Wenn man neue Lust auf Fleisch verspricht, muss man gute Argumente haben. Cornelia Schinharl und Beat Koelliker haben sich getraut, dieses Versprechen abzugeben. Nachzulesen in ihrem Buch "Quinto Qarto" mit dem bezeichnenden Untertitel "Von Kopf bis Fuß, von Herz bis Niere. Klassische Rezepte aus der römischen Küche", erschienen im AT Verlag Aarau/München.
Es ist ein Buch, das nicht nur durch seinen Titel provoziert, sondern auch Erinnerungen und damit Emotionen weckt. Und nicht zuletzt Lust auf neuen, alten Geschmack weckt. "Quinto Quarto", das heißt umgangssprachlich das Fünfte Viertel. Geht gar nicht, oder: Dumm Tüch (auf hochdeutsch: Dummes Zeug) , wie der Norddeutsche sagen würde. Können die Italiener, respektive die Autoren nicht mal richtig rechnen.
Das Gegenteil ist der Fall. Denn mit der sogenannten Quinto Quarto Küche rechnen sie mit allem, was ein Tier zu bieten hat. Neben den jeweils zwei Vorder- und Hintervierteln eines Tieres, die das Muskelfleisch enthalten, verwerten sie als mengenmäßig recht beachtliches fünftes Viertel alles das, was beispielsweise in deutschen Metzgereien buchstäblich in die Tonne wandert. Dazu zählen Innereien wie Herz, Lunge, Magen, Niere, Bries und Zunge. Allenfalls der Leber wird gelegentlich der Rang eingeräumt, auf den Tisch des Gastes zu kommen.
Die beiden als ausgewiesene Italienkenner bekannten Autoren wecken in diesem Sinne die Neugier, wie sie im Vorwort schreiben, nach vergessenen Gerichten, vergessenen Geschmäcken und vergessenen Traditionen. Mich erinnern sie jedenfalls an meine Kindheit und Jugend, die kulinarisch nicht unwesentlich von Lungenhaschee, pikanten Nierchen und Kutteln geprägt waren. Und wie gern esse ich beispielsweise Zunge mit Buttersoße und Salzkartoffeln. Aber welches Restaurant bietet so etwas heute noch an. Solche Lokalitäten zu finden, sind oft dem Zufall überlassen.
In diesem Sinne befördert "Quinto Quarto" auch die Lust auf kochtechnische Wiederbelebung solcher kulinarischen Traditionen und schärft das Verständnis für ganzheitliche Verwertung und damit den bewussten Umgang mit und Respekt vor der Natur. Quasi im "theoretischen" Teil des Buches gehen Schinharl und Koelliker auch auf den gesundheitlichen Aspekt von Innereien ein und scheuen sich nicht, Pro und Kontra gegenüberzustellen. Ihr Fazit: Solche Kost, in Maßen genossen und fachgerecht zubereitet, ist unbedenklich und ein Genuss, auf den man nicht verzichten sollte.
Mit Anna Dente, Metzgerin und Köchin in der bekannten römischen "Osteria di San Cesario", und Annibale Mastroddi, einem der bekanntesten Metzger Roms in der Via di Ripetta, bringen sie außerdem profunde Kenner und Könner der kulinarischen Tradition des "Quinto Quarto" in Spiel, die sich neben weiteren Unterstützern des Buchprojekts als wertvolle Berater erweisen.
Womit wir beim Rezeptteil des Buches angekommen sind. Recht wissenswert und für jedermann verständlich geschrieben ist der jeweils auf eine Seite beschränkte warenkundliche Teil. Hier erfährt man alles, was beispielsweise Hühnerinnereien, Schwarte, Milz, Kutteln oder Ochsenschwanz ausmachen, wie man sie für die Verarbeitung vorbereitet, und worauf man beim Gang zum Metzger seines Vertrauens achten sollte.
Mir fällt auf und gefällt, dass jedes der, wenn ich richtig gezählt habe, 82 Rezepte mit einem kleinen erläuternden Vorspann versehen ist. Der enthält Angaben zum Ursprung der Gerichte, zum Würzen und zu empfehlenswerten Kombinationen mit anderen Produkten.
Die Beschreibung der Rezepte selbst ist denkbar übersichtlich. Die Zutaten bilden, bis auf die Beschaffung der Fleisch- und Innereiprodukte an sich, keine große Hürde. Gebraucht werden vor allem Olivenöl, diverse Kräuter und Gewürze sowie Gemüse, das nahezu überall erhältlich ist.
Beim Fleisch und den Innereien appellieren Autoren wie Ratgeber vor allem an die Frische des Produkts. Soll auch heißen, der beste Weg ist der direkte Kontakt zu einem Fleischerfachgeschäft.
Die Zubereitung sollte an Hand der kurzen, prägnanten, in der Abfolge stimmig aufeinander aufgebauten, Beschreibungen kein großes Problem sein. Hier können sich Anfänger und ambitionierte Hobby-Köche gleichermaßen ausprobieren und austoben. Denn die Rezepturen laden buchstäblich zum Experimentieren nach eigenem Gusto ein. Ich habe bereits die süßsaure Zunge probiert. Das passt geschmacklich und regt zum kreativen Würzen an. Nicht minder köstlich die gekochte Zunge mit grüner Soße. Letztere ist mir sonst eher suspekt, hat aber auf Grund der Zugabe von Sardellenfilets, Kapern und Zitronensaft einen besonderen Gaumenkitzel parat. Auch hier gilt: Probieren geht über studieren.
Klar, dass alle Rezepte des klassischen "Quinto Quatro" mit einer vorwiegend mediterranen Note versehen sind. Zum Einsatz kommen vielfach Tomaten, Pilze und diverses Gemüse. Die Rezeptempfehlungen richten sich nach der typischen italienischen Menüfolge von Vorspeisen und einem ersten und zweiten Hauptgang. Das muss man in deutschen Küchen gewiss nicht 1:1 umsetzen. Auch hier sind der Kreativität der Köchinnen und Köche keine Grenzen gesetzt.
So sind Kalbs- oder Schweinebäckchen mit Kräutern oder Pilzen durchaus ein eigenständiges Mittagsgericht in deutschen Haushalten. Extravaganter geht es schon bei gebratener Milz mit Tomaten und Salbei zu. Ist aber in dieser Kombination ein raffinierter Leckerbissen. Zugegeben, manche der Innereien bescheren schon ein gewisses Kopfkino. Das sollte man ausschalten und sich auf die Zubereitung konzentrieren. Dann kommen die Geschmackserlebnisse von allein.
Wer es opulenter mag, kann als Vorspeise Lammnieren mit Cherrytomaten, Crostini mit Backenspeck oder einen Kuttelsalat servieren. Die Bandbreite ist bei diesen Speisen beachtlich. Mich gelüstet es auch hier nach schmackhaften Zungenvarationen. Und nicht zu vergessen die abrundende Palette an Gemüsevariationen von Artischocken über ausgebackene Borretschblätter und Linsen mit Gemüse bis hin zu Zuccini mit Minze.
Ich habe mich einem Auberginen-Zitroen-Püree auf frischem Ciabatta hingegeben. Einfach köstlich. Das schmeckt bei einem Fernseh- oder Leseabend auch ohne alles. Samt einem Glas guten Wein, versteht sich. Und ich werde mich garantiert auch mal an die Schweinewürste mit Leber wagen, die in Kombination mit Kartoffeln, Gemüse und Kräutern eine Gartenparty mit Sicherheit geschmacklich bereichern. Wenn ich ganz mutig bin, kommt auch mal Kalbsherz auf dem Grill. Kopf ausschalten, würzen, grillen, genießen.
Fazit: Dieses reich bebilderte Buch ist eine Offenbarung für und Verbeugung vor einfache(r) und bodenständig geprägte(r) Küche, die geschmacklich-kombinatorisch keinen Vergleich zu scheuen braucht. Mehr noch: Es bietet reichlich Freiraum, die mediterran ausgerichteten Gerichte eigenständig zu interpretieren und für nahezu alle Anlässe Gaumenfreuden mit Produkten zu zaubern, denen man das eigentlich gar nicht zutraut.
Gepaart mit den redaktionellen Kapiteln aus dem kulinarischen Rom kann man den Band wie einen Roman lesen. Die Autoren bedienen sich diesbezüglich eines vergnüglich-lockeren Schreibstils. Ganz klar, sie wissen augenscheinlich, was Geschmack ausmacht. Empfehlenswert in jeder Hinsicht.