Seiten-Blicke: Kräht der Hahn, wird aufgetischt

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Geschmackvoll: Unverhofft kommt oft

Geht's Ihnen auch manchmal so: Wenn man am wenigsten auf etwas hofft, ist die Überraschung umso größer. So etwa erlebe ich auf meinen kulinarischen Ausflügen von Kap Arkona bis zum Bodensee ziemlich oft. Das heißt nicht, dass die Überraschungen immer positiver Natur sind.  Das reicht vom mehr oder weniger ansprechenden Ambiente über kulinarische Kreationen, die man keinem Hund anbieten würde bis hin zum muffligen, gelangweilten Service. Umso größer ist die Freude, wenn man in eine eher unscheinbare Lokalität kommt und in jeder Beziehung einen Aha-Effekt erlebt. Und das beziehe ich keineswegs nur auf die sogenannte Gourmet-Gastronomie. Im Gegenteil: Solche Erlebnisse bescheren einem meist die Gasthäuser, in denen man das nicht voraussetzt. Dann wird wahr, was viele Köche sagen: Auch eine gut zubereitete Roulade, ein deftiges und gut souffliertes Schnitzel, oder ein deftiger Sauerbraten sind auch ein Genuss, der keinen Gourmet-Vergleich zu scheuen braucht. Man merke: Ein Gourmet wird als Feinschmecker definiert. Und wer will schon den Genuss einer pikanten Sülze mit knackigen  Bratkartoffeln in Abrede stellen. Mein Tipp: Suchen Sie allerorts solche feinschmeckenden Überraschungen und bleiben Sie neugierig, auf welche Pfade ich Sie weiter locke.

Finsterwalde. Wer gern auf kulinarisch interessanten Pfaden wandelt, erlebt in jeder Beziehung manche Überraschung.  Darauf war ich im eher  beschaulich-provinziellen Finsterwalde eigentlich nicht wirklich gefasst. Aber mein Freund Georg Schenk, Inhaber der Augustus Rex - Ersten Dresdner Spezialitätenbrennerei, hat mir einen heißen Tipp gegeben: "Gehe mal zu Frank Schreiber. Bei dem  wird vorzüglich aufgetischt, wenn der Hahn kräht." Auf dieses Wortspiel war ich gespannt, denn das Domizil von dem brandenburgischen Küchenchef ist der "Goldene Hahn", ein Hotel und Restaurant, das längst über die Region hinaus bekannt ist.

Frank Schreiber ist ein Kind der Sängerstadt, in der er 1974 geboren wurde. Er lernte bei der in der Kochszene bekannten Thea Nothnagel im Berliner Hilton und schloss seine Lehre immerhin um ein Jahr verkürzt mit Bravour ab. Später folgte er dem Ruf der Eltern und übernahm im 1862 erbauten Gasthof, der seit 1939 im Familienbesitz ist, die Leitung der Küche und ab 2010 die alleinige Leitung des Unternehmens. Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang auch bleiben, dass Schreiber seit 2004 den Meisterbrief als Küchenmeister hat 2006 Brandenburger Meisterkoch wurde. Im internationalen Rahmen wurde er bereits 1998 mit der deutschen Jugendnationalmannschaft der Köche im kanadischen Quebec Vizeweltmeister.

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Schreibers kulinarische Philosophie ist die "Neue Lausitzer Küche".  Der  Küchenchefs mit der stattlichen Statur eines Bilderbuch-Kochs, der seinen stattlichen Männerbauch humorig als Geschmacksdatenbank bezeichnet, klärt mich auf: "Da kann man sich ausleben und auf Traditionen bauen, denn Brandenburg war schon immer weltoffen. Das Land ist sozusagen Schmelztiegel der europäischen Küche,  und bietet Einflüsse der holländischen, schweizer und leichten französischen Küche."
Schreiber bietet in seiner offenen Küche dem Gast eine stark regional-akzentuierte Küche an, die, wie könnte es anders sein, von der Saison geprägt ist.

Soll wohl auch heißen, Spargel gibt's nicht zum Halloween und Erdbeeren nicht zur Fastnacht. Ob "Menü Regional" unter dem pfiffigen  Motto "Wo Preußen Sachsen küsst", oder den Menüs "Tradition" und "Modern": Der Küchenchef bietet eine unglaubliche kulinarisch-kompositorische Vielfalt und traut sich auch an gewagte, nicht alltägliche Dinge heran. Zanderfilet auf Blutwurst lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, eine Kräutersamtsuppe mit Ziegenfrischkäse und Tomatenchutney, lässt mein kulinarisches Innenleben buchstäblich aufleben, und schmackhafte Kalbsbäckchen sind ohnehin jede Sünde wert.

Vorspeisen und Suppen, Hauptgerichte, Desserts und Käse lassen sich aber auch a la carte zusammenstellen. Das bietet größte Reize für alle Geschmäcker. Mein "Traummenü" bestünde aus Seesaibling, vorab vieleicht noch eine kalte Lausitzer Gurkensuppe mit Jakobsmuschel, Joghurt und Dill. An den Kalbsbäckchen mit Pfifferlingen, Knollensellerie und Ofen-Karotten käme ich mit Sicherheit auch nicht vorbei. Wenn da nicht noch das Lamm oder der Rehrücken locken würden.

Das ist die bekannte Qual der Wahl. Beim Dessert würde ich auf die Sächsischen Quarkkeulchen, Buttermilch-Eis und Birne zurückgreifen. Und zum Schluss würde ich mir sicher auch noch einen kleinen Teller von Rohmilchkäse von Maitre Affineur Waltmann einverleiben. In der Hoffnung, dass man mich wegen dieser Völlerei keinen Gourmand schimpft, wie der Vielfraß gelegentlich genannt wird.

Bleibt noch zu erwähnen, dass das Haus auch eine sehr ansprechende Bistro-Karte mit bodenständig-anspruchsvollen Gerichten zu sehr fairen Preisen präsentiert. Empfehlenswert für den kulinarischen Nachwuchs U30 ist auch das sogenannte Twenü, ein 3-Gang-Menü mit Aperitif, Amuse bouche, zwei Gläsern Wein, Mineralwasser, Kaffee und Pralinen. Das ist echte kulinarische Nachwuchsförderung.

Diese Kolumne und dieser Beitrag erschienen im Rahmen der Seite
"Kochen & genießen" in der Schweriner Volkszeitung vom 11. November 2014.

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