Rezensiert: Untere Mittelklasse darf kein Anspruch sein

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Es wurde mehrfach vollmundig angekündigt. Und René Kalobius hat sich wie Bolle darauf gefreut. Das kann ich gut verstehen, denn wer freut sich nicht auf ein langes Interview in einem Hochglanz-Magazin zu seiner Arbeit und der damit verbundenen Philosophie.


Insider werden wissen, Kalobius ist Küchendirektor im Parkhotel Surenburg. Das ist, wie ich mich im vergangenen Jahr überzeugen konnte, ein vorzüglich geführtes 4-Sterne-Superior-Haus in landschaftlich herrlicher Gegend im Teutoburger Wald. Mehr noch, er hat bis Anfang 2016 in Italien gelebt, gearbeitet und ist bis dahin zwischen der Toskana und dem Tecklenburger Land gependelt. Umso beachtenswerter ist die Tatsache, dass er bereits Ende 2016 mit der „Westfälischen Stube“ den begehrten Michelin-Stern verteidigte und erstmals eigenständig „erkochte“. Man höre und staune: Im Alter von knapp 57 Jahren.


Dementsprechend war ich sehr gespannt, was die VG Medien UG im hessischen Schöneck dem kulinarisch-geneigten Leser und den Köchen aus Häusern aller Couleur im aktuellen Magazin „BestChefs“ dem Mann entlockt hat, den ich nun schon einige Jahre kenne und weiß, wie er denkt und redet. Mehr noch, ich habe mir alle der neun bisherigen Magazine schicken lassen, um mir ein authentisches Bild vom „Profil“ des Titels zu machen.

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Das Interview hat Chefredakteur Peter von Gersdorff geführt. Offensichtlich haben die beiden, will man der vorauseilenden virtuellen Kommunikation und dem Einleitungstext glauben, sehr lange geplaudert. Nun ja, die begleitenden Umstände des Gesprächs kenne ich nicht. Das Ergebnis aber verleitet zu Spekulationen, die jedoch kein Thema dieser Rezension sein sollen/dürfen.


Was mir an dem Beitrag gefällt, sind die großformatig in Szene gesetzten Fotos vom Hotel sowie von René Kalobius und seinen kulinarischen „Werken“. Damit, so viel sei vorweggenommen, hat sich meine Begeisterung für den 24-seitigen Beitrag eigentlich schon erschöpft. Nicht etwa, dass ich Kalobius‘ Antworten kritisiere oder infrage stelle. Aus meiner Sicht ist die Umsetzung des Interviews eine einzige redaktionelle Katastrophe, die dem Mensch und Koch René Kalobius nicht gerecht wird.


Für mich mutet das Interview wie ein monströses Kommuniqué eines fiktiven kulinarischen Zentralorgans in Form eines huldigenden Interviews mit einem, man möge mir diese bewusst humorig-sarkastische Bezeichnung nachsehen, kulinarischen Generalsekretär  an. Damit wird man dem Anliegen nicht gerecht und erweist auch dem, im besten Sinne des Wortes, „Küchenarbeiter“ René Kalobius keinen Gefallen.


In der Gesamtheit des Interviews fällt auf, dass der Chefredakteur weder einen roten Faden für das Gespräch mit dem Koch hatte, noch die Fähigkeit besitzt, das sicher mit dem Mikro aufgenommene Interview leserorientiert zu transkribieren, ohne auf Stil und Duktus der Sprache von René Kalobius zu verzichten und damit das Originäre seines Ausdrucks nicht zu verfälschen. Soll auch heißen: Interview-strategisch geht es, um im kulinarischen Bild zu bleiben, wie „Kraut und Rüben“ zu.

Die Fragen sind willkürlich gesetzt und lassen kein durchdachtes Konzept erkennen. Die Antworten sind bei allem Respekt vor den klugen Gedanken und dem Klartext von Kalobius viel zu lang in Szene gesetzt. Man hätte in diesem Sinne bei der redaktionellen Bearbeitung des Interviews klar strukturieren und mit Zwischenfragen mehr Ruhe und Übersicht in den Lesefluss bringen können, ja müssen. Aus der Sicht des Fragenden ist das Interview eine Gratwanderung zwischen Naivität und Unvermögen, solche Texte zu entwickeln und in eine passable Form zu bringen.


Noch niederschmetternder ist für mich die Tatsache, dass das gesamte Interview von einer dramatischen Fehlerquote in Sachen Rechtschreibung und Grammatik behaftet ist. Es ist eine alte Weisheit: Man(n) muss nicht alles können, aber man muss wissen, wo es steht, oder einen kennen, der einen kennt, der es kann. Soll auch heißen: Ein Lektor, Korrektor oder fähiger Redakteur hätte hier Wunder bewirkt. Als aufmerksamer Leser ist man geneigt, dem Redakteur des Beitrags eine Tüte Kommata oder andere Satzzeichen zu spendieren.


In dem Text sind Stilblüten bzw. Fehler, die grausen, wie ich immer humorig sage, „den Hund samt der Hütte“. Und man kann die auch nicht mit Tippfehlern entschuldigen. Bereits das vierte Wort des Beitrags ist ein eklatanter Rechtschreibfehler. Das setzt sich en masse bis ins Impressum und andere Beiträge des Magazins fort, das sich eigentlich dem Besonderen verpflichtet fühlt. Aber gut, das Ziel ist auch so erreicht.


Dabei habe ich noch gar nicht von dem Vorwort des Verlegers und Chefredakteurs gesprochen, der dort langatmig und einigermaßen abwegig gesellschaftspolitisch argumentiert, bevor er irgendwann zum Thema kulinarischer Genuss und Lebensfreude kommt. Ganz ehrlich, über diese argumentativen „Schlenker“ bin ich echt erschüttert. Auch hier zieht es mich zu prägnanten Pointen. Geschenkt. Ich lasse mir dazu nicht einmal einen von mir sonst bekannten flotten Spruch entlocken.

Ein weiterer negativer Aspekt im Kontext mit dem „Textverhau“ sind die „Reserven“ des Beitrags in Bezug auf Schriftsatz und Layout. Die wirken für den Betrachter aber eher wie Marginalien. So fehlen beispielsweise „richtige Absätze“ mit einer oder einer halben Leerzeile bzw. einem Einzug. Die Folge: Das Auge bekommt keine Ruhepausen, der Text keine Gliederung. Alles wirkt auf den Leser wie ein schwer verdaulicher Brocken und dem angenehmen Lesefluss entgegen. Oft wird mit drei Punkten hantiert, die aber nichts auslassen, sondern samt einem ordentlichen Satzbau höchstens durch Parenthesen (also eine Art Gedankenstriche) ersetzt werden müss(t)en.


Darüber hinaus ist es ein fragwürdiger gestalterischer Grundsatz, Bildunterschriften bzw. -erklärungen größer als den eigentlichen Text zu gestalten. Das entspricht weder der Logik der Lesehierarchie noch einer ausgewogenen Gestaltung, die in Form von Flatter- statt Blocksatz hier viel besser ins Auge fallen würde. Aber das sind neben anderen mehr oder weniger kleinen und großen gestalterischen Sünden Details, die dem „gemeinen Leser“ nicht auffallen, jedoch dem nahezu elitären Anspruch des Magazins nicht gerecht werden.


Ein Wort noch zur Titelseite des Magazins. Man wollte mit dem markanten Foto von René Kalobius  natürlich einen besonderen gestalterischen Akzent setzen. Ich habe mich darüber mit einer Diplom-Grafikdesignerin unterhalten, die seit 20 Jahren eigene Agenturen leitet. Deren Urteil in allgemeinverständlicher Kurzform: „Ein Magazin sollte auf der Titelseite eine starke Hierarchie der Elemente haben: Blickfang, Titel, Untertitel. Dies ist leider bei der vorliegenden Gestaltung nicht wirksam. Das Bild hat einen spannenden Anschnitt, ist aber im Zentrum ohne Motiv, der Titelschriftzug hat weder Kontrast noch Kraft…“

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Außerdem bietet, so die Grafikerin weiter, die Wahl der Schriftarten keinen großen Wiedererkennungswert, da sie aus der Beliebigkeit der Standard- und -systemschriften entstammen. Der auffälligste Fehler, der einem Schriftsetzer nicht passieren sollte, ist für sie der Einsatz falscher Kapitälchen, also Zeichensätze, bei denen die Kleinbuchstaben nach der Form von Großbuchstaben (Versalien) gezeichnet werden. In diesem Sinne sei der Mix von Kapitälchen und reinen Versalzeilen typografisch ein grober Schnitzer. Beides gehört nicht nebeneinander.


Erschwerend kommt hinzu, dass die Zeilen einen Farbwechsel haben, der zur Erhaltung des Lesekontrastes auf dem Bild nötig war. Dadurch wird die Zeile zusätzlich unterbrochen und ist nur mit Mühe zusammenhängend zu lesen. Ganz zu schweigen davon, merke ich an, dass auch bei solchen Gestaltungsversuchen grammatikalische Regeln gelten. Zugegeben, das alles ist fachliches Geplänkel, gehört aber auch zum Gesamteindruck, der Leser, Fachleute und wohl auch geneigte Anbieter im weitestgehenden  gastronomisch-kulinarischem Umfeld überzeugen soll.

Mein Fazit: René Kalobius ist ein Koch mit Charisma und großem Können. Seine Ansichten zum Beruf und zum Verständnis im Umgang mit Lebensmitteln sowie seine kochende Philosophie sprechen von tiefgründigem Verantwortungsgefühl und einem zeitgemäßen Anspruch. Ein Interview in dieser Form in Szene zu setzen, wird diesem Ansatz nicht oder nur ungenügend gerecht. Das gilt auch für die Darstellung und Würdigung der Leistungen des gesamten Teams des Parkhotels Surenburg in einem lesetechnisch logisch-verständlichem Kontext. Warum über solche und andere Beiträge keine sachlich-kritische Diskussion stattfindet, kann  man nur ahnen. Das wäre einmal einer vergleichenden Betrachtung wert.


Abschließend: Die Grafikerin hat mir gesagt, dass beispielsweise die Typografie des Magazins handwerklich gesehen untere Mittelklasse ist. Eben die darf kein Anspruch eines Beitrags über René Kalobius oder eines Magazins sein, das sich auf die Fahnen schreibt, „sich dem Koch zu widmen, der sich berufen fühlt, seiner Leidenschaft für gutes und gesundes Essen mit großem Einsatz nachzugehen.“


Nachsatz: Auf einen Scan von oder einen Link zu der Titelseite habe ich bewusst verzichtet. Stattdessen habe ich Fotos verwendet, die ich selbst aufgenommen habe. Wer möchte, kann sich bezüglich der Titelseite über Google schlau machen.

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