Am 6. Mai 2017 erhielt ich auf meinen Beitrag in der Schweriner Volkszeitung eine Leserzuschrift von einer Frau X aus einer Gemeinde im Amt Stralendorf. Die E-Mail habe ich aus gutem Grund lange unbeantwortet gelassen.
Heute habe ich mich zu einer Antwort entschlossen und stelle beide Texte zur Diskussion. Angemerkt sei, dass ich die Zuschrift im Original (also ohne Korrekturen und Auslassungen) belassen habe.
PS: Ich bitte die Leser dieses Beitrags herzlich darum, mir zu dem Thema ihre Meinung mitzuteilen. Im Besonderen sind auch die Köche des Landes aufgerufen, sich zu BEIDEN Kommentaren zu äußern.
„Sehr geehrter Herr Ragwitz,
was ist denn Ihrer Meinung nach an MV "Genuß"land bzw. woran erkennt man das denn bitte? Habe ich da was verpaßt oder falsch verstanden? Dieses Land ist definitv kein Genußland. Gute Restaurants bzw. gutes Essen sind Mangelware (abgesehen vielleicht von der Küste und den touristischen Hochburgen), und viele (durchaus übliche und nicht-exotische) Lebensmittel/Produkte sind nicht bekannt (dummes "G'schau" der Verkäufer, wenn man danach fragt!) oder nur schwer zu bekommen (selbst in der Landeshaupt"stadt" Schwerin, die ja nicht einmal ein Delikatessen- oder Wild- oder gutes, zentral gelegenes Fischgeschäft hat!).
Und was man bekommt, ist vorwiegend Durchschnittsware, die nach nichts schmeckt (Tomaten, Salate etc.) oder ausländische statt einheimische Produkte (Rind-, Lammfleisch z. B.). Auch Bio-Produkte sind immer noch schwer zu bekommen und werden kaum angeboten, da die Mecklenburger eben gern billigst kaufen, Quantität statt Qualität! Das ist wirklich langsam unerträglich. Und die Mecklenburger sind nun weiß Gott keine Genußmenschen, für sie ist beim Essen - immer noch -. wichtig: "viel, deftig-fett und billig"!
Mein Mann und ich haben uns längst abgewöhnt, hier essen zu gehen, das ist Geld- und Zeitverschwendung, da koche ich besser und nur mit guten und frischen Produkten (und auch nicht mit Fleisch aus tierquälerischer Massenhaltung!). Aber auch selbst kochen ist schwierig, da man (s. oben) oft nicht das bekommt, was man möchte, auch wenn man bereit ist, viel zu zahlen. Seit Gründonnerstag bekomme ich hier - ein ganz einfaches Beispiel - z .B. keinen Kerbel!!!!!! Das ist wirklich lächerlich.
Die Franzosen haben eine schöne Unterscheidung: "gourmand" (das sind eher die Norddeutschen (inkl. Mecklenburger) und vor allem die, die in der Ex-DDR groß geworden sind) und "gourmet" (das sind eher die Süddeutschen, vor allem Badener).
Man kann ja aus Marketing-Gründen auch mal übertreiben (wenn der Kunde so blöd ist, darauf reinzufallen) und großmäulig formulieren, aber wenn die Realität derart abweicht,.dann ist das einfach nur blamabel und lächerlich.
Ich bin - als Genußmensch (der viele europäische Länder, wo - ohne Rücksicht auf den Preis - gut und gern gegessen wird (ITL, SPA, OES, FKR....), bereist hat und ca. 40 Jahre in B.-W. und Bayern gelebt hat - anderes gewöhnt. MV ist - immer noch - eine große kulinarische Wüste, kein Genußland!
Hier meine Antwort vom 22. November 2017:
"Moin Frau X,
Sie werden sicher nicht mehr mit einer Antwort auf Ihre Nachricht gerechnet haben. Aber bestimmte Dinge hebe ich mir für Momente auf, in denen ich emotional nicht mehr so sehr mit dem Thema belastet bin, damit ich sachlich bleibe. Ich möchte Ihnen so kurz wie möglich, aber auch so ausführlich wie nötig antworten und Ihnen damit meine Meinung unmissverständlich deutlich machen.
Ich bleibe bei meiner Feststellung, dass MV ein Genussland ist. Vor allem dann, wenn man sich darauf einlässt. In diesem Zusammenhang sehe ich die größte Reserve in Ihrem Denken.
Dass gute Restaurants und gutes Essen in MV Mangelware sind, ist eindeutig eine Fehleinschätzung. Es gibt im doppelten Sinne des Wortes ausgezeichnete Spitzenküche im Land. Und es gibt das, was ich stets mit "zweite kulinarische Reihe" in MV bezeichne. Auch dort wird vorzüglich, schmackhaft und fachlich exzellent gekocht. Der Makel ist nur, dass darauf die Restaurantführer nicht genügend eingehen. Darüber könnte man trefflich parlieren.
Richtig ist aber, dass es auch, aber nicht nur, in MV ein kulinarisches Gefälle gibt. Soll heißen, es gibt auch Gaststätten, die dem Genussland wenig zu Gesicht stehen und in Kombination aus Convenience-Produkten und Schleuderservice bestehen. Damit muss aber jede Region, jedes Land leben. Und das hat auch unterschiedliche Gründe, die man nicht pauschal abhandeln kann.
Ich meine, man kann auch guten Gewissens davon ausgehen, dass die ambitionierten Köche im Land die "durchaus üblichen und nicht exotischen" Lebensmittel und Produkte kennen und ebenso fachgerecht wie kreativ einsetzen. Und Endverbraucher, die sich einer anspruchsvollen Küche widmen wollen, sollten auch in der Lage sein, sich ein kleines Netzwerk von Erzeugern und Händlern aufzubauen, das nahezu alle Bereiche an Zutaten abdeckt. Es ist in diesem Zusammenhang schlicht Unsinn, dass es im Land, inklusive in der Landeshauptstadt und deren Umland keine Delikatessen- und Spezialläden aller Couleur gibt. Ganz zu schweigen vom Fisch- und Wildangebot in nahezu allen Landesteilen.
Und wenn man diesbezüglich Reserven sieht, muss man ggf. auch in der Lage sein, seine Kontakte so zu nutzen, dass daraus kulinarische Synergien entstehen. Sie wissen sicher: Man muss oft jemanden kennen, der jemanden kennt...
Ebenso ist es nahezu töricht, grundsätzlich an der Qualität der Produkte aus MV zu zweifeln und die Mecklenburger und Vorpommern per se als dumme, anspruchslose Billig-Fresser hinzustellen. Wohl wissend, dass viele Familien gerade im Nordosten mit ihrem Haushalts-Budget sehr sparsam umgehen müssen. Im Übrigen: Auch ich esse gern ländlich-deftig. Das lässt längst keinen Schluss auf "fettig und billig" zu.
Da Sie sich offensichtlich als Spitzenköchin wähnen, der die Köche des Landes nicht gewachsen sind, frage ich mich ernsthaft, warum Sie es diesen kulinarischen Dummbüdeln nicht längst gezeigt haben und ein Restaurant nach Ihrem verwöhnten Gusto eröffnet haben.
Ich musste übrigens lächeln, wenn ich mir vorstelle, in welchen Restaurants in MV Sie bisher empört gespeist haben und sich nun ins heimisch-kulinarische Exil begeben haben. Ich sehe förmlich Ihre Empörung, dass es am Gründonnerstag keinen Kerbel gegeben habe. Was erlauben sich MV... Richtig: Eine solche Argumentation ist einigermaßen lächerlich.
Bei aller dieser Argumentation rettet Sie und gerade nicht die Tatsache, dass Sie die begrifflich zwischen "Gourmand" und "Gourmet" unterscheiden, aber argumentativ abwertend einsetzen. Und stellen Sie sich mal vor: Es überrascht mich auch nicht, dass Sie das Klischee "Ex-DDR" ins Feld führen. Davon scheinen Sie noch weniger bis gar nichts zu verstehen.
Zu guter Letzt frage ich mich aber ganz ernsthaft, warum Sie sich als globetrottender Genussmensch überhaupt auf dieses kulinarisch "blamable und lächerliche" MV eingelassen haben. Das haben Sie doch mit Ihrem Intellekt und Ihrem Geld gar nicht nötig. Wissen Sie was: Wandern Sie einfach wieder aus. Es gibt nicht viele von Ihrer Sorte. Aber auf die paar kann die "kulinarische Wüste" MV auch noch verzichten.
Mit freundlichem Gruß
Michael H. Max Ragwitz