Rezensiert: Wilde Liebhabereien am Küchentisch und anderswo

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<Vorspiel und Humor on>: Max gibt mal wieder an. Ich habe zu den ersten gehört, die das Teil druckfrisch in Händen gehalten haben. Mehr noch, ich habe "mindestens" vier von den zentnerschweren Kartons davon kostenfrei in den Verlag geschleppt. Lohn meiner Mühe, will man der Verlegerin glauben, die pünktlich zu spät zum Tragen aufgeschlagen ist: Ich war der erste, dem ein solches Teil leibhaftig zuteil wurde. Leider (noch) ohne persönliche Widmung.


Die Auflösung des Rätsels ist einfach. Es handelt sich um ein schnödes Buch. Format etwa 15 x 25. Sagt mein Fingermaß. 727 Gramm schwer. Sagt meine Frau. Mit Hilfe der Küchenwaage. Das hätte ich auch mit der linken Hand gewogen. Wer angibt, hat eben mehr vom Leben. Das Teil, respektive Buch, heißt "Wild Kitchen Project". Na logo, also Tiere im Knast. Das kann ja heiter werden. Warum lasse ich mich auch immer auf solche Orgien ein. Aber beim genauen hinschauen hat es wohl was mit "Äten un drinken to daun", wie man im Nordosten zu sagen pflegt. Also dann man ran an die jungen Pferde. Aber an die haben sich die vier  Autoren-Paare nicht herangetraut. Dafür hauen sie gnadenlos Waldbewohner in die Pfanne und machen auch vor kulinarischen Exoten nicht Halt. </Vorspiel und Humor off>.

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Nun mal "Butter bei die Fische", wie man auch im Nordosten sagt. Was nicht heißt, dass mir der Humor abhanden kommt. Vor mir liegt ein Buch mit knapp 180 Seiten, reich bebildert und in einer Art und Weise illustriert, die ganz nach meines Vaters Sohns Geschmack ist. Und um Geschmack dreht sich in dem schmalen Wälzer alles. Hier wird alles verwertet, was dem Waidmann vor die Büchse laufen kann. Es gefällt mir auf den ersten Blick, dass sich die Wild verwertenden Paare nicht etwa nur die edlen Teile hinter die Kiemen hauen, sondern kreativ ganzheitliche Verwertung praktizieren. Sagen wir es einmal so: Es ist ein Kochbuch, und es ist kein Kochbuch. Es ist aber ein Projekt, das sagt ja auch der Titel, das von kochender Leidenschaft geprägt ist.


Und es ist aus meiner Sicht ein lesenswert schmackhaftes Konglomerat aus Theorie und Praxis. Man erfährt hier ebenso, wie man mit den Rippchen von der Wildsau umgehen, oder einen Waschbär nahezu restfrei zu deftigem Gulasch verarbeitet. Dass einige der erlegten Viecher aus Wald und Flur eine Art Kopfkino mit anfänglichen esstechnischen Ladehemmungen verursachen, liegt buchstäblich in der Natur.


Was mir auf Anhieb gefällt, ist die meist kurze Einleitung in die Materie und der meist rasche Bezug zur eigentlichen Sache. Soll heißen, die Autoren stellen durchweg bodenständig-deftige Wildrezepte vor, an die sich auch Hobbyköche guten Gewissens herantrauen können. Und die erklärenden Hobbyköche verstehen es nahezu durchgängig, die Geschmacks-Verwandten an die Hand zu nehmen und sie im besten Sinne des Wortes zum Genus zu animieren und zu verführen.


Die "wilden" Rezepte zeigen eine fantastische geschmackliche Vielfalt auf. Kalorienarm kann man also en Detail vergessen: Butter und Wein gehören zum festen Zutaten-Repertoire. Gefällt mir auch. Hinzu kommt eine wüste geschmackliche Orgie in Verbindung mit Kräutern und Gewürzen. Da tropft der Zahn buchstäblich schon beim Lesen. Und es geht durchaus auch völlerisch zu: Immerhin - eine. Damhirschkeule pro Person... Respektabel. Und dass man Damwild auch mit Linsen und Couscous liiert, mein lieber Scholli...

Dass es in dem Buch auch um die wilde Wurst geht, braucht man eigentlich nicht erwähnen, sollte es aber geschmacklich erleben. Was diesbezüglich in Form gebracht wird, haut einen ambitionierten Wurst-Maxe wie mich nahezu um. "Daran könntschmer dod fressen...", würde der Sachse sagen. demgegenüber ist alles, was mit Knochen zu tun hat, nicht so mein Ding. Wenn ich mir die Dinger aber wegdenke, bin ich von den Angeboten sofort wieder Feuer und Flamme. Ganz zu schweigen von den Gaumenfreuden, die man allgemein eher abwertend den Innereien zuordnet. Und sogar mit wilden Biergerichten schleimen sich die Autoren ein. Die wissen, was Max mag. Da würde ich mich sogar in die geschmackliche Sasse wagen und ein Häschen in der Grube vernaschen. So sehr locken die langohrigen Kreationen.


Die einzelnen Rezepte in ihrer kreativen Gesamtheit zu erfassen, kann man auch als ambitionierter Feinschmecker nicht im Schnelldurchlauf erfassen. Das Ganze wird und muss ein längerer Prozess des Ausprobierens und -testens sein. Das, was ich bis jetzt in die kochtechnische Tiefe ergründen könnte, macht durchweg Sinn. Richtig, ich bin kein Koch, aber so würde ich einzelne Dinge auch umsetzen. Mehr noch, ich erhalte viele Anregungen über den eigenen Geschmack hinaus.


Darüber hinaus begeistert mich der kulinarische Mut der Autoren, Wild mit einem Hauch Exotik zu kombinieren, die man getrost ins Reich geschmacklicher Erotik befördern kann. Wer kommt schon auf eine Kombination von Hirschherz, Mufflonhals, Wildschweinnacken und Chorizo. O-Ton eines nicht namentlich benannten Sachsen: "Isch könnt irre wern vor Abbedid..." Dass im Detail auch Krähen, Elstern, Fuchs und Emu dran glauben müssen: Na ja, eben Geschmackssache. Aber trauen würde ich mich selbst an solche tierischen Zeitgenossen. Man(n) is(s)t schließlich mutig und wächst auch mit kulinarischen Herausforderungen. Ob ich die Krähenbrust mit Portweinglasur verkraften könnte: Kommt auf Schönheit und Alter der Krähe an. Manchmal soll ja auch der Herbst schöne Tage haben. Als alter Fuchs aber mal kosten, was seine Nebenbuhler an Geschmack zu bieten haben, das würde mich schon reizen.

Auch dass das Buch nicht auf eine dezente Art von Werbung verzichtet, ist für mich eher Gewinn, denn Makel. Es kann schließlich nie schaden, wenn man empfohlen bekommT, womit man am besten kocht, brät und grillt. Auch diesbezüglich beweist das Team um Herausgeberin, Mitautorin und motivbegabter Fotografin Jana Rogge ein  stilsicheres Händchen. Das "Werk" ist in sich rund... Bis auf die Dinge, die Max ins Auge stechen.


Dazu gehört die für meine Begriffe nahezu inflationäre Benutzung des Wortes "lecker", das es für mich im deutschen Wortschatz überhaupt nicht gibt. Ich weiß, ich übertreibe damit ganz bewusst und kokettiere nur zu gern mit dieser Ablehnung. Gleiches gilt auch für die vielen Angliszismen, die wohl den Geist der Zeit widerspiegeln sollen. Liebe Leute, ihr wollt wild kochen und habt nicht einmal den deftig-lutherischen Ton des Fressens und Saufens drauf. Der alte Reformator würde euch angesichts von "noise to tail" gehörig dir Leviten lesen. Das gilt auch für die allgemeinverständliche Bezeichnung von einzelnen Gerichten.  Man findet, da bin ich mir sicher, für alles sinnige deutsche Bezeichnungen. Worüber man über deren Berechtigung sowie Sinn und Unsinn gar trefflich parlieren kann. Trotzdem, oder gerade deswegen, bin ich mit Jana Rogge und ihren waidmännisch-kulinarischen Mitstreitern einer Meinung: Simpel ist nicht einfach.


Kurz und gut: Niemand is(s)t perfekt. Das ist ausdrücklich nochmals hintergündig-humorvoll gemeint. Respekt vor diesem schmackhaften Erstlingswerk, das ich guten Gewissens weiter empfehlen kann. Mit diesen  Machern setze ich mich gern jederzeit an einen Tisch, diskutiere und völlere mit ihnen bis zum "geht no", und "rülpse und furze" genussvoll wie der alte Luther... Sorry wegen dieser sprachlich-bildhaften Unfertigkeit...


Anmerkung: Das Buch hat den Untertitel "Rezepte und Erfahrungen für Liebhaber von Wild, BBQ und Outdoorküche" und ist in der 1. Auflage im Oktober 2016 im Eckhaus Verlag Weimar erschienen. ISBN: 978-3-945294-13-0

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