PROLOG: Wenn es nach Wilhelm Busch geht, hat Selbstkritik viel für sich. Getreu diesem Grundsatz muss ich voranschicken, dass ich in Sachen „Weimarer Mundart“ Irrtümern aufgesessen bin. Erstens dachte ich tatsächlich, bei dem Buch handele es sich um eine Art Lexikon zum Dialekt der in der Stadt der Dichter und Denker lebenden Thüringer.
Und zweitens war mir auch unbekannt, dass die mir bekannte Petra Hermann Autorin des neuen Buches aus dem Eckhaus-Verlag in Weimar ist. Trotzdem war meine Neugier groß, als ich sozusagen „aufgeklärt“ wurde. Dementsprechend auch die Freude, als mir das Buch nur zwei Tage nach der Premiere mit einem persönlichen Gruß der Verlegerin Jana Rogge ins Haus flatterte.
Zur Autorin muss man in diesem Zusammenhang wissen, dass uns eine durchaus ambivalente Zuneigung verbindet. Ich entdecke sie gelegentlich als klugscheißende, umtriebig eloquente Hobbyköchin mit einem verblüffenden Selbstbewusstsein. Sie dürfte mich des Öfteren als klugscheißenden Grantler mit archivarisch-erbsenzählender Akribie wahrnehmen.
Was nicht heißt, dass ich ihr kochende Leidenschaft und Fachwissen, ja sogar einen ganz eigenen Charme abspreche. Auch das muss mal gesagt werden.
Diese Rezension hat nun den Ablauf eines bibliophilen Ausritts mit Buch genommen. Erst einmal habe ich das Pferd, sprich: das Buch, ein paar Minuten in die Ecke gestellt, respektive gelegt. Dann habe ich es im Schnelldurchlauf, aber immerhin Seite für Seite, durchgeblättert und einige Zeilen angelesen. Gesattelt und so richtig die Sporen gegeben aber habe ich dem Gaul erst am frühen Abend. Immer darauf bedacht, einen gleichbleibenden Trab einzuhalten und nicht zu galoppieren. Aber auch aus dem Sattel, sprich: Sessel, heraus zu kontrollieren, ob da nicht etwa Schrittfehler auftreten.
Immerhin hat der Ausritt knapp drei Stunden gedauert. Dann war der Reiter müde und legte sich ins Heu, sprich: Bett. Der etwa zweistündigen Schlummerphase schloss sich eine nächtliche, nicht unbedeutend lange, Grübelphase an. Die Pointen flogen hin und her.
Es wurde formuliert und verworfen, unter der Bettdecke geschmunzelt. Schließlich ging es im Galopp einer 65-jährigen Schindmähre 14 (in Worten: vierzehn) Treppen hinauf ins Büro. Licht und Computer an, ran an die Tastatur und die Zügel recht locker gelassen.
Dazu hätte ich gern ein würziges Ehringsdorfer getrunken, das ich mir in meiner langjährigen, wilden Weimarer Zeit ab und an gegönnt habe. Mengen und Häufigkeiten gehen keinen etwas an. Mangels Ehringsdorfer musste ein Köstritzer dran glauben. Na gut, es waren zwei. Immerhin gehört das aber ernährungs- und genusstechnisch auch in Thüringer Gefilde. Und wehe, es kommt jetzt jemand auf den Gedanken, den alten Kalauer zu bemühen, dass Dummheit frisst und Intelligenz säuft… Was bei dem nächtlichen Ritt herausgekommen ist, kann man im Folgenden lesen. Bis hierher ist nämlich alles nur Vorspiel. Der Norddeutsche würde Gesabbel dazu sagen.
ERSTER TEIL: Zurück zum Pferd, pardon: zum Buch. Die Autorin hat ihm den Untertitel „Menschen, Rezepte & Geschichten quer durch ein Weimarer Küchenjahr“ gegeben. Da habe ich bereits frohlockt. Spätestens bei den Menschen & Geschichten kriege ich dich, war mein zweiter und dritter Gedanke.
Aber auch mein mindestens dritter und vierter Irrtum. Ich müsste lügen, würde ich hier ein „leider“ verwenden. Schadet mir gar nichts. Aber irgendwie weh tut das schon. Nicht wirklich.
Mit dem Menschen versichert sich Petra Hermann der kulinarisch-argumentativen Unterstützung mehr oder weniger stadtbekannter Personen. Für mich habe die alle einen mehr oder weniger künstlerisch-intellektuellen Einschlag. Ausnahmen bestätigen die Regel. Damit will die Autorin offensichtlich auch etwas mit ihrem Freundes- und Bekanntenkreis kokettieren. Wer sie, Petra Hermann, kennengelernt hat, nimmt ihr das nicht übel. Und ich muss gestehen, sie stellt „ihre“ Menschen mit einer sehr souveränen Freundlichkeit und Leichtigkeit vor.
Sie lässt sich, dem Himmel sei Dank, nicht davon abbringen, eine wohltuende Liaison aus Lust, Geschmack und Genuss in Zeilen zu setzen. Ob man mit allen Argumentationen mitgehen muss, ist ein ganz anderer Schnack. Wäre ja auch langeilig, wenn Autoren sich in gleichbleibender Beliebigkeit ähneln.
Mir jedenfalls hat gefallen, dass sie aus jedem ihrer Gesprächspartner eine ganz individuelle Note herausgekitzelt hat. Manchmal geraten dabei die Sätze etwas lang und wirken etwas gedrechselt. Aber das ist wohl hinlänglich bekanntes Autoren-Leiden, wenn man es besonders anschaulich machen möchte. Es sind auch keine spektakulären Geschichten, die in dem Buch erzählt werden.
Die stammen sozusagen von Leuten wie „du und ich“ und könnten locker der Nachbar von nebenan sein. Eben das macht für mich den Reiz des Buches mit dem schönen Wortspiel „MUNDArt“ aus. Dabei hebe ich vor allem auch die Tatsache hervor, dass Petra Hermann es trefflich verstanden hat, die fachlichen Informationen zur Weimarer und Thüringer Küche kurz und prägnant, ganz ohne Klugscheißerei, rüberzubringen. „Des gfollt mer…“, würde der Berliner sagen. Scherz am Rande.
Spätestens jetzt muss man auf die lukullischen Köstlichkeiten zu sprechen kommen, die die ambitionierte, im besten Sinne des Wortes: ausgezeichnete, Hobbyköchin in Rezepte gemeißelt hat. Das sind, ich nehme es vorweg, durchgehend raffinierte Gerichte, die sie uns als Weimarer Mundart unterjubeln will. Das gelingt ihr gar trefflich und empfiehlt Weimar als Kultur- und Genussdorf mit Geschmack. Sie tischt nicht nur auf, was man allgemein von Weimar erwartet: Bratwurst, Klöße, deftigen Braten. Sie skizziert mit den Rezepten Weimar als in jeder Beziehung weltoffene, liebenswerte Stadt.
Die Rezepte präsentiert sie so, dass sie auch für ungeübte kochende Laien umzusetzen sind, wenn man sich ein wenig Mühe gibt. Schwund wird immer mal vorkommen. Man kann ja auch zweimal anfangen, wenn ein Gericht mal in die Grütze geht, wie man humorig sagt. Sie erklärt die Rezepte mit wenigen Sätzen und mit klaren Ansagen in Sachen Zutaten. Nicht so begeistert bin ich von rhetorischen Schlenkern in Sachen „ewig gestriger Ossi“ und vermeintlicher DDR-Mangelwirtschaft. Auch vor 1989 sind wir im Osten im mehrfachen Sinne des Wortes nicht vom Fleisch gefallen. Aber auch solche Dinge sind eben Ansichts- und Geschmackssache. Bei mir jedenfalls bleibt das Brathuhn ein Broiler. Auch, wenn der nicht unbedingt zu meinen Lieblingsspeisen gehört.
(Nicht nur) mit den Rezepten werde ich dem Buch noch lange verbunden bleiben. Ich habe mir schon ausgesucht, was ich als erstes in Pfanne und Topf haue. Wer mich kennt, ahnt, dass es etwas mit Fleisch (Lamm, Saltimbocca, Rehrücken) und/oder mit mediterraner Note (Stichwort: Toskanischer Fischtopf) sein wird. Letzteres auch und obwohl es offenbar von Ute Freudenberg kreiert/vorgestellt wurde. Zu der habe ich nämlich ein echt ambivalentes Verhältnis. Aber ok, wegen der „Jugendliebe“ und ihrer Nähe zu Weimar, gehört sie wohl mit in dieses Buch.
Hermanns Empfehlung in Sachen Bratwurststand auf dem Weimarer Markt kann ich übrigens nicht teilen. Gerade dort habe ich bisher die größten Pleiten erlebt und ausgerechnet an meinem 65. Geburtstag, den ich beruflich bedingt in Weimar verbracht habe, eine derart schrumpliges, lauwarmes Würstchen in die Hand bekommen, dass sich mir die Nackenhaare gesträubt haben. Rein in die nächste Tonne. In Sachen Bratwurst gehöre ich übrigens zur vereinigten Kümmel- und Anti-Zimt-Fraktion. Die Hauptsache zu der duftenden, heißen und gut gewürzten Wurst sind aber eine frische Semmel und ordentlicher Senf. Aber immerhin, der Bratwurststand am Goetheplatz ist zum Glück durch den Empfehlungs-Rost gefallen. Das hätte mich auch arg enttäuscht.
Apropos Enttäuschung (das ist aber eigentlich nicht der treffende Begriff): Gewünscht hätte ich mir noch ein paar Worte zum Thüringer Mett, das anderswo Hack oder Gewiegtes genannt wird. Das nämlich ist aus meiner Sicht geschmacklich unerreicht. Aber wer weiß, vielleicht plant die Petra ja auch eine Fortsetzung mit einer Reihe eher traditioneller Thüringer Gerichte. Da kann man sich auch der Mitarbeit von Köchen aus der Region versichern, die ich etwas vermisst habe. Allein Andreas Scholz aus dem „Anastasia“ im „Russischen Hof“ zaubert geschmacklich so geile Schweinereien aus Nacken, Rücken und Bauch, die förmlich nach Veröffentlichung schreien. Und auch Claus Alboth (kleines Foto weiter oben) vom „Dorotheenhof“, den die Hermann gut kennt, kann sich diesbezüglich mit Sicherheit einbringen.
ZWEITER TEIL: So viel zum Inhalt. Unbedingt zu sprechen kommen muss man natürlich auch auf die Form. Dazu zähle ich ausnahmsweise auch das Vorwort. Weil: Es muss einem Dummen wie mir gesagt werden, wer das verbockt hat. Erst die Verlegerin persönlich hat mir gesteckt, dass auf dem Innentitel steht, dass es Ulrich Völkel zu verdanken ist. Nicht, dass man mich nun falsch versteht. Der Mann hat das Buch auch erst als Wörter-Buch vermutet.
Und sich trotzdem getraut, der Autorin auf den Leim zu gehen und ihr Honig ums Maul geschmiert, wie der Thüringer sagen würde. Eigentlich auch falsch: Völkel nennt die genussvollen Fakten beim Namen, stimmt den geneigten Leser auf die geschmackvolle Lektüre ein sekundiert damit Petra Hermann nahezu kongenial. Dass er weitgehend meiner Meinung ist, erwähne ich dabei nur am Rande.
Nun kommt aber eine der wichtigsten Macherinnen des kulinarischen Buches: Jana Rogge. Verlegerin und Gestalterin in Personalunion. Zu der sage ich nur: Richtig gut gemacht.
Ohne diese dezente Eleganz der Typografie und des Layouts wäre das Buch im übertragenen Sinne weit weniger geschmackvoll. Rogge setzt Texte und Fotos optimal in Szene. Letztere sind, das steht auch irgendwo im Buch, zum größten Teil von Petra Hermann selbst. Hut ab, die Frau hat ein Auge für das schöne Detail. Na ja, sie ist ja auch Designerin. Das sollte einiges erklären.
Mir gefällt die unprätentiöse Seitengestaltung, die zum Lesen und Betrachten gleichermaßen einlädt. Ich habe das Buch auch in dieser Beziehung genossen. Dass Jana in dem Buch als Weimarerin deklariert wird, darüber könnte man trefflich parlieren. Dort geboren ist sie auf jeden Fall nicht. Und sie wohnt „nur noch“ im ländlichen Speckgürtel der Stadt.
Aber dass sie zu Weimar gehört wie Goethe oder ein anderer Zugezogener, das ist längst bewiesen. Man darf von ihrem Verlag und ihrer Agentur noch einiges erwarten, das die wissens- und genusssüchtige Menschheit erfreuen dürfte.
EPILOG: Nun muss ich den Schlenker zu meiner einleitenden „Boshaftigkeit“ kriegen und meinen Unterstellungen Abbitte tun. Also, liebe Petra, ich nehme alles zurück. Und behaupte das Gegenteil. Du hast mir im besten Sinne des Wortes eine vergnüglich-amüsante Nacht bereitet und ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk beschert. Du überzeugst durch Ideen und eine kreative Umtriebigkeit, zu der ich dich neidlos beglückwünsche. In diesem Sinne bin ich am frühen Samstagmorgen auch nochmal ins Bett geschlichen und habe noch ein paar Minuten wohlig in den Tag geschlafen, der der 88. Geburtstag meiner Mutter gewesen wäre.
Wieder aufgestanden betrachte ich mich zwinkernd im Spiegel, straffe mein durchaus nicht faltenfreies Gesicht und verneige mein friedhofsblondes Haupt vor deinem kulinarischen Erstlingswerk. Spätestens an dieser Stelle müsste ein finaler Smiley hin. Den möge man sich denken.
Dein Freund im Geiste: Max aus Mecklenburg