Billy Wagner ist ein Gastronom in Berlin. Er betreibt in der Friedrichstraße das Restaurant „Nobelhart & Schmutzig“, das im ersten Jahr seines Bestehens auf Anhieb einen Stern erhalten hat. Wohl auch dank der öffentlichkeitswirksamen Umtriebigkeit seines Chefs. In dem Restaurant wird „brutal lokal“ gekocht. Soll auch heißen: Verarbeitet wird nur, was das Berliner Umland hergibt. Zitronen, Pfeffer und Olivenöl kennt diese Küche nicht. Na ja, Geschmacks- und Ansichtssache.
Und eben dieser rauschebärtige Wagner hat sich getraut, die deutsche Küche so zu charakterisieren: „…Deutschland fehlt (kulinarische) Identität. Wenn man über deutsche Gerichte redet, dann sind das zum größten Teil österreichische Gerichte. Man geht deutsch essen in Berlin oder anderswo in Deutschland und kriegt österreichische Gerichte vorgesetzt. Man kriegt zwar hier und da eine kleine Regionalküche, aber im Grundsätzlichen sind das alles österreichische Gerichte…“ Einen Skandal hat das zwar nicht ausgelöst, aber mancher Koch wird sich seinen Teil gedacht haben.
Nun ist an dieser Stelle kein Platz über die Unterschiede von deutscher und österreichischer Küche zu parlieren. Ein Blick in ein Buch von Adi Bittermann mit dem einnehmenden Titel „Die Österreichische Küche“ (Pichler Verlag) aber verrät viele Schnittmengen beider Küchen. Man darf auf meine Rezension gespannt sein, die ich wie immer auf meinem Portal veröffentliche. Um ein einfaches Beispiel der österreichischen Küche zu zeigen, habe ich ein Butterschnitzel herausgesucht. Klingt gut, ist aber schnitzeltechnisch eine Nullnummer. Denn genau genommen sind das Fleischklopse oder Buletten, wie man das im Deutschen nennen würde.
Man nehme zwei altbackene Semmeln, weiche die in einem viertel Liter Milch ein, drücke alles gut aus und rein in eine Schüssel. Dazu kommen zwei Eier und etwa 600 Gramm faschiertes Kalbfleisch. Letzteres hat nichts mit Fasching zu tun, sondern ist schlicht und einfach durch den Wolf gedrehtes Fleisch. Alles wird gut vermengt, nach Geschmack gesalzen, gepfeffert und nach Belieben mit Semmelbrösel versehen. Aus dem Teig formt man kleine Laibchen, wie der Österreicher die Klopse nennt. Inzwischen wird der Backofen auf 180 Grad vorgeheizt. Die Laibchen werden in einer Pfanne mit vier Esslöffel Butterschmalz kurz goldbraun angebraten.
Damit haben sie bereits den Status eines Butterschnitzels erlangt und müssen den Weg in eine feuerfeste Form antreten. Der Bratrückstand wird mit 250 Milliliter Rindsfond aufgegossen und auf etwa zwei Drittel reduziert. Dieser Saft kommt über die Laibchen, pardon: Butterschnitzel, und zudem noch kleine Butterflöckchen. Rein in den Ofen und etwa 20 Minuten garen. Die warm gestellten Butterschnitzel werden schließlich auf den Teller angerichtet. Die Bratensoße kann nach Geschmack beispielsweise mit Sauerrahm gebunden werden und wird um die Klopse gegossen. Dazu empfiehlt Bittermann Erdäpfelpüree mit gerösteten Zwiebelringen. Man kann auch, wie im deutschen Nordosten üblich, Kartoffelstampf dazu sagen.
Was sagt uns das? Der Unterschied liegt weniger in der Zubereitung als in der Wortwahl. Der Österreicher ist da vielleicht poetischer. Aber zugegeben: Einige Schmankerln aus dem Buch gefallen mir sehr gut. Deswegen bin ich kein kulinarischer Fremdgeher nach Österreich, wenn ich das in meiner Küche mit regionalen Zutaten zubereite. Muss ja nicht unbedingt „brutal lokal“ sein.
Diese Kolumne erschien am 1. Dezember 2015 in der Schweriner Volkszeitung.