Im Interview: Tillmann Hahn* – ein Bekenner zur regionalen Küche

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Tillmann Hahn

Jahrgang 1969, verheiratet, 2 Kinder.

Seine Koch-Lehre absolvierte er in den "Schweizer Stuben" bei Fritz Schilling in Wertheim. Auf seiner beruflichen Walz verschlug es ihn u.a. ins "Landhaus Scherrer" zu Heinz Otto Wehmann nach Hamburg, ins Schlosshotel Lerbach zu Dieter Müller in Bergisch-Gladbach und als Sous Chef ins Hotel "Mandarin Oriental" nach Hong Kong. Seinen ersten Stern erhielt er als Küchenchef in und Nachfolger seines Lehrmeisters in den Schweizer Stuben, Im Grand Hotel Heiligendamm,und 5 Jahre spaäter in der Yachthafenresidenz Hohe Düne in Rostock-Warnemünde, wo er jeweils auch die Küchendirektion übersah etablierte er nachhaltig zwei weitere Sternerestaurants . Seit 2013 ist er  und selbständig als Gastronom mit Tillmann Hahn's Gasthaus in der Villa Astoria in Kühlungsborn, sowiemit der Klosterküche im alten Pfarrhaus und Torhaus Bad Doberaner Klosterladen, beide am Doberaner Münster gelegen.

Ist Ihnen der Koch-Beruf in die Wiege gelegt worden, oder hat sich das erst nach und nach entwickelt?

Die ersten Schritte in der Küche machte ich unter Anleitung meiner Mutter, die früh ein Talent entdeckte oder vielleicht auch formte, da wir zu Hause drei Brüder waren und kein Mädchen die klassische Rolle im Haushalt übernehmen konnte. Nach ersten Backerfolgen und der Mitwirkung beim sonntäglichen Mittagessen kochen schickte sie mich auch in Hausfrauen-Kochkurse, die ich sehr gerne machte und immer mehr lernte, so entstand nach und nach schon sehr früh eine Grundkompetenz die ich als Schüler und Student ausbaute mit Ferien- und Wochenend-Jobs in der Gastronomie.

Wie beschreiben Sie Ihre kulinarische "Philosophie"? Oder anders gefragt: Was ist Ihr Anspruch beim Kochen hinsichtlich Zutaten, Verarbeitung und Präsentation?

Es war und ist für mich immer wichtig, mich auf die handwerkliche Seite meines Berufs zu besinnen und zu konzentrieren. Essenstraditionen und Essenszubereitung sind schließlich auch ein wichtiges Stück Kulturgeschichte und kulturelle Identität. Mir geht es darum, mit frischen Zutaten möglichst unter der Vermeidung von Abfall (z.B. jeden Teil eines Schlachttieres verwerten!)  auf handwerklich hohem Niveau zu verarbeiten. Die Kombination aus vielfältigem, elaboriertem Geschmack und ansprechener Präsentation verkörpert dann die Liebe beim Kochen, die meine Gäste  erkennen und schätzen

Hat sich diese "Philosophie" im Laufe der Jahre verändert, oder feilen Sie nur an den Details?

Als ganz junger Chef war mir das Wichtigste die Vielfalt der kulinarischen Welt kennen zu lernen und habe jede Information über die Unterschiede der ethnischen Herkünfte geradezu aufgesogen. Später kam eine starke Passion für die Regionalität und Nachhaltigkeitsaspekte beim arbeiten und wirtschaften mit Lebensmitteln dazu. Die Möglichkeiten der Lebensmitteltechnologie und –chemie haben mich interessiert, aber immer auch skeptisch sein lassen was die industrielle Lebensmittelverarbeitung angeht.

Was ist für Sie kulinarischer Genuss im allgemeinen und im besonderen?

Es müssen möglichst alle Sinne angesprochen und angeregt werden. Und das Wissen um gute Zutaten schafft zusätzlich ein besonderes Genuss-Erlebnis, weil dies auch den Intellekt anspricht und ethisches Handeln die emotionale Ebene hinzuzieht

Sie gehören zu den besten Köchen des Landes M-V, sind aber Ende 2012 in ein neues Betätigungsfeld gewechselt und beackern viele Felder kulinarischer Bereiche. Was hat Sie zu dieser Entscheidung bewogen?

Kein neues Betätigungsfeld. Was ich jetzt gastronomisch mache habe ich schon immer gemacht, neu ist nur die Selbständigkeit als Unternehmer in einer herausfordernden Branche. Diese Weiterentwicklung inspiriert und wirkst sich auch weiter auf meine Einstellung zum Kochen  aus. Ich muss zwar jetzt besonders intensiv und hart arbeiten, bin aber noch selbstbestimmter .. Mein Betätigungsfeld an sich aber hat sich nicht verändert, es ist nur noch vielfältiger geworden, weil ich jetzt auch Hausmeister, Marketingchef, Grafiker und Controller bin in meinem kleinen Unternehmen

Ein ehemaliger Sternekoch in M-V meint, es sei bezeichnend, wenn ein Mann wie Tillmann Hahn aus dem Gourmetgeschäft mit seiner artifiziell übertriebenen Kochkunst aussteigt. Hat er damit recht?

Der Umstieg war keine Abwahl der Gourmet-Küche. Ich habe das gerne gemacht und sie hat nach wie vor für mich  eine Daseinsberechtigung. Auf Wunsch koche ich auch heute noch Gourmetmenüs. Ich wollte und habe im Übrigen nie ausschließlich Gourmetküche gemacht. nu. Was der Kollege „bezeichnend“ findet und damit meint weiß ich nicht genau. Vielleicht spielt er darauf an dass in den letzten beiden Jahren einige Sternerestaurants in Deutschland geschlossen wurden, aber es gab vielleicht aus ein wenig zu viele. Hier im Land läuft es ja gut in dem Segment...

Sie sind mit Hahn's Gasthaus in  Kühlungsborn wieder ins Segment gehobener Gastronomie eingestiegen. Wie definieren Sie Ihr neues Konzept?

Ich habe den Standort lange und sorgfältig ausgesucht und nach einer völligen Neugestaltung der Räume  mit dem Gasthaus in der Villa Astoria ein Konzept verwirklichen können, dass ich voll und ganz überzeugend finde, was eine Lücke im lokalen Markt schließt und  sich auch ökonomisch einordnen lässt.

Beschreiben Sie dieses Konzept bitte näher.

In Stichpunkten: Mein Gasthaus ist ein Restaurant in dem es die Küche, das Ambiente und den Service gibt den Gäste sich wünschen. Es ist ein norddeutsches Konzept mit skandinavisch-baltischen Einflüssen, das in einem entspannten Landhausstil Urlaubsatmosphäre verbreitet. Ein kulturvolles Gasthaus und FeinkostbBstro mit vielfältigen Kunst- und Kulturangeboten, in dem der Gast im Mittelpunkt steht. Jeden Donnerstag präsentieren wir Live-Musik, es gibt kulinarische Kinoabende, Küchenparties, Ausstellugen und Workshops. Die Küche orientiert sich nicht am klassischen Gourmet-Gedanken, hat aber einen hohen Anspruch an Qualität und Präsentation. Vorrang hat die kulinarische Vielfalt regionaler Produkte. Insgesamt ist das Konzept auch dem regionalen Umfeld angepasst. Urlauber sind wie  einheimische Gäste  eingeladen, in entspannter Umgebung zu genießen.

Ein Blick auf Ihre Homepage verrät die kreative Umtriebigkeit und Vielseitigkeit, die Sie an den Tag legen. Ist diese Vielfalt nicht auch zeitlich kontraproduktiv, sich ganz auf ein Projekt zu konzentrieren, oder erzeugt diese Vielfalt gerade den Reiz kulinarischer Kreativität?

Vielfalt ist gewollt. Es hat aber durchaus nicht alles die gleiche Bearbeitungsintensität. Man muss dabei auch lernen, zu delegieren, dann gleicht sich manches wieder aus. Grundsätzlich halte ich aber an dem, Gedanken fest, vielseitig präsent zu sein.

Sie gelten als ausgewiesener Bekenner zu regionaltypischer Küche. Was sind diesbezüglich Ihre Intentionen?

Ja ich bekenne mich im Bezug auf Produkte und Zutaten konsequent zum regionalen Gedanken. Solche Gerichte kann man durchaus auch in verschiedensten gastronomischen Segmenten anbieten. Und ich wiederhole mich: Damit wird auch kulturelle Identität geschaffen und bewahrt.

Sie werden aber auch zukünftig anspruchsvolle regionaltypische Küche mit anderen, internationalen Einflüssen kombinieren. Ist das nicht ein gewisser Widerspruch?

Das ist überhaupt kein Widerspruch, sondern bietet 1001 kulinarisch interessante Varianten. Man kann beispielsweise durchaus Müritzfisch mit asiatischen und exotischen Zutaten kombinieren. Es gilt nur, darauf zu achten, dass die Geschmackliche Traditionen die Grundlage für Kreativität bilden und nicht wild  durcheinandergewürfelt wird was nicht zusammen passt.

Regionale Küche aller Couleur braucht natürlich auch regionale Zutaten. Wie wichtig ist Ihnen diesbezüglich die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?

Sehr wichtig, aber im Detail nicht immer unkompliziert und wunschgemäß zu realisieren. Um das Problem zu lösen hane ich 2010 das Netzwerk „ländlichfein“ mitgegründet. Dort treffen landwirtschaftliche Bio-Erzeuger aus der Region auf Verarbeiter und Gastronomen um miteinander regionale Bio-Qualität zu fördern.

Gelegentlich flammt in der "Szene" ein Streit auf, was sich ein Spitzenkoch in Sachen Geschmacks-verstärker, Convenience-Produkte und Werbung dafür "leisten" darf? Was ist dazu Ihre diesbezügliche Meinung?

In Sachen Handwerk müssen solche Dinge natürlich außen vor bleiben. Alles andere täuscht Natur nur vor. Man muss nicht jeden Trend mitgehen und auch in wirtschaftlicher Hinsicht klug entscheiden. Das ist auch für mich ein wichtiger Teil beruflicher Ethik. Es gibt verlockende Angebote von der Industrie und wer im Fernsehen ist, dessen Restaurant ist auch voll. Dennoch finde erwarten Gäste zu Recht ehrliche, chemiefreie Küche von Fachleuten und guten Gastronomen. Wir halten das Versprechen, soweit dass wir keine industriellen Convenience- oder Fertigprodukte verwenden. Keine Suppen-und Saucenpülverchen und auch keine Fertigdressings.

Woher beziehen Sie hauptsächlich Ihre Ideen bei der Entwicklung neuer Rezepte und Menüs?

Am meisten werde ich davon auf Reisen und im Urlaub inspiriert. Da hat man Ruhe und ganz andere Antennen für Neues. Vieles kommt aber auch einfach von innen, aus dem Bauch heraus. Manches schlummert auch lange im Hinterkopf, bevor etwas passendes daraus wird. Auch beim Einkaufen kommen mir oft gute Ideen. Selbst der Schreibtisch schützt mich nicht vor neuen Einfällen.

Wo liegt für Sie der goldene Mittelweg zwischen bodenständiger und Gourmetküche?

Ganz einfach: Die besten Zutaten einkaufen und so verarbeiten, dass man keine Brigade von 10 Mann braucht um 30 Gäste zu bekochen.

Was zeichnet für Sie einen Gourmetkoch als Gastgeber und einen Gourmet als Gast eigentlich aus?

Der Gastgeber muss seinen Gast ernst nehmen und ihm das beste bieten was sein Handwerk und die besten Zutaten hergeben. Der Gast sollte offen sein um sich einlassen und führen zu lassen, dann wird er kulinarisch am Meisten erleben, wenn er in die richtigen Restaurants geht.

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Ist es eigentlich schwer, ohne Stern und Gault Millau zu leben? Was bedeuten Ihnen solche Auszeichnungen?

Kurz und gut, man sollte das alles nicht so wichtig nehmen. Ich habe mich immer über gute Bewertungen gefreut, weil sie auch helfen zu vermarkten, aber emotional muss man sich nicht von Kritiken abhängig machen, Kritik sollte man ernst nehmen und als Anlass begreifen um sich selbst zu überprüfen, aber auch nicht überbewerten.

Ist für Sie Sterneküche mehr als "künstlerisches Kochen" auf hohem Preisniveau?

Ich sehe mich nicht als Künstler. Aber eine gewisse Handwerkskunst ist in jedem Handwerk die Königsdisziplin.

Deutschland schwimmt auf einer Welle von Koch-Show aller Couleur? Worauf kann die Welt in dieser Hinsicht verzichten?

Kochsendungen in denen Begeisterung für das Kochen an sich und die Produkte, vielleicht sogar auf Reisen, rüberkommen mag ich auch. Sie sind aber selten Spektakuläre Show  an sich ist manchmal ganz amüsant. Ich sehe aber wenig davon, es ist für TV-Konsumenten gemacht , nicht für Fachleute. Was ich nicht mag sind die Formate in denen Leute vorgeführt werden.

Muss ein Spitzenkoch eigentlich auch Entertainer sein? ...Soll auch heißen: Wie muss eine Kochshow aufgezogen und welchem Anspruch verpflichtet sein, an der Sie teilnehmen würden?

Man muss es nicht sein, aber es hilft ungemein. In den Medien taucht aber von den Spitzenköchen eher die 2.  Reihe auf. Den Kontakt zum Gast aber sollte man schon dezent und stilvoll pflegen, wenn man auch das als Entertainment zählen kann. Ich würde gerne eine Sendung machen in der noch mehr von unserer wirklich tollen kulinarischen Vielfalt hier im Land gezeigt wird. Das finde ich längst überfällig. Mecklenburg-Vorpommern hat unendlich viel mehr zu bieten als landläufig bekannt ist.

Welche Köche sind für Sie eine Art Vorbild in Bezug auf Authentizität und Qualität des Kochens?

Ein großes Vorbild hatte ich nie, aber die Leute aus meinem beruflichen Leben, die einen bleibenden positiven Eindruck hinterlassen haben waren viele: Fritz Schilling wegen seiner passionierten, filigranen Handwerklichkeit. Dieter Müller wegen seines Fleißes und seiner Bodenständigkeit, Jean-Georges Vongerichten wegen seines Geschäftssinnes und internationalem Erfolg, David Kinch wegen seiner Umkehr vom angestellten Hotelküchendirektor zum selbständigen Sternekoch und viele andere die weniger bekannt sind aber mit Rückgrat ihren Weg gemacht habeb durch schwierige Zeiten mit Krankheit, Sucht, wirtschaftlichem Überlebenskampf und vorbei an menschlichen Abgründen..

Was essen Sie am liebsten und welche Gerichte bereiten Ihnen als Koch die meiste Freude?

Einfach immer wieder mal was Neues von rustikal bis Gourmet.

Wie muss ein Restaurant aussehen und was muss es dir bieten, um sich dort als Gast wohl zu fühlen?

Das Gesamterlebnis macht es aus. Es muss einfach alles einen Beitrag zum Vergnügen leisten. Das Konzept darf nicht erdrücken und der Gast damit nicht überfordert sein.

Was hat ein Koch wie Sie für Hobbys? Spielt Kulinarik für Sie auch in der Freizeit eine Rolle?

Klassische  Hobbys erlaubt meine Zeit nicht. Aber ich interessiere mich  für Kunst, Architektur und Handwerk. Und schließlich gibt es durch  Familie und Kinder ja auch noch andere Themen, die das Leben lebenswert machen. Und klar, ich wandle auch in meiner Freizeit immer auf kulinarischen Pfaden.

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