In meiner heutigen Kolumne in der SVZ habe ich darauf Bezug genommen, wie anregend es sein kann, dem Nachbarn einmal in den Kochtopf zu schauen. Das macht umso mehr Spaß, wenn es sich um, koch- und küchentechnisch gesehen, eine schöne Nachbarin handelt. Im Rahmen des 33. Schleswig-Holstein Gourmet Festivals hatte ich gleich zweimal das Vergnügen, die Ehre und den Genuss, von schönen Nachbarinnen verwöhnt zu werden.
Genau genommen waren die aber gar keine Nachbarinnen, denn „nur“ die Orte des kulinarischen Handelns waren ins Nachbarland Schleswig-Holstein verlegt. Sie wissen schon, das sind die, die den „wahren Norden“ für sich beanspruchen. Na ja, dann kennt man dort den Nordosten von der Elbe bis nach Usedom noch nicht…
Spaß beiseite, Ernst komm‘ her: Susann Plaß von der Festival begleitenden Agentur hatte mich Mitte Januar 2020 schon nach Ahrensburg ins ****Park Hotel eingeladen. Gastköchin: Julia Komp aus Köln. Nun folgte Ende Februar Sonja Frühsammer aus Berlin, die im *****Waldhotel Reinbek ein fulminantes Menü offerierte. Da konnte und wollte ich nicht „Nein“ sagen.
Dazu muss man wissen, dass ich Anfang der 1990er Jahre in Aumühle/Wohltorf ein wohn- und in Hamburg ein arbeitstechnisches Intermezzo hatte. Bis ich in der Nacht vom 31. August zum 1. September 1994 wieder in den „wilden Osten“ abgehauen bin. Das ist natürlich scherzhaft gemeint und hatte eher private Gründe. Es war aber durchaus auch heimatlichen Sehnsüchten geschuldet, denen ich mich verpflichtet fühlte. Bereut habe ich es nie. Was nicht heißt, dass ich heute gern mal einen Abstecher in den Sachsenwald oder nach Hamburg unternehme.
So war mir auch das Waldhotel in Reinbek ein Begriff. Richtig kennengelernt habe ich das architektonisch markante Fünf-Sterne-Haus jedoch erst jetzt. Ich war beeindruckt: Tolle Zimmer mit allem Komfort modernen Wohnens, an deren Türen meist eine große Anzahl von Messingschildern von (mehr oder weniger) prominenten Gästen prangte, die dort logiert haben. Hier haben sich europäischer Hochadel und Promis aus Kunst, Kultur, Politik und Sport sozusagen die Klinke in die Hand gegeben. Immerhin, in meinem Zimmer nächtigten sogar mal Nachfahren aus der Dynastie derer von Metternich. Und vor allem hatte ich Glück, dass Jogi Löw nicht an meiner Zimmertür verewigt war. Das wäre ein Grund zum Umbuchen gewesen. Auch ein Scherz, aber…
Das Hotel überzeugt übrigens nicht nur gastgeberisch, auch die kulinarische Seite kann sich sehen lassen. In den gastronomischen Gefilden des Hauses finden nicht nur tolle Veranstaltungen mit viel Geschmack statt. Die Speisekarte des Restaurants zeugt auch von der Kreativität des Teams um Küchenchef Christian Dudka, das ein abwechslungsreiches Angebot an Gerichten zubereitet, die auch den verwöhnten Gaumen überzeugen. Und das man auch im Gourmet-Bereich mitspielen kann, bewies der Abend mit Sterneköchin Sonja Frühsammer, der sozusagen im Team „gewuppt“ wurde.
Womit ich beim eigentlich und dem Anlass meines Besuches angekommen bin. Zeit also, kulinarisch „Butter bei die Fische“ zu geben, wie es vor allem im Norden heißt. Die in Australien geborene Sonja Frühsammer, die im kindlichen Alter von vier Jahren mit ihren aus Berlin stammenden Eltern in die damalig getrennte Stadt zurückkehrte, hat ein Menü entwickelt, das mich geschmacklich-kombinatorisch beeindruckend überzeugt hat, aber auch eine Menge von ihrer kochenden Philosophie preisgegeben hat. Die würde ich vor allem damit verbinden, dass Frühsammer ein Faible für eine Kombination aus bodenständiger mit kombinatorisch raffinierter Küche steht. Sie wartet nicht per se mit exotischen Zutaten auf, die manche kaum aussprechen, geschweige denn schreiben können. Sie setzt solche Zutaten höchstens als geschmackliche Kontrapunkte ein.
In diesem Sinne hat sie auch das nachfolgende Menü kreiert, das buchstäblich zum Erkunden jeden Ganges einlud:
Amuse bouche: Avocado | Tomate
Wilde Garnele | Avocado| Rettich | Kumquat | Cashewkerne | Kräutersalat
Pochiertes Landei auf Makkaroni | Weizenmalz | Parmesanschaum
Kabeljau | Ochsenmaulvinaigrette | Liebstöckelbohnen
Entrecôte | Blumenkohl |Belugalinsen | grüner Pfeffer
Heidelbeere | Dilleis | weiße Schokolade
Schokolade | Lakritz | Salzkaramell
Ich kannte Sonjas Kochkunst bereits aus diversen kulinarischen Veranstaltungen wie dem „Großen Gourmet Preis“, dessen Konzept mir allerdings bekanntermaßen ziemlich suspekt ist. Ein durchgängiges Frühsammer-Menü aber hatte ich noch nie erlebt. Und das war eine ganz andere „Nummer“ und Klasse für sich.
Allein der appetitanregende Auftakt mit dem köstlichen, von Ehemann Peter Frühsammer gebackenem, Brot und einer dezent mit Paprika, Zitrone, Cayennepfeffer, Salz und Olivenöl war ein menütechnisch kongenialer Schachzug. Dazu muss man wissen, dass Peter Frühsammer ebenfalls ein exzellenter Koch mit Sterne-Vergangenheit ist. Da jedoch für seine Ehefrau im Restaurant „Frühsammers“ das Pendel immer mehr in Richtung Küchenchefin ausschlug und Peter (O-Ton Sonja) "bessere Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich Service und Sommelerie hat", entchloss man sich kurzerhand zu dieser Art Rollentausch. Ein Erfolgskonzept erster Güte, wie sich längst herausgestellt hat.
Die Spitzenköchin richtet eher unprätentiös an, artifizielle Schnörkel auf dem Teller sind ihr fremd. Man sieht, was man isst, muss aber schon genau hinschauen und schmecken im Sinne von dem bereits genannten Erkunden. Avocado mit einem Pulver aus getrockneten Tomaten zu umhüllen, ist ein Beispiel dafür.
Und eine Glasgarnele bayerischer Provenienz recht puristisch mit einem fabelhaften Kräutersalat aus Estragon, Dill, Kerbel, Radiccio, Mizuna (Senfgrün) und Frisee (Endivie) auf den Teller zu bringen ein anderes Beispiel dafür. Das dabei auch nochmals Avocado-Creme zur Anwendung kam, war eher ein Versehen bei den Menü-Entwicklung, das dann auf der Karte aus drucktechnischen Gründen nicht mehr zu korrigieren war, verriet mir Sonja Frühsammer schmunzelnd. Sei es drum: Da back‘ ich mir ein Ei drauf, hätte meine Tante Inge aus Aumühle in ihrer bekannt burschikosen Art gesagt…
Das Ei aber hat mich zu einem modifizierten Rezept im Rahmen meiner Mittwochskolumne verführt, zumal mir auch die raffiniert-deftige Ochsenmaul-Vinaigrette vorzüglich gemundet hat. Dazu hat die Köchin übrigens, abweichend von meiner Rezept-Variation, eine Kalbsmaske mit Zunge und Bäckchen gepökelt, gekocht, gepresst und in Streifen geschnitten, schließlich mit angeschwitzten Schalotten gemischt und mit Essig wie eine Vinaigrette abgeschmeckt.
Meine Variante, die aus virtueller Ideenfindung mit meinem Freund und Spitzenkoch Rainer Wolter entstanden ist, findet vielleicht auch ihr Interesse. Und wer, wie mein Tischnachbar aus Berlin, bei dem exzellenten Entrecôte in Form von Steak und Braten den avisierten grünen Pfeffer gesucht hat, hätte auf mich hören sollen. Der war nämlich in Form eines Gels beigefügt. Prima Idee, und man muss nicht auf die Pfefferkörner beißen. Was ich übrigens gern praktiziere, wegen dem temporären, scharfen Gaumenkitzel.
Und dass sowohl das Pre-Dessert als auch die finale süße Kombination ein Gaumenkitzel par excellence war, muss ich angesichts dieser Kreationen nicht erwähnen. Allein der Mut, Heidelbeere mit Dill-Eis zu liieren, spricht ebenso für Frühsammers Kreativität und Geschmackssicherheit wie der geschmacklich-kombinatorische Einsatz von Lakritz und Schokolade. Die begleitenden Weine wurden übrigens von Oliver Burschberg blumig-eloquent, aber auch etwas langatmig und ohne Punkt und Komma beschrieben. Was dem Genuss der edlen Tropfen letztlich keinen Abbruch getan hat.
Chapeau, liebe Sonja, ich ziehe meinen Hut ganz weit und verneige mich. Das war ein Erlebnis in jeder Beziehung. Vor allem das Erlebnis einer grandiosen Köchin mit einer zauberhaft natürlichen Ausstrahlung und einem offenen Blick. Der Peter ist ein Glückspilz. In jeder Beziehung. Das weiß er aber auch, hat er mir per Whatsapp verraten. Ich glaube es ihm auf’s Wort.