Eine kleine Geschichte: Weingrün, das ist sein Milljöh…

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Rotisserie Weingrün

Gertraudenstraß 10-12 - 10178 Berlin

www.rotisserie-weingruen.de

In meinem Leben als Journalist gibt es Momente, da es mir schwer fällt, einem Text sozusagen das Laufen zu lernen. Die Folge sind oft viele nächtliche Grübelstunden, um einen Einstieg meiner Wahl zu finden. Ist diese Hürde aber genommen, „looft det Janze“, wie der Berliner witzig-charmant sagt. Kein Wunder, dass ich das Bundeshauptdorf nicht nur wegen seiner Kodderschnauze in mein Herz geschlossen habe. Bei einem Besuch in Berlin ziehe ich mir in Sachen Gastronomie immer gern das originäre Berliner Flair rein. Das kann man unterschiedlich erleben.


Es beginnt bei einer Currywurst beim Konnopke „anne“ Schönhauser und reicht über einen Besuch in der Schultheiss-Kneipe „Zur Quelle“ in Alt-Moabit bis hin „Zur letzten Instanz“, einem Besuch bei „Mutter Hoppe“ im Nikolaiviertel oder im „Alt-Berliner Wirtshaus“ an der Wilhelmstraße. Und früher gehörte auch ein in Clärchens Ballhaus dazu. Kulinarisch gesehen sind das zugegebenermaßen keine Gourmet-Tempel mit herausragender Küche. Aber in der „Quelle“ beispielsweise langt mir neben einer Molle eine Bulette mit viel Senf und Schrippe, um dem Volk sozusagen auf’s Mal zu schauen. Köstlich, was man dort an Dialogen und Situationskomik erleben kann.

Das wäre wohl das Milieu gewesen, das der der olle Heinrich Zille heutzutage beobachtet und zeichnend in  Szene gesetzt hätte. Waren sein Milljöh, wie es im Berliner Jargon genannt wird, zwar vorwiegend die Hinterhöfe, kannte er sich dem bekannten Lied zufolge auch bestens in Kneipen und Destillen aus. Dass Zille aber kein gebürtiger Berliner war, wissen die Wenigsten. Seine Wiege stand jedenfalls im sächsischen Radeburg, obwohl der Pinselheinrich spätestens seit der Wende zum 20. Jahrundert nicht mehr aus dem Milljöh wegzudenken war.


Das war sozusagen das grübeltechnische Vorspiel. Jetzt kommt der Auftritt  eines Mannes, der längst zu einer Institution in der Berliner Gastronomie geworden ist: Herbert Beltle. Der ist übrigens auch kein gebürtiger Berliner. 1957 in Augsburg geboren ist er aber inzwischen in der Szene bekannt wie ein bunter Hund. Den Grundstock für sein kulinarisches Schaffen schuf Beltle 1988 mit dem „Alten Zollhaus“ am Landwehrgraben. Gut zehn Jahre später kam das „Aigner“ am Gendarmenmarkt hinzu. Und seit 2007 hat er die „Rotisserie Weingrün“ im Herzen der Hauptstadt eröffnet, in dem ich jüngst zu Gast war.

Kennen- und schätzengelernt habe ich Herbert bereits 2013 bei einem Charity-Golfturnier bie Berlin, als er mit einer großen Anzahl von Spitzenköchen für die Stiftung Kinderherz auftischte. Dass bis zum Besuch in einem seiner Restaurants bis 2019 dauerte, war den Unwägbarkeiten des Lebens geschuldet.


In eben diesem Jahr hat er das „Zollhaus“ in andere Hände gegeben bzw. den Pachtvertrag am Gendarmenmarkt nicht verlängert. Es spricht für sich, dass beide Häuser weitestgehend in seinem Sinn weitergeführt werden und auch die Ausrichtung der Restaurants sich nicht grundlegend ändert.


Nun gehört ihm „nur“ noch das „Weingrün“ unmittelbar auf der Fischerinsel im seinerzeitigen Marktviertel des alten Berlin. Das an der, den Kupfergraben überspannenden, Gertraudenbrücke gelegene Restaurant ist sozusagen sein „gastronomisches Alterswerk“, erklärte mir Beltle verschmitzt lachend im Interview. Man beachte, der Mann ist noch nicht einmal Altersrenter. Aber er hat sich ja auch noch nicht zur Ruhe gesetzt, sondern arbeitet mit landjährigen Mitarbeitern in einer „Alters-WG“.

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Das Restaurant in dem attraktiven Jugendstilhaus ist für mich das, was man guten Gewissen ein gastronomisches Wohnzimmer nennen kann. Eher puristisch, einfach und dezent eingerichtet, entsteht hier durch das Zusammenspiel von Farben, schmückenden Accessoires und Gemälden sowie einer fantastischen indirekten Beleuchtung eine Atmosphäre, die in jeder Beziehung entspannenden Aufenthalt und Genuss aufkommen lässt. Blickfang ist die riesige Wein-Wand ebenso wie der effektvoll eingebaute Flammwand-Grill. Daran kann man sich vor allem in den Abendstunden der eher dunklen Jahreszeit im doppeldeutigen Sinn gar nicht genug satt sehen. Ich vermag mir gar nicht auszumalen, welche reizvollen Motive Heinrich Zille hier festgehalten hätte.


Womit ich endlich zur Sache komme: Die „Rotisserie Weingrün“ definiert Beltle als ein Restaurant mit „auf das Wesentliche reduzierte bodenständig-deftiger Küche“. Dessen Aushängeschild sind  der Charakter einer Rotisserie und ein sehr spezielles Wein- und Getränkeangebot. Dazu muss man wissen, dass Herber Beltle seit 2005 auch Eigner des Weinguts Horcher in Kallstadt gehört, das seine ehemaligen Restaurants und das „Weingrün“ mit Spitzenweinen beliefert. Dass zum Angebot auch eine beachtliche Anzahl von Weinen anderer renommierter Weingüter aus Deutschland und Österreich gehören, versteht sich für den Chef von selbst.

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Ein Blick auf die Karte des Hauses verrät mir, dass Beltle nicht flunkert. Sein Team bietet (vermeintlich) einfache, aber umso raffinierter in Szene gesetzte Gerichte an. Obwohl er selbst im Restaurant nicht mehr am Herd steht, hat er dessen Geschicke fest in der Hand, entwickelt maßgeblich das Speisenangebot und setzt seine Vision von regionaler Küche um, die bei ihm schon immer eine kulinarisch-tragende Rolle gespielt hat. Im „Weingrün“ wird, etwa alle zwei Monate wechselnd, ein Mix aus Altbewährtem und Neuem angeboten, der sich vor allem daran orientiert zum Grill passt.


Dazu gehören Grill-Spezialitäten von Spare Ribs ebenso wie Masthähnchen, die nicht nur der Berliner hier noch Broiler nennt, US Rumpsteak, Thüringer Duroc Schwein sowie finnischer Flammlachs. Wer sich erst einmal in das Angebot hineinkosten möchte, dem empfiehlt der aufmerksame Service ein deftig-schmackhaftes Dreierlei vom Grill. Dazu kann  man  Beilagen aus Kartoffeln und Gemüse in großer Bandbreite wählen.


Auch die Vorspeisen haben es in sich. Mir hätten es diesbezüglich Tiroler Bergschinken mit Spreewaldgurke, Schwarzwurzel im Weinteig oder ein Pâté von Gänse-und Kalbsleber mit lauwarmem Brioche angetan. Lediglich der durchaus pikante Oktopussalat fällt für mich etwas aus dem Rahmen des eher deftigen Angebots.

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Im Rahmen meines ersten Kurzbesuches habe ich mich schließlich für eine Feigen-Ziegenkäse-Variation und einen krossen Schweinbauch entschieden. Alles ganz toll gewürzt und ganz meinem Verständnis von Genuss entsprechend. Alter Herbert, das war ein Gedicht von einem Gericht und ist der beste Garant dafür, dass es mich bei meinem nächsten Berlin-Besuch wieder an den Kupfergraben verschlägt. In der Hoffnung, dass sich dann die umgebenden Baustellen erledigt oder dezimiert haben.


Geschmacklich und kombinatorisch ohne Fehl und Tadel wird im „Weingrün“ eine eher unprätentiös angerichtete Küche aufgetischt, die auf artifizielle „Tröpfenchenkunst“ verzichtet, aber durch Geschmack und damit Genuss überzeugt.


Hier wird fernab von Gourmet- und Sternegastronomie eine Linie verfolgt, die zwar durchaus auch geschmacklichen Gourmet-Ansprüchen standhält, aber auf der Grundlage anspruchsvoller regionaler Landküche und auf der Grundlage soliden Kochhandwerks entwickelt wird.

Dass die Rotisserie selbst an einem normalen Oktober-Wochentag schon bald nach Öffnung sehr gut besucht war, zeigt mir, dass Beltle und sein Team den gastronomischen Nerv der Zeit getroffen und den Gaumen der Gäste erreicht hat. Um den Bogen zu Zille zu schließen: Mit dem und im „Weingrün“ hat sich der „alte Fuchs“ Herbert Beltle (s)ein „Milljöh“ geschaffen, das er hegen und pflegen und dafür noch ein gutes Weilchen in diese Schaffensperiode investieren wird.


Man darf auf weitere kulinarische Kreationen dieser Alters-WG gespannt sein. Dafür nehme ich sogar den langen Gang zur Toilette in Kauf, der Potenzial für einen mittleren Wandertag mit Überraschungen hat. Und ich werde mir auch ein Quartier in der Nähe suchen, damit ich neben einem guten Mahl auch einige Gläser der Horcher-Weine genießen und journalistisch-weinselige Studien betreiben kann. Wer weiß, vielleicht setzt sich dann der Geist von Heinrich Zille und seinem Milljöh mit an meinen Tisch…

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  • 97.3%
    Max’ Geschmacks Quotient (MGQ)

Der MGQ ist der Quotient aus der Summe der Einzelbewertungen in Bezug auf 
Angebot / Geschmack / Präsentation / Preis-Leistung / Service / Ambiente / Konzept

Kategorie: Restaurants  Oktober 2019

  • Angebot 96%
  • Geschmack 98%
  • Präsentation 96%
  • Preis-Leistung 97%
  • Service 98%
  • Ambiente 98%
  • Konzept 98%

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