Genuss der Zukunft in Mecklenburg-Vorpommern

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Es gibt eine weitere Ausgabe des Online-Magazins "MV - Land zum Leben". Darin habe ich mich dem "Genuss der Zukunft" im Nordosten gewidmet. Und natürlich habe ich mich auch ausführlich mit den Protagonisten des Beitrags unterhalten und so das Thema mit Interviews ergänzt.

Torsten Räth - "Hotel Bornmühle" Groß Nemerow

Torsten Räth wurde 1969 geboren und lernte bei der Deutschen Seereederei (DSR) Rostock Koch. Sein Ausbildungsbetrieb war das "Haus Sonne" in Rostock. Seit August 1992 Jahre arbeitet er in der "Bornmühle" in Groß Nemerow und ist dort aktuell als Küchendirektor tätig. Er zählt zu den besten Köchen des Landes und steht für ländlich-feine Küche mit regionalen Zutaten und raffinierten geschmacklich-kombinatorischen Kreationen.

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Du bist seit 30 Jahren in der Bornmühle. Wie schätzt du rückblickend deine Entwicklung als Koch ein? Haben sich die Schwerpunkte deiner „kochenden Philosophie“ verschoben?

Ich habe das gesamte bergauf und bergab entsprechender kulinarischer Repertoires bis hin zur Molekularküche er- und durchlebt. Ich bin aber nach wie vor der Meinung, dass die Gäste Handwerk auf dem Teller haben wollen. Deshalb sind mir Trends nicht so wichtig. Ich setze sie nicht zwangsläufig um, sondern vor allem auf handwerklich-geschmackliche Kreativität.


Was unterscheidet aus deiner Sicht den Gast des Jahres 1992 von dem 2022?

Die Gäste sind kundiger geworden und gehen bewusster essen. Drei-Gang-Menüs liegen, um im Wortspiel zu bleiben, im Trend. Das wird in unserem gastronomischen Segment auch weiterhin Bestand haben.


Anders gefragt: Sind Ansprüche von Koch und/oder Gast anders geworden, oder welche Einflüsse dominieren aus deiner Sicht?

Sagen wir es mal so: Das Essen ist seinen Preis wert. Man weiß, dass Qualität auf den Tisch kommt. Das honoriert der Gast auch gern.

Wie definierst du Kreativität und Innovation in der Küche? Haben sich die Akzente verschoben, etwa von artifizieller Anrichte zur Fokussierung auf das Produkt?

Kurz und bündig: Das Produkt ist der Star. Und das ist gut so. Ein guter Koch entwickelt daraus Kreationen mit verschiedenen Texturen und verschiedenen geschmacklichen Kombinationen.


Stichwort: Was essen wir „morgen“? Findet mit dem Bezug auf Tier- und Klimaschutz eine Art „Revolution auf dem Teller“ statt?

Vegetarisches Essen ist sozusagen auf dem Vormarsch. Es wird mehr Gemüse auf dem Teller, das variantenreich geschmacklich in Szene gesetzt wird. Die Gäste hinterfragen zunehmend auch Aspekte von Gesundheit, Nachhaltigkeit und Regionalität der Produkte. Dass mancher auch ergänzend ein gutes Stück Fleisch auf dem Teller schätzt, dagegen ist nichts einzuwenden.


Bei der Gelegenheit: Wie müsste die „Revolution auf dem Teller“? Wärst du einer von diesen „Revoluzzern“?

(lacht) Na ja, man muss es ja nicht übertreiben. Aber richtig ist, dass man sich mehr nach dem Gast richten wird. Das Umdenken im kulinarischen Sinn müsste auch politisch gefördert werden. Ich denke aber, der Veggie-Trend wird bleiben.


Wie soll/kann/muss künftig die (Spitzen-) Küche die Balance zwischen kulinarisch hochstehendem Anspruch und Bodenständigkeit in der Auswahl und Verarbeitung der Produkte wahren?

Ganz einfach: Man muss die Erzeuger und Lieferanten und damit die Produkte kennen, die man verarbeitet.

Qualität lässt sich in dieser Hinsicht nur über einen adäquaten Preis umsetzen. Sonst sterben solche gestandenen und notwendigen Geschäftsverbindungen.


Wie suchst und findest du den Kontakt und die Verbindung zu regionalen Erzeugern? Welche Prämissen setzt du dabei?

Da hilft nur eins: Immer die Augen und Ohren offenhalten und den Blick für Qualität bewahren. Es gibt ja neben den rein privaten Kontakten auch viele Möglichkeiten, auf gute Produkte aufmerksam zu werden. Stichworte: Internet, soziale Medien, Netzwerke. Ganz richtig ist letztlich die Begutachtung der Produkte vor Ort.


In diesem Kontext: Schließt regional auch die Kombination mit überregional-hochwertigen Produkten aus?

Regional ist ja für mich bereits Hochwertigkeit. Aber zur raffinierten Ergänzung von und Kombination mit bestimmten Produkten kann man natürlich auch zu überregionalen Produkten wie Jakobsmuscheln oder Kaisergranat greifen.


Deine Prognose/Vision: Wie sieht die anspruchsvolle Gastronomie bis zum Jahr 2030 aus? Wird es auch neue kulinarische Konzepte geben, um Gästewünschen gerecht zu werden?

Wir, damit meine ich vor allem auch unser Haus, müssen eigentlich nicht verändern, höchstens fokussierter hinsichtlich der Produkte und deren Verarbeitung werden. Es muss ein Dreiklang aus Nachhaltigkeit, Regionalität und Saisonalität erreicht werden, der durch gutes, kompetentes Personal umgesetzt wird. Die Personalfrage wird übrigens immer mehr zu einem Problem in der Branche.

Carolin und René Bobzin - "Bauernstube" Morgenitz

René Bobzin wurde 1973 geboren und war nach seiner Ausbildung zum Koch in renommiertenRestaurants u.a. in Hamburg, auf Schloss Bühlerhöhe im Schwarzwald und im Hotel Brandeburger Hof in Berlin tätig. Ab 2000 wurde er Küchendirektor im Landhaus zu den Rothen Forellen in Ilsenburg im Harz und erkochte dort 2005 einen Michelin-Stern. Nach weiteren beruflichen Stationen in Goslar und Bansin auf Usedom übernahm er 2015 mit seiner Frau die "Bauernstube" Morgenitz auf Usedom. Carolin Bobzin hat Tourismuswirtschaft studiert und leitet die Bauernstube als Gastgeberin.

Ihr seid seit 2015 in Morgenitz. Was hat sich seitdem in kulinarischer Hinsicht bei euch verändert? Ist das Angebot spezieller geworden, oder gibt es eine variable Kontinuität?

Carolin: Am Anfang standen auch Fleischgerichte. Aber wir haben uns konsequent in Richtung Fisch entwickelt. Auslöser dafür war der erste Zander, den wir komplett in der Pfanne an den Tisch gebracht haben.


Wie teilt man sich die Aufgaben zwischen Gastgeberin (Service) und Küchenchef in Bezug auf die Auswahl und Entwicklung der Speisen? Muss man diesbezüglich immer der gleichen Meinung sein? Humorig gefragt: Ist eine/r der „heimliche“ Chef?

Carolin: Die Gerichte denkt sich der Küchenchef aus. Rene ergänzt: Meine Frau hat uns sozusagen vollständig auf Fisch eingestellt und sie bekommt das auch wunderbar verkauft und stellt sich sehr einfühlsam-beratend auf den Geschmack der Gäste ein.


Was unterscheidet aus deiner Sicht den Gast des Jahres 2015 von dem 2022? Haben sich die Ansprüche an die Küche verändert?

René: Die Küche an sich hat sich eigentlich nicht verändert. Wohl aber die Qualität und Raffinesse der Verarbeitung der Produkte. Vor allem aber merken wir, dass das Vertrauen der Gäste in die Qualität unserer Gerichte gewachsen ist. Da bedarf es im Detail nur einer Empfehlung von Carolin.

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Bleibt es bei eurem Anspruch, hauptsächlich hochwertige, aber traditionelle Fischküche zu bieten? Gibt es auch Angebote in Richtung Fleisch und Gemüse?

René: (lacht) Was meine Frau sagt, wir gemacht. Da ist sie sehr energisch und konsequent. Extrawürste werden nicht gebraten und Fleisch ist in unserem Haus der kulinarische Einzelfall. Das Ergebnis gibt ihr recht: Angebot und Qualität in der Bauernstube haben sich herumgesprochen. Wir sind meist sehr gut ausgebucht. Was kann einem Koch Besseres passieren ...


Wie definierst du Kreativität und Innovation in der Küche, haben sich die Akzente verschoben, etwa von artifizieller Anrichte zur Fokussierung auf das Produkt?

René: Auf vielen Tellern verschwindet das Produkt an sich. In dieser Hinsicht ist beispielsweise die Sterne-Gastronomie ziemlich verspielt. Das ist bei uns nicht der Fall, ich verarbeite und richte ohne Schnickschnack an. Das wünschen und schätzen unsere Gäste auch.

Was essen wir „morgen“? Findet mit dem Bezug auf Tier- und Klimaschutz eine Art „Revolution auf dem Teller“ statt? Wenn ja, wie müsste die für euch aussehen?

René: Aus meiner Sicht sind wir genau das, was die Gäste jetzt und in Zukunft wollen: Erstklassige, frische Produkte unprätentiös auf den Teller gebracht. Der natürliche Geschmack ist Gegenwart und Zukunft guten Essens. Wir sind in diesem Sinne eine kulinarische Nische in der Region.


Nun ist ja Usedom auch für Geschmack bekannt. Woran krankt es aus deiner Sicht trotzdem?

René: Meines Erachtens werden vielfach die Prämissen falsch gesetzt. Die Sterneküche hat ihre Berechtigung für den guten Ruf. Aber im Segment "danach" fehlt es vielfach an bodenständiger Handwerklichkeit. Es fehlt einer Meinung nach "vor Gourmet" die solide kulinarische Grundlage dafür, was die Region geschmacklich ausmacht.

Wie wollt ihr die Balance zwischen kulinarisch-hochstehendem Anspruch und Bodenständigkeit in der Auswahl und Verarbeitung der Produkte wahren?

Carolin und René (unisono): Das sind die berühmten drei "T" - Tolles Produkt, tolles Handwerk, tolle Zubereitung. Auch das ist Gourmet, wenn auch mit einem anderen Ansatz.


Wie sucht/und findet ihr den Kontakt und die Verbindung zu regionalen Erzeugern? Welche Prämissen setzt ihr dabei?

René: Wir bräuchten noch mehr Fischer als Kooperationspartner. Da spielen auch politische Vorgaben eine Rolle. Aber wir suchen auch die Zusammenarbeit mit kleinen Zulieferern wie Kräuter- und Beerensammler. Und der nahe polnische Bauernmarkt liefert uns ebenfalls exzellente Produkte, die wir kreativ weiterverarbeiten.


Und bleibt es bei eurem Anspruch: Auf den Tisch kommt, was die Saison und die Region bieten? Oder gibt es auch ergänzende überregionale Produkte …?

Carolin (schmunzelt): Da beißt der Fisch keinen Faden ab. Rene (ergänzt): Aber wir verarbeiten auch erstklassigen Dorsch aus dem Nordatlantik vor Island, den die Ostsee nicht mehr genügend zu bieten hat.


Eure Prognose/Vision: Wird es in den nächsten Jahren neue kulinarische Konzepte geben (müssen)?

Carolin: Es mag vielleicht unlogisch klingen. Aber die Gäste müssen sich (mehr) auf die Gastronomie einstellen. Die gastronomisch-kulinarischen Nischen und Angebote werden weniger.

René: Es werden wohl auch politische Entscheidungen durchschlagen. Die Defizite im Berufs-Nachwuchs werden mehr zu Tragen kommen und der Einfluss aus Richtung Polen wird sich verstärken.

Daniel Schmidthaler - "Hotel Alte Schule" Fürstenhagen

Daniel Schmidthaler wurde 1981 in Österreich geboren und begann seine berufliche Laufbahn in St. Christoph im Arlberg. Später arbeitete er im mallorquinischen Restaurant "Tristan", im "Neuwirth", dem Restaurant des Hotels "Schwarzer Adler" in Kitzbühel und im "Brandenburger Hof" in Berlin. Nach einem Intermezzo als Küchenchef des "Kutscher-Haus" in Templin zog er gemeinsam mit seiner Frau Nicole ins Hotel und Restaurant "Alte Schule" in Fürstenhagen.


Hier erhielt er seinen ersten Michelin-Stern, den er jährlich verteidigte. 2016 wurde er als Berliner Meisterkoch der Region ausgezeichnet. 2022 wurde sein Restaurant "Klassenzimmer" mit dem Grünen Michelin-Stern für besonders nachhaltige Gastronomie ausgezeichnet. Ein ausführliches Interview zu seiner kochenden Philisophie gibt es auch hier ...

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Du bist gebürtiger Österreicher und seit vielen Jahren in MV. Wie schätzt du rückblickend deine Entwicklung als Koch im „hohen Norden“ ein?

Bei uns im Haus haben sich die kulinarischen Schwerpunkte verschoben. Im Nordosten eher nicht. Wir verfolgen immer stringenter eine kulinarische Linie in Richtung Regionalität und Saisonalität. Mit dem Begriff Bio habe ich nicht viel am Hut. Das ist aufgesetztes Marketing ...


Oder anders gefragt: Kochen die Österreicher anders als die Deutschen?

In Österreich spielt in der klassischen Küche mehr die Süße als die Säure eine Rolle. Ich sage immer, diese Küche ist wohliger und zugänglicher. Man erfindet die kulinarische Welt nicht neu. Was im Vergleich weder ein Vorteil noch ein Makel sein muss.


Wie hat sich aus deiner Sicht der Gast im Laufe der Jahre entwickelt? Konkret: Haben sich die Ansprüche von Koch und/oder Gast verändert, oder welche Einflüsse dominieren aus deiner Sicht?

Corona hat auch einige Gute befördert: Die Leute kochen mehr selbst und nehmen sich Zeit dafür. Und sie setzen zunehmend auf mehr Qualität. Demzufolge werden de Gäste auch jünger und bewusster in der Wahl der Speisen.

Wie definierst du Kreativität und Innovation in der Küche? Haben sich die Akzente verschoben, etwa von artifizieller Anrichte zur Fokussierung auf das Produkt?

Hast du etwas anderes erwartet, als dass das Produkt an sich immer mehr im Mittelpunkt steht? Trotzdem muss gerade in unserem gastronomischen Segment die vor allem geschmacklich-kombinatorische Spannung immer erhalten bleiben. Dieses Ziel verfolge ich sehr konsequent, ohne dass ich eine überhöht artifizielle Anrichte praktiziere.


Stichwort: Was essen wir "morgen"? Findet mit dem Bezug auf Tier- und Klimaschutz eine Art „Revolution auf dem Teller“ statt?

Ganz ehrlich: Ich hätte schon lange auf rein vegetarisch umgestellt. Das wird auch immer mehr. Aber man muss auch diesbezüglich verantwortungsbewusst agieren. Eine sogenannte flexitarische Ausrichtung mit viel Gemüse und Fleischanteilen ist kein schlechter Weg, meine ich. Ich träume aber schon von einem Stern für eine rein vegetarische Küche.


In diesem Zusammenhang: Wie müsste die „Revolution“ für dich aussehen? Werden sich Dinge wie Sterne, Punkte und Pfannen überflüssig machen?

Die Küchenchefs werden sich viel einfallen lassen und Gerichte für jeden Anspruche kreieren. Die Restaurant-Guides an sich werden sich relativieren, denn ihre "Ehrungen" sind sehr indifferent. Der Stern motiviert mehr das Personal. Letztlich ist es aber der Gast, der zufrieden sein muss.

Wie sollte man in der Spitzenküche die Balance zwischen kulinarisch-hochstehendem Anspruch und Bodenständigkeit in der Auswahl und Verarbeitung der Produkte wahren?

Das ist oft sehr schwierig umzusetzen und mit anderen, neuen Denkprozessen bei der Entwicklung von Gerichten verbunden. Eine große Rolle wird die raffinierte Verbindung von Aromen und die Kombination verschiedenster Produkte spielen.


Wie suchst/und findest du den Kontakt und die Verbindung zu regionalen Erzeugern? Welche Prämissen setzt du dabei?

Das alles hat sich kontinuierlich entwickelt. Besonders stabil sind unsere Beziehungen zu Gemüse-, Obst- und Wildlieferanten. Problematisch hingegen ist nach wie vor die Versorgung mit hochwertigem Fleisch. Da muss man viel Aufwand betreiben.


In diesem Kontext: Schließt regional aus deiner Sicht auch die Kombination mit überregional-hochwertigen Produkten aus?

Beides schließt sich nicht vollständig aus. Wo will man diesbezüglich Grenzen setzen? Die Linie ist natürlich hauptsächlich durch regionale Akzente gesetzt. Deswegen muss man aber nicht auf raffinierte Kombinationen verzichten. Und wichtig ist auch, dass der Gast über die Intentionen aus der Küche aufgeklärt werden muss.

Deine Prognose/Vision: Wie sieht die anspruchsvolle Gastronomie bis zum Jahr 2030 aus? Wird es auch neue kulinarische Konzepte geben, um Gästewünschen gerecht zu werden?

Meiner festen Überzeugung nach besteht die kulinarische Zukunft aus "Lässigkeit und Genuss". Das heißt: Kreativ in Szene gesetzte Top-Produkte auf dem Teller, die in lässiger Atmosphäre ohne zwanghafte Etikette, aber mit Stil, genossen werden können. In der Gourmet-Szene dürfte sich aus meiner Sicht ein 7-Gang-Menü durchsetzen, das geschmackliche Vielfalt ebenso bietet wie fantasievolle Möglichkeiten von Aromenspielereien.

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