Gunnar Müller, Jahrgang 1974, geboren in Wismar, ledig, in einer Beziehung lebend, keine Kinder.
Seinen Beruf als Koch hat er im Hafenclub Hamburg erlernt. Es folgten weitere Stationen in Hamburg wie der Fischküche Brahm und dem ehemaligen Restaurant Dante in der Alsterschleife sowie im „Manne Pahl“ in Kampen auf Sylt. Ab 2016 ist er Küchenchef im Restaurant „Klassenzimmer“ des Kavaliershauses Schloss Blücher am Finckener See.
Was ist für Sie Genuss im kulinarischen Sinn?
Genuss im kulinarischen Sinn, ist das Produkt in seiner Natürlichkeit intensiv zu schmecken, aber auch raffiniert zu würzen. In diesem Sinn ist für mich als Koch im „Klassenzimmer“ das „Klassenziel“ erreicht, wenn ich den zufriedenen Gast erlebe.
Beschreiben Sie das kulinarische Angebot Ihres Hauses in einem Satz?
Wir bieten regional geprägte Küche, die ohne viel Chichi auskommt, aber schmackhaft-kreativ auch im internationalen Gewand inspiriert und gewürzt ist.
Was zeichnet Ihre Küche zu Angeboten im kulinarischen Umfeld aus?
Ich vergleiche in dieser Beziehung nicht gern. Jede Küche hat ihre Eigenart und ihren Reiz. Bei uns macht es wohl die Gesamtheit des Kochens aus, das zur Gegend und der Klientel des Hauses passt.
Über welche Werte definieren Sie Ihre Küche?
Ehrliches Handwerk und in erster Linie frische Produkte. Und vor allem mit Herz und Liebe gekocht.
Von welcher Gäste-Klientel gehen Sie denn in Sachen Kulinarik aus?
Jedermann ist willkommen. Hauptsächlich sind es Hotelgäste, auf deren spezielle Wünsche wir auch flexibel reagieren können. Spontanität zeigt jedoch mitunter Grenzen des Machbaren auf, da das Umfeld und Angebot an Produkten nicht dem der Großstädte entspricht.
Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre Speisen?
Es muss eine wirtschaftliche Liaison von saisonalem Angebot, Gästewünschen und einem realistischen Preisgefüge sein.
Müssen Sie sich bei der Entwicklung der Karte auch an finanziellen Vorgaben orientieren?
Wie vorher schon angemerkt: Unsere Vorgaben sind zufriedene Gäste in Verbindung mit Wirtschaftlichkeit.
Kommt Ihre Küche ohne "Verstärker" oder Convenience-Produkte aus?
Für meine Tomatensauce nehme ich Pelatis, und die eine oder andere Gewürzgurke lege ich nicht selber ein. Das war es dann aber auch schon. „Verstärker“ aller Art sind tabu.
Verstehen Sie sich als Koch eher als Handwerker oder Künstler?
Ich verstehe mich als kreativen Handwerker. Und, um es mal scherzhaft auszudrücken, zum Arbeiten mit „OP- und Laborbesteck“ fehlt mir die hübsche Assistentin.
Hinterfragt: Wie viel „Kunst“ lassen Sie auf Ihren Tellern zu?
Als Alleinkoch und damit weitestgehend „Mann für alles“ konzentriere ich mich auf das Wesentliche. Garpunkt und Geschmack stehen an erster Stelle. Das alles wird aber optisch ansprechend präsentiert.
Was bedeutet Ihnen Regionalität in kulinarischer Hinsicht?
Das ist für mich auf den Tisch gebrachte saisonale Natur der Umgebung, die von Fisch, Fleisch, über Wild und Gemüse bis hin zu Kräutern reicht.
Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?
Ohne die geht Regionalität nicht. Es wäre nicht authentisch. Es stärkt die Region, weil die Wertschöpfung hier bleibt.
Welche konkreten Kooperationen in der Region gibt es bereits?
Wir arbeiten mitunter mit den Müritzfischern zusammen. Je nach Angebot auch mit diversen Bauernhöfen und dem Jäger vor Ort. Ein Großlieferant, der Produkte aus Mecklenburg anbietet, gehört ebenfalls dazu. Ich bin eigentlich immer auf der Suche nach interessanten Zulieferern.
Wie stehen Sie zu dem Grundsatz der ganzheitlichen Verwertung von Tieren?
In Zeiten der Verschwendung gebietet das allein schon der Respekt vor der Kreatur. Eine verantwortungsbewusste Verarbeitung weitestgehend aller Teile, ehrt das Tier, und ist natürlich auch ein Aspekt der Wirtschaftlichkeit.
Inwieweit bieten Sie auch originäre Mecklenburger Küche an?
Zu unserer Hausmannskost gehören u.a. Gerichte wie der Mecklenburger Rippenbraten, Ente oder eine zünftige Kartoffelsuppe.
Hinterfragt: Gibt es die originäre Mecklenburger Küche überhaupt?
Die ursprüngliche Küche Mecklenburgs ist eher deftig und orientiert sich an der traditionellen Landwirtschaft im Nordosten: Tüften, Dörrobst, Kohl und Rüben, Sanddorn, Fliederbeeren. Auch Wild darf nicht fehlen, und die Seen sowie die Ostsee bieten reichlich Fisch. Jedoch ähneln die Gerichte sehr mit anderen norddeutschen Küchen über Mecklenburg hinaus.
Können Sie auch das umsetzen, was man allgemein mit Fine Dining bezeichnet?
Fine dining ist kompromisslos und perfektionistisch mit jeder Menge kleiner Bausteine. Fachlich kann ich das wohl. Von der Menpower her ist es aber unrealistisch. Wir stellen uns jedoch auf spezielle Gästewünsche ein und können auch in diesem Bereich einiges auf den Tisch zaubern.
Wie gestaltet sich ein dreigängiges Abend-Menü? Haben Sie Beispiele parat?
Das ist durchaus nicht nur auf Abendessen beschränkt. Vorab kann es beispielsweise eine Karotten-Ingwer-Kokos-Curry-Suppe geben. Danach kann man einen vegetarischen Gang bestellen, der beispielweise aus Rahmrisotto und Waldzwergen, also Pilzen, bestehen kann.
Die Fleisch-Variante wäre eine rosa Lammhüfte mit Spinat und Wurzelpüree sowie gebackener Maispolenta. Und als Dessert rundet eine Pralinenmousse mit Melone und Minze das Menü ab.
Sie definieren Ihr Restaurant unter dem Begriff Klassenzimmer: Befürworten Sie es, den Gast für gutes Essen zu „erziehen“ und evtl. Empfehlungen zu geben?
Richtig: Das Restaurant befindet sich im ehemaligen Klassenzimmer der einstigen Schule. Aber dort entscheidet jetzt der Gast nach seinem Geschmack. Ich bin in diesem Zusammenhang kein Lehrer, sondern kulinarischer Begleiter.
Also lassen Sie den Gast einen lieben Gast sein?
Für mich findet Erziehung im kulinarischen Sinne in der Familie statt, und wird da weitestgehend „geprägt“. Das Klassenzimmer an sich ist aber ein Ort zur Weitergabe des Wissens. In diesem Sinne freue ich mich, geschmackliche Erfahrungen weitergeben zu können. Und auch der Lehrer, sprich: der Koch, muss sich ständig damit beschäftigen, sein Wissen zu erweitern. Wobei Kochen nicht zur Staatsbürgerkunde werden sollte.
Was ist für Sie ein Spitzenkoch? Ist ein Stern dafür ein Muss?
Sterneküche ist eine „Knochenmühle“, die aber auch viele sehr gute Köche auf Dauer zermürbt hat. Jeder, der sie fährt, dem ist großer Respekt zu zollen. Ein Spitzenkoch ist aber für mich einer, der seinem Gast Genuss bietet. Das fängt schon mit ganz einfachen Dingen an und hat mit einem Stern erst einmal gar nichts zu tun.
Was halten Sie von kulinarischen Auszeichnungen?
Der Wettbewerb um solche Meriten ist in diesem Zusammenhang Ansporn und Bürde zugleich. Und solche Ehrungen sind auch „Treibstoff“, um die Neugierde der Gäste zu schüren.
Wie beurteilen Sie die allgemeine Situation im gastronomischen MV? Woran fehlt es?
Viele Gaststätten und Restaurants bieten zu viele Gerichte an. Das ist der Qualität insgesamt nicht unbedingt förderlich.
Gibt es neben den kulinarischen Leuchttürmen im Land MV eine flächendeckend anspruchsvolle zweite, gar dritte, Reihe?
Neben der Sternegastronomie gibt es für jeden Anspruch eine Möglichkeit der Verköstigung. In Reihen zu klassifizieren, wäre für mich der falsche Ansatz.
Damit beantworten Sie die Frage aber nicht in qualitativer Hinsicht. Hinter Masse steht ja meist nicht Klasse.
Das ist auch eine Frage, was für den einzelnen Gast Qualität bedeutet, und ob er bereit ist, für sie zu zahlen und ob er es sich leisten kann.
Hinterfragt: Was müsste sich ändern, um das landesweit zu erreichen?
Der Gast bestimmt im Endeffekt das Angebot. Und die vorhandenen Restaurants sind diesbezüglich ein Spiegel. Der Gast sollte sich Willkommen fühlen.
Es gibt aber definitiv gastronomische Qualitätsunterschiede. Müsste da nicht ein Umdenken erfolgen, um den qualitätsbewussten Gast zu erreichen?
Wie vereinzelt zu sehen, erfolgt bereits ein Umdenken. Und ich bin gespannt wie es sich entwickelt.
Haben Sie kochende Vorbilder?
Es gibt im In- und Ausland exzellente Köche. Das hat nichts mit Sternen oder Punkten zu tun. Sie inspirieren mich, voranzugehen, auszuprobieren und den eigenen kulinarischen Horizont zu erweitern.
Haben Sie Hobbys, spielt Kulinarik auch in Ihrer Freizeit eine Rolle?
Früher habe ich mich sportlich mit Boxen, Judo und Kampfkunst fit gehalten. Heute fahre ich täglich Rad. Außerdem habe ich einen Garten mit Kräuterbeet und Rosen sowie ein kleines Stück Land um privaten Anbau von Produkten verschiedenster Art. Außerdem habe ich eine sehr agile weiße Schäferhündin. Das füllt die Freizeit schon gut aus.
Also eine Art „lernende“ Freizeitbeschäftigung?
Kann man so sehen: Es fördert den Bezug zum Produkt und verdeutlicht die harte Arbeit, die dahinter steckt. Und wenn dann noch etwas Zeit bleibt, beschäftige ich mich auch gern mal mit Internet-Spielen wie „Eve Online“. Das ist für mich ein adrenalinbasierter „Sternehintergrund“ und damit Popcorn für die Synapsen.