischen Werten einwandfrei, im Geschmack sehr gut und für Braten und Kurzgebratenes ebenso gut geeignet wie zum rohen Verzehr mit Zitrone und Meersalz." Das kann man, meint Petermann, auch in der Spitzengastronomie umsetzen. Kann man, muss man aber nicht, meint dagegen Claus Alboth vom Hotel Dorotheenhof in Weimar. "Das ist als würde ich Hund oder Katze verarbeiten", sagt der zu den besten Köchen des Freistaates gehörende Hotellier. Aha, Meister Alboth, also doch nur Kopfkino. Haben Sie schon mal Pferdefleisch gegessen? "Nein", sagt der Mann mit der Einsteinmähne schelmisch lachend, "aber man weiß ja nie, was man vorgesetzt bekommt."

Fazit: Auch in Sachen Pferdefleisch sollte jeder nach seiner Fasson glücklich werden. Und sich vielleicht auch mal von dem überzeugen, was man kritisiert. Leider sind die Angebote an Gastronomie im Nordosten eher rar. Und was ich kenne, ist vom Ambiente und kulinarischen Angebot eher nicht empfehlenswert. Also bleibt nur der Gang zum Schlachter wie Rüdiger Lauck und der Selbstversuch am heimischen Herd. Die Liste der Zubereitungsmöglichkeiten ist groß. Probieren geht bekanntlich über studieren.

Diese Kolumne und dieser Beitrag erschienen im Rahmen der Seite
"Kochen & genießen" in der Schweriner Volkszeitung vom 12. August 2014.

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