WEISSE KRUG Wenn man Harald Ringstorff auf die Anfangszeit der Sozialdemokratischen Partei in der DDR anspricht, kommt der heute knapp 76-Jährige förmlich ins Schwärmen. Der eher als norddeutsch-kühler Pragmatiker bekannte Mann engagierte sich von Anfang in Rostock für die neue politische Bewegung. "Das war eine aufregende Zeit. Wir waren von einer mitreißenden Aufbruchstimmung geprägt und gründeten im März 1990 den ersten Landesvorstand in den späteren neuen Bundesländern", erinnert sich der ehemalige Ministerpräsident.
Und mit funkelnden Augen erzählt er von einer Begegnung mit Willy Brandt im Frühjahr 1990 in Warnemünde, der den Genossen im Nordosten Mut machte und sie dazu aufforderte, sich den politischen Stürmen der Zeit entgegenzusetzen. Kurios dagegen eine Anekdote, nach der ihm Bundeskanzlerin einmal erzählte, dass sie fast in den Reihen der SPD gelandet wäre, aber wohl Respekt vor den damit verbundenen Offenbarungen über DDR-Vergangenheit hatte, die mit einer SPD-Mitgliedschaft verbunden war.
Ohne mit der Wimper zu zucken, räumt Ringstorff aber ein, dass es für ihn und die meisten seiner Weggefährten um die Deutsche Einheit als Ziel der weiteren gesellschaftlichen Entwicklung ging. Ringstorff: "Wir haben vor allem gesehen, dass die DDR-Planwirtschaft am Ende war. Für weitere Experimente waren wir also nicht mehr zu haben." Über die Umsetzung des Einigungsvertrages habe er sich übrigens nie "eine Rübe gemacht", gesteht der promovierte Chemiker.
Er geht damit auf die These von DDR-Chefunterhändler Günther Krause (CDU) ein, der Vertrag wäre bis heute zu mindestens 40 Prozent nicht oder nur teilweise umgesetzt. "Krause pokert da offensichtlich etwas mit den Fakten. Natürlich gibt es einige Dinge, die noch nicht abgearbeitet sind. Über Prozente würde ich aber keine Rechnung aufmachen. Auch eine Diskussion über die Änderung des Grundgesetzes in Richtung Deutsche Bundesrepublik war seinerzeit müßig, denn es gab andere Prioritäten zu setzen", so Ringstorff in seinem Haus in Weiße Krug bei Warin.
Obwohl bereits zur Landtagswahl 1994 eine rot-rote Landesregierung in Schwerin möglich gewesen wäre, habe man zu diesem Zeitpunkt noch nicht ernsthaft über eine solche politische Konstellation nachgedacht. "Die Zeit war einfach noch nicht reif", sinniert der ehemalige Landesvater. Er ging zunächst als Vizepremier und Wirtschaftsminister in eine Große Koalition unter Berndt Seite (CDU). In dieser Zeit hat es ihn schwer getroffen, dass Seite ohne sein Wissen mit seiner damaligen Finanzministerin Bärbel Kleedehn bei Bundesfinanzminister Waigel den Werftendeal mit der Bremer Vulkan eigefädelt hat. Das hätte man, so Ringstorff, in einer Großen Koalition so nicht machen dürfen, die er angesichts stabiler Mehrheiten aber nicht grundsätzlich ablehnt. "Viel wichtiger ist jedoch, welche Inhalte man mit dem Partner umsetzen kann", so seine Einschätzung.
So kam es dann, auch wegen dem schlechten Klima zwischen CDU und SPD, 1998 bis 2006 zum sogenannten Prima-Klima-Klub von SPD und PDS, wie sich Ringstorff schmunzelnd erinnert. Und der frühere Ministerpräsident schätzt sogleich ernsthaft ein, dass es sich bei den Linkssozialisten um verlässliche Koalitionspartner mit fähigen Politiker handelte. Zu den Erfolgen dieser Zusammenarbeit zählt er eine gute Ansiedlungspolitik im gewerblichen Bereich, eine gedeihliche Entwicklung im Tourismusbereich sowie eine solide Finanzpolitik.
"Es gab natürlich auch Linke, mit denen man zurechtkommen musste. Aber das ist nun mal so, wenn unterschiedliche Charaktere zusammentreffen", schätzt er, ohne Namen zu nennen, ein. Die Entscheidung für eine Koalition mit der PDS war für ihn übrigens nie eine Frage der Macht für seine Person. Es ging stets um eine gedeihliche Entwicklung des Landes, meint Ringstorff, der sich zwar hintergründig-humorig durchaus als "knorrigen Baum im Norden", nicht aber als eigensinnigen, selbstverliebten Politiker bezeichnen lässt. Nur in einigen Dingen wie in der Bildungspolitik, habe er seine Standpunkte vehement verteidigt.
Dass Harald Ringstorff in seiner dritten Legislaturperiode als MP auf halber Strecke das politische Handtuch geworfen und sein Amt zur Verfügung gestellt hat, führt er aus heutiger Sicht sowohl auf eine gewisse Amtsmüdigkeit (O-Ton: "Es hat mich zunehmend sehr geschlaucht..."), als auch auf seinen bekannten Pragmatismus zurück, einen geordneten Führungswechsel herbeizuführen. Die gelegentliche Kritik, keinem politischen "Landesgewächs" den Staffelstab übergeben zu haben, begegnet er mit den Worten: "Es ist schon von Vorteil, aus dem Land zu kommen und zudem noch platt schnacken zu können. Aber es ist keine Bedingung. Und Erwin Sellering hat oft genug bewiesen, dass er sich den Problemen der Ostdeutschen engagiert und hörbar annimmt." Erklärend fügt er hinzu, dass bei der "Amtsübergabe nicht alles ganz glücklich gelaufen" sei und gegen mögliche Kandidaten wie Backhaus wegen diverser Eigenheiten durchaus nachvollziehbare Bedenken ins Feld geführt wurden.
Zu seinen Lebensweisheiten zähle übrigens, so Ringstorff, dass er anderen raten würde, nach etwas anderem als hauptamtlicher Politik zu streben. Immer aber wäre sein Rat (wenn schon, denn schon...) auch damit verbunden, Zuverlässigkeit zu bewahren, seine Linie plausibel zu begründen und zu ihr zu stehen.
Dieser Beitrag erschien am 22. September 2015 in der Schweriner Volkszeitung.