Geschmackssache: Max is(s)t mutterseelenallein …

kulinarische-kolumne-dezember-21

Mitternachtssuppen

In meiner Kindheit war die Weihnachtszeit anheimelnd von Geschichten geprägt, die mir vor allem meine Großmutter Martha erzählte, während wir bei Kerzenschein, dem Lichterspiel einer Pyramide und dem markanten Weihrauchduft, der aus einem Räuchermännchen strömte, in der warmen „guten Stube“ saßen. Mein Großvater Max saß mit glänzenden Augen im Sessel und schmauchte genüsslich sein Pfeifchen. Besonders andächtig wurde es stets, wenn die ausgesprochen musisch veranlagte Großmutter die Weihnachtsgeschichte von Peter Rosegger „Als ich die Christtagsfreude holen ging …“ ausdrucksstark vorlas.


Im letzten Teil der wunderbaren Geschichte von dem Bergbauernjungen heißt es: „…Dann setzte ich mich in der warmen Stube zum Essen. Aber siehe, während des Essens geht es zu Ende mit meiner Erinnerung. - Als ich wieder zu mir kam, lag ich wohlausgeschlafen in meinem warmen Bette, und zum kleinen Fenster herein schien die Morgensonne des Christtages…“ Wie habe ich diese warmen Worte und die faszinierende Atmosphäre in der Wohnung der Großeltern genossen …

rot-rot-4

In Sachen Essen gab es bei den Roseggers sehr bodenständige Kost: „…Fleischbrühe mit Semmelbrocken, Speckfleck, Würste, Nierenlümperln, Knödelfleisch mit Kren, Krapfen, Zuckernudeln, Schmalzkock mit Weinbeerln und Safran…“ Grund für mich, an Heiligabend einmal kulinarisch etwas demütig-einfacher zu sein. Gut, zu meinem Abendessen, das ich mutterseelenallein verbringen werde, gibt es eine Trilogie von Tatar aus Saibling, Rind und Käse, jeweils unaufwändig auf einer Art Carpaccio aus Orangen und Rote Bete angerichtet.


Aber in der späten Nacht zum „Christtag“ gibt es eine Art Mitternachtssuppe. Die wird wesentlich bescheidener sein als vergleichbare Rezepte neuer Prägung. Dafür werde ich mir aus Markknochen und Gemüse eine kräftige Brühe zaubern und diese mit einem in Streifen geschnittenen Pfannkuchen anreichern. Als herzhafte Zugabe werde ich das Knochenmark kurz in die heiße Brühe tauchen, dann auf geröstete Schwarzbrotscheiben legen und mit Salz und Schnittlauch, Knobi inklusive, bestreuen. Varianten von sogenannten Mitternachtssuppen, die man auch außerhalb der Feiertage auftischen kann, gibt’s wie immer in meiner Rezeptothek.


Und meine Brühe ist ganz sicher auch ein köstlicher Einstieg für den ersten Feiertag. Dann wird nämlich eine fulminante Rehkeule mit Klößen verspeist. Von dem Fleisch kann ich sicher bis ins neue Jahr zehren. Oder ich gönne mir einen Teller meiner „Christtagsfreude“ nach einem Weihnachtsspaziergang als wärmende Speise. Ich denke, das würde meine Großeltern und Eltern freuen. Ganz in ihrem Gedenken werde ich den Heiligabend genießen. Ohne Fernseher, aber mit anheimelndem Kerzenschein und musikalischer Untermalung, einem Glas guten Weins, einer würzigen Zigarre auf dem Balkon, einem (Koch-) Buch und glänzenden Augen. Auf diese Weise werde ich nicht wirklich allein sein. Ihnen ein genussvolles Weihnachtsfest. Bleiben Sie schön neugierig auf meine nächste Kolumne …

Diese Kolumne erschien am 23.12.2021 in allen Ausgaben der Schweriner Volkszeitung, den Norddeutschen Neuesten Nachrichten, der Neuen Osnabrücker Zeitung und ihren Partnermedien sowie dem Beig Verlag Pinneberg und in einigen Ausgaben des SH:Z Verlages.

Das könnte Sie auch interessieren

Hier finden Sie ein paar Vorschläge zum Weiterlesen.