Im Interview: Tilo Hamann – ein Freestyle-Koch, der Gaumen kitzelt…

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Tilo Hamann

Tilo Hamann, Jahrgang 1978, verheiratet, 1 Kind


Er hat seine Kochlehre im Landgasthof Detsch in Oberfranken absolviert. Stationen seines beruflichen Schaffens waren u.a. Bautzen und Vielau, die Romantik Hotels Sanct Peter in Bad Neuenahr und Jagdhaus Waldidyll in Hartenstein bei Aue im Erzgebirge. Ab 2011 leitete er die Geschicke des Erbgerichts Eulowitz, seit 2015 zusätzlich des Gasthauses Grüne Tanne in Schmölln-Putzkau. Danach war er Küchenchef im Schlosshotel Pillnitz und hat ab 2016 das frühere Weinrestaurant „Charlotte K.“ in Radebeul übernommen, das er seit August 2018 unter dem neuen Namen „Restaurant Gaumenkitzel“ gemeinsam mit seiner Frau führt und als Küchenchef agiert.

Was ist für Sie kulinarischer Genuss im Allgemeinen und im Besonderen?

Allgemein ist das für mich gut zubereitetes, schmackhaftes Essen. Und optimal ist es, wenn man das in Gesellschaft mit guten Freunden und Bekannten genießen kann.

 

Wie beschreiben Sie Ihre kulinarische "Philosophie"?

Lassen Sie es mich bitte vorerst auf Stichpunkte beschränken, die da wären: Regionalität, Nachhaltigkeit, Schonung von Ressourcen und aus dem Vorhandenen das Bestmögliche zu entwickeln.

 

Beschreiben Sie Ihr kulinarisches Angebot in einem Satz?

Ich kann mich mit dem Begriff „Multi-Cuisine“ anfreunden, mit dem man kürzlich meine Küche bezeichnete.

 

Welche neuen kulinarischen Akzente wollen Sie in dem Restaurant setzen?

Ich koche vor allem regional, aber auch französisch, mediterran und mit asiatischen geschmacklichen Akzenten. Ganz wichtig: Meine Gerichte wiederholen sich so gut wie nie. Es ist sozusagen alles in Bewegung…


Worin wollen Sie sich gastgeberisch-kulinarisch von Ihrem Umfeld unterscheiden?

Der Unterschied ist für mich nicht unbedingt maßgeblich.

Wichtig ist mir, dass ich anspruchsvolle  Küche biete, die sich jeder gönnen kann. Und wir setzen natürlich auf eine angenehme, familiäre Atmosphäre.

 

Worauf legen Sie in der Kombination Ihrer Speisekarte besonderen Wert?

Die verwendeten Produkte müssen überschaubar sein. Ich setze für ein Gericht zwei bis drei Komponenten ein, die ich dann in unterschiedlichen Texturen und der Kombination mit raffinierten Aromen in Szene setze.

 

Also eine Art Foodpaaring?

Genau. Es muss alles passen und sich geschmacklich harmonisch ergänzen. Ich bringe das Produkt an sich und in seinen modifizierten Formen zusammen.

 

Apropos Speisekarte: Dort stehen für die Preise keine Zahlen. Ist das mehr als nur eine Marketing-Idee?

Marketing-Gesichtspunkte haben dabei keine Rolle gespielt. Aber: Auf diese Weise liest sich unser Angebot besser. Man entscheidet sich auf diese Weise vorrangig erst einmal geschmacklich und nicht vordergründig monetär. Das ist aus unserer Sicht gut für das Geschmackserlebnis, das man erwartet. Denn Geld macht den Geschmack sicher nicht aus.


Inwieweit räumen Sie dem Gast ein,  (s)ein Menü zusammenstellen?

Wir bieten zwar Menüs an. Über deren Zusammensetzung

kann der Gast selbst entscheiden. Und er kann auch Wünsche zur Anpassung der Portion äußern. Das gilt auch für Kinder, für die es keine gesonderte Karte gibt, aber deren individuelle Vorstellungen wir durchaus berücksichtigen.

 

Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre Speisen?

Wir orientieren uns an der Saison, der Qualität der Produkte und an dem, was die Zulieferer anzubieten haben. Ganz wichtig ist mich, dass ich nur koche, worauf ich Lust habe. Sonst fehlt mir das, was man Inspiration nennt.

 

Wie großzügig gehen Sie in der Küche um, Ihre kreative Ader als Koch auszuleben?

Ich wiederhole mich: Die Qualität der Produkte, die ich in  Szene setze, steht für mich im Vordergrund. Da spielt der monetäre Aspekt, der Preis des Gerichtes, erst einmal eine untergeordnete Rolle.

 

Aber kalkulatorisch muss es schon Sinn  machen, oder?

Ja natürlich, man darf auch nicht, wie es umgangssprachlich heißt, mit dem Schinken nach der Wurst schmeißen. Es muss passen und darf den Gast nicht überfordern. Ich bin übrigens gerade in einer Art Findungsphase, ab 2019 ein ganz neues kalkulatorisches Konzept einzuführen.

Können Sie das näher erläutern?

Natürlich kann ich das. Mache ich aber nicht. Kommen Sie 2019 wieder und dann reden wir darüber Klartext.

 

Sehen Sie sich als Koch mehr als Handwerker oder als Künstler?

Mein Vater hat immer gesagt: Kunst kommt von Können. Recht hat er. Ich verstehe mich in diesem Sinne als kreativer Handwerker. Punkt.

 

In diesem Zusammenhang: Wie weit treiben Sie artifizielle Anrichte?

Sie sehen es mir hoffentlich nach, wenn ich ganz locker sage: Ich koche, besser: ich präsentiere „Frei Schnauze“. Die diesbezügliche Entwicklung geht bis zu dem Punkt, an dem  die Präsentation einen für mich optimalen Stand erreicht. Sie werden auf meinen Teller jedenfalls nichts übertrieben Konstruiertes finden.

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Soll auch heißen, wo setzen Sie Grenzen in der Präsentation Ihrer Gerichte?

Grenzen gibt es nicht. Gestalterische Akkuratesse ist jedoch kein zwingender Anspruch. Klare Linien sollten schon vorhanden sein. Man muss als Gast den Überblick behalten und nicht dem schönen Schein erliegen. Bei meinen Gerichten sind höchstens die Grundstrukturen gleich, es kommt aber meist individuell auf den Teller.

 

Inwieweit trauen Sie sich, dem Gast auch exotische Zutaten anzubieten?

Es geht nicht ums „trauen“. Da bin ich kein Koch von Traurigkeit. Weil ich aber vieles vorwiegend nur regional umsetze, gehe ich mit solchen Zutaten eher sparsam um. Und wenn, dann nur um geschmacklich ein wenig zu experimentieren.

 

Was halten Sie von Trends in der Gastronomie, die kochtechnisch auf „brutal lokal“ und andere mehr oder weniger sinnige Slogans setzen?

Ich halte nicht viel von Trends. Ich schaue mir manches an und überlege, was man daraus für sich entwickeln kann. Aber einen Trend bewusst mitmachen ist nicht mein Ding.

Wie frisch und kochtechnisch unverfälscht ist Ihre Küche?

TK-Ware ist „out“. Geschmacksverstärker gibt es nicht, den Geschmack entwickle ich aus der Natur heraus. Convenience-Produkte höchstens aus kleinen Manufakturen, beispielsweise gut gemachte Teigwaren. Das war’s.

 

Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?

Diese Zusammenarbeit möchte ich nicht missen. Ich kann alle meine Produzenten und Zulieferer persönlich.

 

…und was, um einmal zu provozieren, nützt Ihnen das?

Ganz einfach: Daraus entsteht oft eine Zusammenarbeit, die darin mündet, ein Produkt sozusagen „passgerecht“ für meine Bedürfnisse zu entwickeln und auch spezielle Produkte anzubauen.

 

Sie mischen bei „Euro Toques“ mit? Ist das mehr als plakative Werbung?

Das hat für mich nichts mit Werbung zu tun, soll aber einen Anspruch verdeutlichen.

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Soll auch heißen: Versteht der „gemeine“ Gast diese Botschaft?

Ich will hier jetzt nicht dozieren. Zu dem Thema kann man sich leicht schlau machen. Aber wir reden auch mit dem Gast über solche Dinge, fördern damit das Verständnis für diese Thematik und tragen so auch zur Akzeptanz bei.

 

Kann/sollte man den Gast übrigens zu seinem Glück, sprich: zum guten Essen, zwingen, oder erziehen. Wie weit sollte das Ihrer Meinung nach gehen?

Nein. Jeder muss nach seinem Geschmack glücklich werden. Wir erklären und klären auf. Mehr nicht.

 

Definieren Sie sich auch über den Begriff Gourmetküche? Ist dieser Begriff überhaupt noch zeitgemäß?

Ich sage es mal diplomatisch, aber kurz und bündig: Es ist eine Sache der Definition.

Ist für Sie ein Michelin-Stern ein Thema?

Wir arbeiten nicht auf den Stern hin. Und auf unser Haus bezogen meine ich, dass ich nicht in die Richtung koche, die dem aktuellen Trend der Tester aller Couleur entspricht. Ablehnen würde ich ihn jedoch nicht.

 

Was ist für Sie ein Spitzenkoch? Ist ein Stern dafür das Muss?

Meine Oma war eine Spitzenköchin. Solche und ähnliche Argumente höre ich oft. Soll heißen: Der Geschmack ist entscheidend. Eine gut zubereitete Speise hat immer auch einen guten Koch als Urheber. Das hat überhaupt nichts mit Sternen oder Hauben zu tun.

 

Warum hat der Koch-Beruf Ihrer Meinung nach derzeit Nachwuchsprobleme?

Die Gründe sind hinlänglich bekannt: Arbeitszeiten, Entlohnung usw. Aber in Bezug auf Entlohnung hat sich schon einiges entwickelt. Und die, die sich heute für diesen Beruf entscheiden, wählen ihn schon bewusster aus.

 

In diesem Zusammenhang: Wo sehen Sie gegenwärtig die größten Reserven und Entwicklungspotenziale für Ihre Branche?

Die Branche muss sich wieder mehr, Stichwort: Euro Toques, auf Natürlichkeit konzentrieren und der Koch muss den Beruf „leben“. Das ist essentiell für die Qualität.

Die Reserven sehe ich vor allem im Bereich Hotellerie und im Angebot in ländlichen Bereichen.


Ist Bio nicht natürlich genug?

Bio ist, mit Verlaub gesagt, Quatsch. Natur an sich muss man nicht als Bio deklarieren. Mit solchen Werbebotschaften tun wir uns insgesamt keinen Gefallen.

 

Gibt es für Sie Vorbilder in Bezug auf Authentizität und Qualität des Kochens?

Eigentlich nicht. Ich mache sozusagen mein eigenes Ding. Schaue aber natürlich auch, was die Kollegen tun.

 

Welchen Traum Koch würden Sie sich gern noch verwirklichen?

Das werden Sie sicher öfters gehört haben: Mal eine Zeit aussteigen und dann auf kulinarische Weltreise gehen, jeden zweiten Tag woanders kochen. Dafür kann ich aber erstens meine Frau nicht begeistern und zweitens habe ich hier noch eine Menge vor…

 

Wie muss ein Restaurant aussehen und was muss es bieten, um sich dort wohl zu fühlen?

Das Restaurant muss „Charakter“ haben. Das Ambiente ist zweitrangig und muss auch nicht zwingend zum Küchenstil passen. Sauberkeit hat jedoch obersten Anspruch. In dieser Hinsicht muss jeder seinen eigenen Stil finden und entwickeln.

Ambiente und Küche nicht im Einklang, das klingt für mich nicht logisch…

Ganz einfach: Man kann auch im Berghütten-Ambiente eine Küche auftischen, die höchsten Ansprüchen genügt. Es ist dann in mehrfacher Beziehung eine Frage des Geschmacks, wie man das zusammenbringt.

 

Warum „Gaumenkitzel“? Bedienen Sie damit nicht „nur“ profanen Gästegeschmack? Liegen nicht Namen wie „Tilo H.“ oder „Hamann‘s“ mehr im Trend?

Gute Frage, nächste Frage… Im Ernst: Der Name soll einen gewissen geschmacklichen  Anspruch ausdrücken und dazu einladen, diesen Gaumenkitzel zu erkunden und zu erleben. Ehrlich gesagt haben wir uns aber auch von suchmaschinentechnischen Aspekten im Sinne von begrifflichen Alleinstellungsmerkmalen leiten lassen. Nun ist es, wie es ist…

 

Was macht Tilo Hamann in seiner Freizeit und auf Reisen?

Zwei Stichworte: Gartenarbeit und Freundeskreis. Immerhin wollen 400 qm Garten im Verlauf des Jahres gut bearbeitet und bestellt sein.

 

Nun gut, ich dachte aber auch, jetzt kommt eine Antwort in Bezug auf Kulinarik…

Das habe ich mir auch gedacht. Aber wer mich kennt, weiß, dass in meinem Freundeskreis gutes Essen und Trinken immer eine Rolle spielen. Da wird auch gefachsimpelt. Und auf Reisen schaue ich natürlich stets über den Tellerrand und versuche, neue Geschmacksideen zu finden, die ich für unser Restaurant weiterentwickeln kann.

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