Rezensiert: Kulinarisch-vinophile Einladung zum Genuss

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Darauf gekommen bin ich eher zufällig. Wieder einmal über Facebook, das virtuelle Medium mit den vielen Facetten, deren Palette ich an dieser Stelle nicht näher beschreiben möchte. Auf jeden Fall hat mich der Versuch für die Rezension eines kulinarischen Werkes neugierig gemacht, dessen Titel zweimal das Wort "Deutsch" enthält. Auch darüber könnte man angesichts des aktuellen Geschehens in deutschen Landen nuancenreich parlieren. Auch das will ich vor allem aus thematischen Gründen lieber sein lassen. Obwohl über Geschmack gerade in dieser Beziehung trefflich zu streiten wäre.

Ich kürze die Auflösung ab: Es handelt sich um das Buch von Paula Bosch und Tim Raue "Deutscher Wein - Deutsche Küche", erschienen 2015 im Verlag Georg D.W. Callwey. Allein die Namen der beiden Protagonisten lassen aufhorchen. Beide sind ausgewiesene Könner auf ihrem Gebiet. Paula Bosch geht der Ruf der ersten deutschen Sommeliere und exzellenten Kennerin der Weinszene voraus. Tim Raue gilt als umtriebiger Spitzenkoch, der nicht nur mit seinen kulinarischen Konzepten mitunter polarisiert. Mit ihm habe ich mich im Rahmen meiner Tätigkeit als Journalist mit dem Schwerpunkt Kulinarik schon des Öfteren  auseinandergesetzt. Von Bosch habe ich eher gelegentlich gelesen. Wohl wissend, welche Rang sie in ihrem Fach einnimmt. Auch in der Neugier, zu erkunden, was beide über das Stichwort "Deutsch" zusammengeführt hat, lag für mich der Reiz,  das Buch im Stil eines stattlichen Wälzers ausführlich unter die Lupe zu nehmen.

Nun zur Sache selbst: Was Bosch und Raue anbieten, ist im besten Sinne des Wortes eine thematische Premiere. Dazu braucht man als halbwegs Bewanderter in diesem speziellen Buch-Metier noch nicht einmal den Klappentext des Verlages zu lesen. Denn man wird keine Titel finden, die sich in vergleichbarer Weise mit der Liaison deutscher Weine und deutscher Küche beschäftigen. Und eben das ist, ohne Details vorwegzunehmen, aus meiner Sicht das Hauptverdienst beider Autoren, die bereits in ihren kurzen, prägnanten Vorworten auf ihr Anliegen einzustimmen.

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Es geht ihnen darum, über Essen und Wein zu kulinarischen Ausflügen zu, wie Bosch es formuliert, "Erfahrungen, Erkenntnissen und Abenteuern" in deutschen Landen zu finden. Und damit sekundiert sie Raue, dem es Bedürfnis ist, deutsche Küche aus ihrem "Dornröschenschlaf" zu wecken. Auch damit wird er sich sicher den Widerspruch einiger Berufskollegen und/oder Gastronomen einhandeln, die meinen, deutsche Küche auf hohem Niveau und vor allem auch in tradierter Art und Weise anzubieten. Das ist, finde ich, im Kontext mit dem vorliegenden Buch und der thematischen Verbindung von Essen und Wein der falsche argumentative Ansatz.

Raues Anliegen besteht nämlich mit Sicherheit, zu dieser Behauptung ringe ich mich gern durch, nicht darin, deutsche Küche an sich zu kritisieren. Vielmehr möchte er auch traditionellen deutschen Gerichten mit ganz individuellen geschmacklichen Noten und mit schlichter, aber zeitgemäßer Präsentation den Rang zukommen lassen, der ihnen gebührt. Und Raue beweist mit seinen Rezepten, welche Intentionen er diesbezüglich verfolgt.

Dem Grunde nach könnte man es mit "klein und fein" umreißen. Aber mit den Weintipps von Paula Bosch erreichen erfreulicher Weise die herkömmlichen Gerichte eine ganz neue Dimension der kulinarischen Darstellung in einem Kochbuch. In diesem Sinne ist das Buch für mich mehr eine Art kulinarisches Lesebuch und Anreiz dafür, deutsche Küche geschmacklich-kombinatorisch und in der Präsentation neu zu interpretieren und mit den besten Tropfen zu kombinieren, die deutsche Weinkeller zu bieten haben. Dabei spielen Intuition ebenso wie hohes fachliches Wissen eine große Rolle. Beide Autoren setzen das in gebotener Kürze und sprachlich nahezu puristisch, aber sehr lesenswert um.

Wenn man so will, hat Paula Bosch in dem Buch sozusagen den Lehrbuch-Teil übernommen, der etwa zwei Drittel umfasst. Sie erklärt darin 13 deutsche Weinregionen, stellt 101 ausgewählte renommierte "Weinmacher" und junge "Weintalente und Newcomer" sowie über 350 Weine vor.

Jede Region ist als visueller Einstieg mit einer Grafik und Angaben zur Lage, zu den Böden und den jeweils TOP 3 von Rot- und Weißwein versehen. Die Autorin erklärt kurz, aber anschaulich die Besonderheiten jeder Region und hat in verständlicher Sprache auch Angaben zur Entstehung der Landschaft parat. Gleiches gilt für die Angaben zu den Weingütern und Winzern.

Bosch beschränkt sich in aller Kürze auf das Wesentliche, schürt dabei Neugierde auf weitere Informationen und lädt damit buchstäblich zu einer Weinreise in die jeweilige Region ein. Wer weiterführende Informationen einholen möchte, kann sich in einem Informationsteil schlau machen, der Weingüter von A-Z mit allen Kontaktangaben und, wie könnte es anders sein, mit der Internet-Adresse auflistet.


Jedes Weingut wird mit seinen besten Lagen entsprechend der VDP-Klassifikationspyramide und Rebsorten kurz und präzise besprochen. Selbst Angaben zu den Wein-Preisen macht die Autoren in einer selbst entwickelten 5-stufigen Skala. Sehr gut und übersichtlich gelöst ist auch die von Bosch angebotene Typisierung und Erläuterung zu den weißen und roten Rebsorten. Und sie verbindet dabei, ganz dem Anliegen des Buches geschuldet, allgemeine Empfehlungen, zu welchen Speisen die Rebsorten gut passen. Das ermöglicht auch den Einsteigern in die Materie Wein einen guten Überblick, ohne gleich mit kompliziertem Weinwissen überfordert zu sein.

Damit stellt Paula Bosch einen idealen Übergang zum kreativen Part ein, den Tim Raue nahtlos und ohne Einleitung übernimmt. Er präsentiert dem genussbereiten Leser 50 Rezepte, die auch bildlich wunderschön dokumentieren, was die Intentionen des Sternekochs in Sachen neu interpretierter deutscher Küchenklassiker betrifft. Angenehm ist der Einstieg in jedes Rezept. In weniger Zeilen stellt Raue hier in einer für ihn fast demütigfeinfühligen Weise den Bezug eines Gerichts zu ihm als Koch her. Das offenbart den sonst so eloquenten Raue auch als Mann der leisen Töne, den ich jedenfalls über diese kurzen Texte entdecke. Das schafft über das eigentliche Zubereiten hinaus Sympathie zum Autor.

Zutaten und Zubereitung sind ebenso übersichtlich wie verständlich beschrieben. Das reicht in bestimmten Fällen sogar bis zum Anrichten. Man kann sich den von ihm kreierten Gerichten übrigens durchaus auch als ambitionierter Hobbykoch nähern und diese umsetzen. Da gilt für tradierte deutsche Gerichte wie Rheinischen Sauerbraten, Königsberger Klops oder Berliner Leber ebenso wie für Fischvariationen, die Raue mit dem von ihm bekannten gewissen Etas umsetzt. Was er aus Forelle, Hering, Aal oder Dorsch zaubert, hat echte kulinarische Klasse.

Soll auch heißen, bei jedem Gericht wird die typische Handschrift von Tim Raue deutlich, die besonders auch in der Präsentation eine nahezu puristische, aber anspruchsvolle Note verkörpert. Ganz zu schweigen vom raffinierten Einsatz der Gewürze, Aromen und Kräuter.

Ich habe auf Anhieb Dinge entdeckt, die ich mit Sicherheit nachkochen, erst einmal im engsten Kreise der Familie verkosten und je nach Erfolg beispielsweise Gästen vorstellen werde. Dazu gehören solche Dinge wie pikantes Hasenragout,  Blutwurst- und Gulaschvariationen und die von mir sehr geschätzten Maultaschen, die ich sicher en Detail auch nach eigenem Gusto variieren/ergänzen werde.


Dass Paula Bosch zu allen kulinarischen Einfällen des Meisters auch die passende Wein-Antwort hat, überrascht mich nach dem ersten Lesen des Buches schon gar nicht mehr. Sie erklärt ihre Weinvorschläge darüber hinaus so plausibel, als würde man auf gar nichts anderes kommen können. Hier haben sich offensichtlich zwei gefunden, die sich über den Geschmack sozusagen blind verstehen. Diese geschmackliche Harmonie ist wohl auch das Erfolgsrezept dieses Buches.

Mein Eindruck: Dieses Erstlingswerk ist ebenso ein Hommage an die deutsche Küche wie ein Meisterwerk kulinarischer Komposition und Kreativität sowie eine Reverenz an die Vielfalt deutscher Spitzenweine. Dieses Buch schreit förmlich nach Fortsetzung beispielsweise thematischer oder regionalspezifischer Ausrichtung.

Es ist ein Buch, dass man sich nicht einfach mal so en passant beim Sonntagspicknick auf der grünen Wiese liest, sondern für das man Ruhe und Muße haben muss.  Auch ein Glas guten Weines neben dem nicht unbedingt handlichen Buch macht sich dank der Anregungen von Paula Bosch gar nicht schlecht... Aber warum eigentlich nicht auch auf der Wiese oder im  Garten hinter dem Haus? Natur kann ja schließlich auch Ruhe, Muße und Entspannung bieten. Also, ran an die über 320 Seiten. Ich habe sie mit großem Genuss ein erstes Mal (quer) gelesen und werde meine neuen deutschen kulinarischen Entdeckungen mit Sicherheit fortsetzen.

Zum positiven Gesamteindruck des Titels tragen auch Layout und Typografie bei. Hier waren offensichtlich Leute am Werk, die wie die Autoren ihr Handwerk verstehen. Das gilt auch für die gut ausgewählten Fotos im Wein Bereich und im höchsten Maße für die anspruchsvolle Food-Fotografie, wie das heute neudeutsch genannt wird. Dem Callwey-Verlag (www.callwey.de) ist mit diesem Buch ein großer Wurf gelungen, der bei den Lesern Anerkennung erzeugen wird. Dem kann man sich nur anschließen. Das ist ein kulinarisch-vinophiler Knaller. Chapeau an alle Beteiligten...

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