Kein Geringerer als der große Kurt Tucholsky hat mal gesagt: "Schade, dass man Wein nicht streicheln kann". Umso schöner ist es, dass der Wein den Menschen streichelt, gute Laune macht, anregende Stunden und gute Gespräche beschert. Vorausgesetzt natürlich immer, dass der Genuss in Maßen bleibt. Ich mag vor allem deutsche Weine aller Anbaugebiete. Das hat nichts mit vinophilem Nationalismus zu tun. Es ist eben eine Frage des Geschmacks, der immer wieder heiß diskutiert wird. Ich probiere oft Weine von den Weinhängen an Saale-Unstrut oder Elbe von Meißen bis Pillnitz aus. Das sind, bei aller Unterschiedlichkeit im Ausbau der Weine, immer wieder Erlebnisse, die Geschmack prägen und entwickeln. Klaus Zimmerling aus Pillnitz beispielsweise hat Tröpfchen auf Lager, die bescheren Geschmacks-Erlebnisse vom Feinsten. Meine Großmutter pflegte in solchen Fällen immer deftig-pointiert zu sagen: "Es ist, als wenn dir ein Engel auf die Zunge pinkelt". Preise sind für mich in dieser Hinsicht Schall und Rauch, wohl aber ein Hinweis auf Qualität und ein Anreiz dafür, auf neue Sorten neugierig zu sein. Eben diese Neugier möge auch Ihnen beschieden sein...
Heiligendamm. Alles Einbildung, meinen einige besonders Schlaue. Beim Wein ist nur der Geschmack entscheidend, objektive Kriterien für die Qualität gibt es nicht. Das stimmt so nicht, meint eine, die es wissen muss. Und wer meint, dass eine 32-Jährige davon nichts verstehen kann, wird schnell eines Besseren belehrt, denn ihr beruflicher Werdegang ist eine Art "Who is who" von Spitzengastronomie und Spitzenweingütern.
Aline Henriette Nagel ist 2005 in die Tätigkeit einer Sommelière (zu gut deutsch: Weinkellner) eingestiegen. Und das immerhin im legendären schottischen Glenaegles Hotel. Zuvor hatte die gelernte Restaurantfachfrau schon in renommierten Hotels und Restaurants gearbeitet und ist sogar ein halbes Jahr auf der MS Deutschland über die Weltmeere geschippert. "Es gibt schlechtere Arbeitsstellen", meint die in Sachsen geborene und in Süddeutschland aufgewachsene junge Frau schmunzelnd. Das trifft wohl auch auf ihre jetzige Wirkungsstätte, dem Grand Hotel Heiligendamm direkt an der Ostsee zu.
Aber nun mal Butter bei die Fische, Frau Nagel: Wie ist das denn nun mit dem Geschmack und der Qualität eines Weines? Aline Nagel: "Es ist eine Wechselwirkung aus beidem. Der Geschmack spielt natürlich eine große Rolle. Aber für Spitzenweine gibt es schon objektive Kriterien. Dazu gehören das Weinjahr ebenso wie die Lage des Weinbergs, die Qualitätsstufen des Weines wie Kabinett, Auslese und so weiter. Aber natürlich auch die Philosophie des Winzers, wie er den Wein ausbaut und die Reben ausdünnt, damit das Sonnenlicht sein Übriges tun kann und letztlich ein exzellentes Fruchtsäurespiel herauskommt."
Der Geschmack, meint die Weinkennerin, die nach dem Abschluss der Sommelièrschule 2009 in München gegenwärtig noch den Weinakademiker an der Weinakademie in Geisenheim ablegt, hat viele Facetten. So bevorzugen etwa Männer eher tanninreiche, Frauen leichtere Weinsorten. Den Geschmack beeinflusst auch die vinophile Einstellung, die Weinerfahrung und der Austausch von Erfahrungen mit Gleichgesinnten. Selbst das aktuelle Wohlbefinden wirken sich auf den Geschmack aus. "Wein streichelt die Seele, wenn es einem mal nicht so gut geht", weiß Aline Nagel. Und Geschmack kann man lernen, meint sie: "Es ist dem Weinverständnis und dem Geschmack sehr förderlich, wenn man sich ein paar Grundlagen des Weines zu eigen macht.
In diesem Zusammenhang helfen sogenannte Weinguides sehr, die Wein beschreiben und damit so ganz nebenbei auch wunderbare Reiseziele zum Beispiel in Deutschland vermitteln." Das bildet ungemein, schafft bleibende vinophile Erlebnisse und schärft den Geschmack nach und nach. Aline Nagel: "Man sollte facettenreich verkosten und sich an den Wein herantasten, sich sozusagen Erfahrung antrinken. Dann wird sich der Geschmack auch einmal ändern." Ihr Rat: Erst trinken, was gefällt. Dann die verschiedenen Prädikatsstufen ausprobieren und schließlich auch das Weingut und seine Philosophie hinterfragen.
Ob man unbedenklich auch zu preiswerten Wein-Angeboten von Aldi & Co. greifen kann, sagt die Sommelière eindeutig: "Diese Märkte haben durchaus gute Sortimente. Sie erreichen eine breite Masse und erfüllen damit ihre Zweck, Lust auf Wein zu machen. Man muss aber auch unter diesen Sorten eine gewisse Bereitschaft für Wein entwickeln. Ich empfehle deshalb in Korrespondenz von Geschmack und Qualität immer Weine ab fünf Euro. Das muss man einfach ausprobieren."
Der Weinkenner, meint Aline Nagel, erkennt die Qualität über den Geschmack. Der geschmacklich eher unbedarfte Weintrinker sieht das unter Umständen anders und wählt nur nach Geschmack aus. Was nicht heißt, dass sich damit immer wirklich Qualität verbindet. Das kann man im beschriebenen Sinne ändern, dann wird sich auch das Weinerlebnis zunehmend anders gestalten. Und wer gute Ratschläge schätzt, bekommt die auch im Rahmen ihrer Reihe "Winzer zu Gast" in Heiligendamm, vergisst sie nicht zu erwähnen.
Diese Kolumne und dieser Beitrag erschienen im Rahmen der Seite
"Kochen & genießen" in der Schweriner Volkszeitung vom 15. April 2014.