Geschmackssache: Max is(s)t treffsicher …

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Max' Kulinarische Kolumne - Tschech Kugeln à la Alter Weinberg

Wenn ich gelegentlich im Raum Berlin unterwegs bin, versäume ich (fast) nie einen Besuch im „Alten Weinberg“ in Storkow. Dort treffe ich dann meist (rein zufällig, versteht sich) meinen musischen Freund Lutz Jahoda und andere übliche Verdächtige aus der „Szene“, die sich regelmäßig zum kulinarischen Klönschnack treffen. Dort bieten Sylvia und Andreas Neidhardt eine vorzügliche, vielseitige Frischeküche an. In dem Haus gaben 2015 drei Storkower Gastronomen unter dem Motto „Geschichte zum aufessen“ den Startschuss für die sogenannten „Tschech Kugeln“.


Die haben ihren Ursprung nicht im Böhmischen, sondern gehen auf einen ehemaligen Bürgermeister namens Heinrich Ludwig Tschech zurück. Dem wurde, was heute eher die Ausnahme ist, sein Kampf gegen Korruption, Vetternwirtschaft und eingebürgerte Gewohnheiten, wie Holzdiebstahl schließlich zum Verhängnis und er quittierte resigniert nach neun Jahren den Dienst. Aus Frust wegen der Verweigerung der weiteren Anstellung im preußischen Staatsdienst beschloss er, König Friedrich Wilhelm IV. den Garaus zu machen. Der Schuss aus der Doppellauf-Pistole ging schief. Das Attentat kostete Tschech den Kopf und Storkow den guten Ruf. Die ganze Geschichte steht weiter unten.

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Die runden Dinger sind nun längst zu einer Storkower Spezialität geworden und erfreuen sich bei den Gästen großer Beliebtheit. Grund genug für mich, mir auch einmal die Kugel zu geben. Für vier Personen schneiden Sie je ein Pfund Schweine- und (je nach Saison) Wildfleisch in Würfel. Alles rein in eine Schüssel, mit Salz und Pfeffer würzen und gut vermengen. Dann kommen eine große Zwiebel von etwa 100 Gramm und etwa die gleiche Menge Pastinaken unters Messer. Letztere schmecken süßlich und würzig-nussig.  Ebenfalls würfeln und zu dem Fleisch geben. Geschmacklich abgerundet wird das Ganze noch mit gut 100 Gramm anderem Wurzelgemüse. Die diesbezügliche Palette reicht von Karotten über Knollensellerie, Petersilienwurzeln und Rote Bete bis hin Rettichen, Schwarzwurzeln, Steckrüben und Topinambur.


Damit das Fleisch später vor lauter Wurzelwerk in der Pfanne nicht verrückt wird, habe ich mich auf eine Kombination von Rettich und Knollensellerie beschränkt. Nun muss diese Fleisch-Gemüse zu einer homogenen Masse verarbeitet werden. Also ran an den Fleischwolf und alles gut durchdrehen. Der ist zwar küchentechnisch nicht mehr so sehr in Mode, erfüllt aber seinen Zweck nach wie vor bestens. Ich habe mir eigens für solche Gelegenheiten einen einfachen, aber neuen Fleischwolf zugelegt. Eine weitere, etwas antike Ausgabe gehört zu meinem schmückenden Küchen-Interieur. Haben Sie das Raubtier nicht zu Hand, können Sie sich auch mit Schweinehack begnügen und das Wildfleisch Ihrer Wahl, ich hatte Reh im Angebot, leicht angefroren in einem Mixer zerkleinern. Da reichen wenige Sekunden, um die gewünschte Konsistenz zu erhalten.


Die so erzeugte Masse wird dann mit zwei Eiern und knapp 100 Gramm Semmelmehl unterzogen, kräftig mit der Hand vermengt und schließlich zu den mordsmäßig pikanten Kugeln geformt und gebraten. Ich bevorzuge dabei die kräftige durchgebratene, aber nicht zu dunkle Variante. Die Weinberg-Küchenchefin tischt die kulinarische Munition mit einer Soße auf, die ich in einer Kombination aus Crème fraîche, Frischkäse, Brühe, etwas hellem Soßenbinder und einer würzigen Auswahl von meinem üppigen Kräuterbalkon adaptiert habe.


Als geschmackliches i-Tüpfelchen kommt noch der eine oder andere Klecks Preiselbeersoße auf den Teller. Dafür werden die leicht pürierten Beeren mit scharfen Chiliflocken liiert, die ich mir auch selbst herstelle. Mit einem frischen Salat samt einem Kräuter-Öl-Dressing schmeckt das auch ohne alles, aber auch mit Baguette oder in Scheiben geschnittenen, auch zusätzlich leicht angebratenen Semmelknödeln, gar trefflich. Die komprimierte Fassung der Zubereitung samt Vorschlägen zu geschmacklich-kombinatorischen Variationen gibt es wie immer in meiner Rezeptothek ...

Heinrich Ludwig Tschech (1789 bis 1844) war Sohn eines Superintendenten, besuchte das Gymnasium, studierte anschließend an der Leopoldina in Breslau und an der Brandenburgischen Universität Frankfurt (Oder) Rechtswissenschaft. Ab 1810 lebte er in Berlin, wo er auch seine spätere Frau kennenlernte. Dort war er in verschiedenen kaufmännischen Berufen tätig, so als Inhaber eines Lackiergeschäfts und in Immobiliengeschäften. Seit 1830 Assessor beim Eichamt, war er für die Kontrolle der Maße und Gewichte in Berliner Geschäften und Unternehmen zuständig. Außerdem engagierte er sich als Mitglied der Armenkommission seines Viertels in der Armenfürsorge.


Nach dem Tod seiner Frau wurde er 1832 Bürgermeister im brandenburgischen Storkow. Er soll dort nach Darstellung seiner Tochter Elisabeth durch sein tatkräftiges Eintreten für Verwaltungsreformen in Konflikt mit der Bürgerschaft und vorgesetzten Behörden geraten sein. Als einer seiner Kontrahenten zum Stadtverordnetenvorsteher gewählt wurde und sich auch der Landrat und dessen Sekretär wegen Eigenmächtigkeiten Tschechs der Partei seiner Gegner anschlossen, trat Tschech 1842 von seinem Amt zurück.


Nachdem er zahlreiche Eingaben und Gesuche um Wiedereinstellung an preußische Behörden gerichtet hatte, hiermit aber unter anderem wegen der in Storkow erteilten schlechten Zeugnisse erfolglos geblieben war, und nachdem er ebenso erfolglos auch an Mitglieder der Königsfamilie und zuletzt an den König selbst appelliert hatte, fasste er schließlich den Entschluss, den König zu töten und dadurch ein öffentliches Zeichen zu setzen. Einer eigenen Erklärung zufolge leitete ihn dabei nicht Rache, sondern die Überzeugung, dass ihm kein anderer Ausweg blieb, um vor der Welt seine verletzte Ehre wiederherzustellen.


„Da ich eine höhere menschliche Macht zur Erlangung meines Rechtes nicht in Anspruch nehmen konnte, so blieb mir nur noch das einzige Mittel, mein so tief verletztes Recht, meine mit Füssen getretene Ehre zu erreichen, vielleicht zu erhalten und wieder herzustellen. Denn nur auf diese Weise konnte meine Angelegenheit zur allgemeinen Weltsache werden.“

Er kaufte sich eine doppelläufige Pistole und bereitete sich mit Schießübungen auf seine Tat vor. Am Tag vor der Tat ließ er noch eine Daguerreotypie von sich anfertigen, „damit die Welt nach seinem etwaigen Tode sehe, dass seine Physiognomie nicht die eines gemeinen Schurken sei“. Dabei soll er die linke Hand auf die Brust gelegt, die rechte weit ausgestreckt und mit lauter Stimme „Kraft von oben!“ gerufen haben.


Am folgenden Morgen, dem 26. Juli 1844, begab er sich vor 8 Uhr zum Portal des Berliner Schlosses und stellte sich an der Schlosstreppe in der Nähe des wartenden königlichen Reisewagens auf. Als der König und dessen Gemahlin, Elisabeth Ludovika, aus dem Schloss heraustraten, um eine Reise nach Erdmannsdorf in Schlesien anzutreten, ließ Tschech die sich bietende Gelegenheit zum Attentat zunächst ungenutzt, nach eigener Aussage darum, weil er die Königin und die Personen im Gefolge der beiden nicht gefährden wollte. Erst nachdem das Königspaar sich im Wagen niedergelassen hatte, feuerte er schließlich beim Anfahren der Kutsche beide Läufe seiner Pistole auf den König ab.


Der König und die Königin blieben unversehrt. Eine der beiden Kugeln traf lediglich den Mantel der Königin bzw. einem populären Spottlied zufolge „die Landesmutter / durch den Rock ins Unterfutter“. Tschech wurde sofort überwältigt und verhaftet. Das Ausmaß der Aufregung, die das geschichtlich erste Attentat auf einen preußischen König erregte, ist umstritten, doch hatte es auch gesellschaftliche Folgen. Der Zoologische Garten Berlin z. B. wurde ein paar Tage später in aller Stille eröffnet. Quelle: Wikipedia


Der Volksmund spottete: „War denn je ein Mensch so frech, wie der Bürgermeister Tschech? Denn er traf fast auf ein Haar unser treues Königspaar.“ Wenn auch Tschech längst nicht mehr Bürgermeister von Storkow war, so galt doch weiterhin im Land: „Tschech verlor sein Kopf und Storkow seinen Ruf.“


Die in Storkow 2015 kreierten „Tschech Kugeln“ sollen an den ehmaligen Bürgermeister erinnern und mahnen: Keine Kugel ist es wert, bei einem Anschlag verschossen zu werden.

Diese Kolumne erschien am 1.7.2021 in allen Ausgaben der Schweriner Volkszeitung, der Neuen Osnabrücker Zeitung und ihren Partnermedien, der  Rheiderland Zeitung, den Ostfriesischen und den Grafschafter Nachrichten, sowie aller Ausgaben des SH:Z  Verlages in Schleswig-Holstein und einigen Ausgaben des Beig-Verlages Pinneberg.

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