Seiten-Blicke: Kulinarische Identität schaffen

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Geschmackvoll: Geschmack auf der Spur

Als gelernter und studierte Archivar weiß ich Traditionen zu schätzen. Und das erst recht, wenn es um kulinarische Genüsse geht. Hut ab deshalb vor den Könnern der kochenden Zunft, die das Schnitzel nicht unbedingt neu erfinden, sondern sich an den Zutaten und Rezepten ihrer Vorfahren orientieren und so neue geschmackliche Erlebnisse schaffen. Ich bin immer wieder beeindruckt von der kreativen Neugier der Köche und der Leidenschaft, tolle kulinarische Einfälle zu präsentieren. In diesem Sinne ist ein guter Koch auch ein kulinarischer Archivar, der Altes bewahrt, auf seine Weise für die Gegenwart aufbereitet und den Tisch für seine Gäste reich und geschmackvoll deckt. Dazu bedarf es neben dem Blick ins Kochbuch mindestens zweier Blicke ins Leben. Denn man muss auch den Geschmack der Zeit kennen und ihn zeitgemäß umsetzen. Leider gibt es aber noch zu viele Gastronomen, die auf Masse statt auf Klasse setzen und für kleines Geld kulinarischen Einheitsbrei mit Einheitssoßen verkaufen. Hier muss neues Denken und Handeln einsetzen, wenn man eine Region wirklich schmackhaft machen möchte. Bleiben Sie neugierig, was ich weiterhin für Sie entdecken werde.

Neubrandenburg. Vor allem Touristen, die zwischen Elbe, Müritz und Ostsee Urlaub machen, erwarten kulinarisch eine Vielfalt regional-typischer Gerichte. Wer also als Gastronom oder Koch etwas auf sich hält, schaut schon mal in Großmutters Rezepte-Kladde oder in ein Kochbuch von anno dunnemal, um etwas geschmacklich Besonderes auf den Tisch zu zaubern. Wer solche Quellen nicht kennt, oder sein eigen nennt, dem kann jetzt trotzdem geholfen werden. Denn ein Team des Zentrums für Lebensmitteiltechnologie (ZLT) in Neubrandenburg unter Leitung von Holger Gniffke (Foto 1.v.l.) hat in akribischer Arbeit zusammengetragen, was der Nordosten historisch-kulinarisch zu bieten hat. Entstanden ist auf der Grundlage von Befragungen eine stattliche Liste von deftigen, aber auch süßen Speisen und Gerichten.


Dass man die nicht 1:1 umsetzen muss, versteht sich von selbst, weiß der ambitionierte Koch Gniffke: "Wir haben in diesem Zusammenhang keine Rezepte erforscht, sondern nur traditionelle Speisen aufgelistet. Das bietet den Köchen allerorts und in Häusern aller Couleur die Möglichkeit, fantasie- und geschmackvoll zu kombinieren und Gerichte zu entwickeln, die sozusagen aus der tradierten Küche neu aufgelegt sind."

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"Stimmt", meint auch Thomas Köpke, der Küchenchef des Romantik Hotels 'Gutshaus Ludorf' an der Müritz, "mit dem Blick in die Küche von gestern können sehr anspruchsvolle Speisen von heute entstehen." Er selbst hat beispielsweise Schweinslendchen entwickelt, die er aus John Brinckmans Buch "Kasper Ohm un ick" entlehnt hat. In dem Buch wird beschrieben, dass beim Onkel von Ohm  der Pluster-Schinken, das ist Schweinefleisch im Brotteig gebacken, mit Zucker und Zimt bestreut wird und sich eine herrliche Karamelkruste bildet. Köpke: "Aus dieser Beschreibung haben wir unsere Rezeptur Schweinslende Kasper-Ohm entwickelt, die bei den Gästen großen Anklang findet."

Solche Kreationen scheinen auch bei anderen Köchen der Region gut anzukommen. Immerhin fünf davon hat Holger Gniffke zwar nicht an einem Herd, aber in einer überdimensionalen Küche vereint, die sonst als Versuchslabor seines Hauses genutzt wird. Nicht überraschend war dabei, dass die Köche viel mit Kartoffelprodukten und natürlich Fisch in allen Variationen hantiert haben.

Umso köstlicher aber die Ergebnisse. Beispiele gefällig: Tollense Maräne mit Kartoffelselleriestampf, das berühmte Birnen, Bohnen und Speck, Mecklenburger Wurzelfleisch mit Kasseler, Hecht mit Blutwurstpuffer oder weiße Fische mit Flusskrebsen. Verführerisch auch der Mecklenburger Schwarzbrotpudding mit einem Ragout von jungem Rhabarber.

Ganz wichtig scheint mir bei der Umsetzung der Speisen auch die Tatsache zu sein, dass man sie relativ leicht nachkochen kann und trotzdem nicht auf geschmackliche und gestalterische Raffinessen verzichten muss. Thomas Köpke beispielsweise schwört in diesem Zusammenhang auf die Verwendung alter Gemüsesorten und Wildkräuter. Man darf sich also freuen, wenn das Ergebnis des ZLT-Projekts hoffentlich bald in Form einer Broschüre der Öffentlichkeit und den Köchen des Landes zur Verfügung steht. Das wäre eine echt geschmackvolle Visitenkarte und Einladung der besonderen Art für den kulinarischen Nordosten.

Diese Kolumne und dieser Beitrag erschienen im Rahmen der Seite
"Kochen & genießen" in der Schweriner Volkszeitung vom 6. Mai 2014.

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