Es gibt Bücher, die habe ich nie zu Ende gelesen. Hermann Kants „Aula“ beispielsweise wartet noch heute darauf, meinen Geist zu erhellen. Nach höchstens drei Seiten habe ich stets die weiße Fahne gehisst, mich aber trotzdem mit eben diesem Thema durch die Deutsch-Abiturprüfung gemogelt. Und es gibt Bücher, die erleben erst einmal eine Wanderschaft durch unsere Wohnung, vom Tischchen neben meinem Sessel in der Wohnstube auf den Nachttisch, später auf meinen Schreibtisch, in ein Regal meines Büros, manchmal sogar auf den Küchentisch. Aber dann platzt plötzlich der lesetechnische Knoten und ich kriege die Seiten bei den Ohren und verputze sie in einem Ritt.
So geschehen bei einem Buch, dass seit Anfang 2018 eine solche Reise erlebt hat. Der Autor: Franz Keller. Den kenne ich virtuell aus manchem Facebook-Geplänkel, bei dem es auch manchmal ziemlich haarig hergeht. Denn der Franz ist um keinen Kommentar und keine Kritik verlegen, wenn ihm etwas gegen den Strich geht. So gesehen sind wir ziemlich seelenverwandt. Und er ist mitunter, obwohl er das im Klappentext seines Buches abstreitet, auch Zyniker mit einem gewissen Hang zur Arroganz. Auch darin ähneln wir uns, obwohl die Arroganz nur scheinbar ist. Denn am geschriebenen Wort erkennt man weder Mimik noch Gestik, geschweige denn ein Augenzwinkern.
Franz‘ im Westend-Verlag erschienenes Buch hat den bezeichnenden Titel „Vom Einfachen das Beste“. Es wird durch den Untertitel "Essen ist Politik oder Warum ich Bauer werden musste, um den perfekten Genuss zu finden" ergänzt. Das hat mich an Diskussionen mit meinem Vater erinnert, der weiland stets damit angegeben hat, anhand der Überschriften im "Neuen Deutschland" zu wissen, was im Zentralorgan stand. Zu seinem Ärger habe ich ihm das in den meisten Fällen widerlegt. Soll auch heißen: Mir war klar, was der Franz mir in seinem knapp 250 Seiten starken Buch erzählen wird. Mein Vater hätte geschmunzelt, dass ich mich, immerhin erwartungsgemäß, getäuscht habe.
Da ich weiß, dass der Koch Franz Keller zu den Besten seiner Zunft gehört, hätte ich auch einen gehörigen Anteil an Tipps und Tricks in Form von raffinierten Rezepten erwartet. Pustekuchen. Damit wartet der Autor erst zum Schluss auf und zeigt sich beeindruckend bescheiden, aber geschmacklich wahrlich bestens aufgestellt. Er tischt Endiviensalat mit Kartoffel, Speck und Ei ebenso auf wie einen deftigen Pot-au-feu oder Bratkartoffeln mit Garnelen. Und er resümiert seine Entwicklung vom Kochlehrling über den begehrten Sternekoch bis hin zum kochenden Bauern als einen Weg zur ehrlichen Küche. Die ist für ihn geprägt von bestem Gemüse als Hauptsache beim Essen und von artgerecht erzeugtem Fleisch als Beilage. Dass er dazu auch einen guten Tropfen schätzt, versteht sich von selbst. Besser: Ich hätte nie daran gezweifelt.
Bis zu dem Resümee bedarf es jedoch noch fast 200 Seiten um zu erkennen, was den Franz Keller im Leben angetrieben hat. Das beschreibt er sehr persönlich in einem kulinarisch geprägten, schriftlichen Sitten- und Familiengemälde inklusive eines nahezu berührenden Vater-Sohn-Konflikts. Damit öffnet er sehr sensibel seine Seele, legt aber insbesondere auch den Finger auf die Wunden der Wohlstandgesellschaft mit der „Geiz ist geil“ -Mentalität.
Die Art und Weise, wie Keller seine Gedanken zu Papier bringt, kennzeichnet ihn im besten Sinne des Wortes als Proletarier, respektive als schreibenden Koch und Bauer, ohne auch nur im Ansatz mit dem etwas abwertenden Begriff „Prolet“ in Verbindung bringen zu wollen. Keller schreibt mit sehr offener, direkter Sprache, hat aber auch das Vermögen, sich als Feingeist zu offenbaren und seine Philosophie über gutes Essen an den Leser zu bringen. Er schreibt ganz anders als der intellektuelle kulinarische Florettfechter Vincent Klink oder gar Jürgen Dollase der selbsternannte Papst aller Restaurant-Kritiker mit seinen teils aufgeblasenen kulinarischen Binsenweisheiten.
Franz Keller parliert in erfrischend zu lesender Weise so, wie ihm der Schnabel gewachsen ist und nennt eben ein Schwein, das nicht fett sein darf, eine arme Sau. Das gefällt mir ebenso wie die Schilderung seiner Begegnungen mit Weggefährten aus der kulinarischen Spitzenklasse von Bocuse bis Witzigmann, der ihm als Kollege und Freund ein sehr persönliches Vorwort verpasst hat.
Und sein Weg zum kochenden Bauern auf dem Falkenhof und den damit verbundenen Erfahrungen und Erkenntnissen ist ein beeindruckender Appell an alle, gutes Essen zu schätzen und auf Klasse statt Masse, also auf Qualität setzen. Eben die hat auch ihren Preis. Keller hält in diesem Kontext ein vehementes Plädoyer für eine dringend gebotene Reformation (nicht nur) deutscher Ess- und Kochkultur.
Gleichermaßen gefällt mir, dass Keller im Detail auch mit seinem Status als prominenter, querdenkender Spitzenkoch kokettiert und selbst die Politiker auf die Schippe nimmt, die genau diesem speziellem kulturellen Anspruch vermissen lassen und eigentlich vom Tuten und Blasen ihres Amtes keine Ahnung haben. Was ihn nicht davon abhielt, für nationale und internationale politische Größen aller Couleur Menüs der Extraklasse zu entwickeln. Ich wette, er hat das als eine Art politischer Bildungsarbeit verstanden.
Das gilt auch für seinen Aufruf, keine Angst vor dem Kochen zu haben und damit seine Leser buchstäblich in die Küche zu schicken. Lesenswert, ich wiederhole mich, ist das Schlusskapitel mit dem bezeichnenden Titel: „Auf dem Weg zu einer ehrlichen Küche“. Das habe ich mir mehrfach reingezogen. Nur dort, wo er im Buch mit statistischen Details aufwartet, habe ich etwas großzügig quer gelesen.
Mein Fazit: Dieses Buch ist von einer kurzweiligen kulinarisch-politischen Polemik gekennzeichnet. Franz Keller erweist sich ausgezeichneter Kenner und Könner der „Szene“ und dem damit verbundenen Umfeld. Es regt zum Nachdenken ebenso an, wie zum Schmunzeln. Denn der Franz, der das Wort "Abendbrot" ablehnt, ist auch ein ausgezeichneter Plauderer, wie nicht nur seine launigen Facebook-Einträge beweisen.
Wenn ich nicht ahnen würde, dass er solchen Ehrungen eher abhold ist, würde ich ihn als „Verdienter Kulinarischen Botschafter des Volkes“ vorschlagen und ihm um seine Verdienste in Sachen „Freten un Supen“, wie der Bayer nördlich des Weißwurschtsäquators sagt, den „Vaterländischen Verdienstorden in Gold mit Kochlöffel und Kochmesser“ am Bande verleihen. Chapeau, lieber Franz. Bleibe weiter ein Mahner. In jeder Hinsicht. Und bewahre dir Genuss in allen Lebenslagen.