In meiner Kindheit im erzgebirgischen Aue gab es am Fuße des Zeller Bergs einen Fleischerladen, in dem ich von der Frau des Fleischermeisters immer eine dicke Scheibe Blutwurst mit fetten, weißen Grieben geschenkt bekam. Das war stets eine Art geschmackliche Vergewaltigung für mich. Aber mein Großvater war mit dem Walter Hedrich im Gesangs- und Trinkverein. Also war dieser Fleischer gesetzt, und das Fleisch und die Wurst an sich waren ja auch sehr schmackhaft.
Dass es auch in der Wettiner Straße einen Fleischer gab, wussten wir natürlich. Und wenn ich gewusst hätte, dass es dort eine schöne Fleischersfrau gab, die heute eine ebenso schöne Tochter hat und als Fleischermeisterin in die Fußstapfen ihres Vaters trat: Nicht auszudenken, wo ich später meine Wurst gekauft und ein Auge auf die Schönheiten der Auslagen gerichtet hätte. Die heutige Junior-Chefin Christin Popella jedenfalls könnte locker meine Tochter sein und ist eine „sächsy“ Deern, die als Genusshandwerkerin für regionale, saisonale und nachhaltige Produkte steht. Ihr Bekenntnis nicht nur in Sachen Wurst lautet: Verliebt in ehrlich, fair, natürliche und ursprüngliche Produkte.
Ihre wurstige Empfehlung ist eine Poltawaer im Wirsingmantel und Graupenrisotto mit roter Bete. Das klingt gut, is(s)t auch etwas für's Auge und geht so: Für vier Personen gibt man etwa 500 Gramm Perlgraupen und eine fein gewürfelte Zwiebel mit etwas Öl in einen Topf und schwitzt alles so lange an, bis die Zwiebel leicht gebräunt ist. Alles wird mit 300 Milliliter Glühwein abgelöscht und unter ständigem rühren geköchelt, bis die Graupen die Flüssigkeit aufgesaugt haben. Anschließend etwa 400 Milliliter Brühe und 500 Milliliter Rote Bete-Saft hinzufügen und bei kleiner Hitze gut 15 Minuten köcheln lassen. Rüüüühren nicht vergessen, denn die Graupen saugen die Flüssigkeit ganz schön auf, weiß ich inzwischen.
Nun geht es ran an die Wurst. Davon werden 600 Gramm gerecht portioniert und in kleine, mit körnigem oder dezent fruchtig-süßem Senf bestrichene und mit fein geschnittenen Zwiebelstreifen belegte, blanchierte Wirsingblätter eingerollt. Diese Mini-Wurst-Rouladen werden nun mit etwas Strick fixiert und von jeder Seite angebraten. Das Risotto wird noch mit je 80 Gramm Butter und geriebenem Parmesan, Salz, Pfeffer und einer zerdrückten Knoblauchzehe verfeinert. Final werden die Wirsingrouladen auf dem Risotto verteilt. Alles etwa 20 Minuten bei geschlossenem Deckel ruhen, garziehen lassen. Fertsch, wie der „gemeine Sachse“ nicht nur in kulinarischer Hinsicht sagt.
Statt der Poltawaer kann man auch jede andere Brühwurst seines Geschmacks verwenden. Dazu gehören Lyoner ebenso wie Bockwürste aller Machart oder Knacker im Stil der Brühpolnischen. Ich würde mich auch trauen, eine deftige Pferdewurst mit dem Wirsing zu umhüllen und in Liaison mit den Graupen zu verdrücken, die früher so gar nicht mein Fall waren.
Dass die Poltawaer begrifflich von der heutigen ukrainischen Stadt abstammt, nehme ich der Fleischermeisterin übrigens gerade noch ab. Aber dass dort vor Jahrhunderten vorwiegend Schlesier wohnten, rücke ich in das Reich der Sage, obwohl Poltawa Mitte des 17. Jahrhunderts zu einem polnisch-litauischen Staat gehörte. Unbestritten ist die so benannte Wurst aber eine schlesische Spezialität. Und man weiß ja nie, welcher schlesische Fleischer irgendwann in der Ostukraine einmal auf Freiersfüßen gewandelt ist und die Wurst warm gemacht hat…
Diese Kolumne erschien am 6. Dezember 2016 in der Schweriner Volkszeitung.
Das vollständige Rezept zum vorgestellten Gericht finden Sie hier...