Geschmackssache: Erzgebirge französisch

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In meiner Jugendzeit in Aue im Erzgebirge gingen die liebeshungrigen und -willigen Teenager immer auf die sogenannte Rennbahn. Das war eine Art Rundkurs inmitten der Stadt mit den Eckpunkten Stadtcafe, Postplatz, Milchbar und Hotel Blauer Engel, dem ersten Haus am Platze. Und Max, natürlich geschniegelt und gebügelt, immer mittenmang. Hatte man(n) auf diesen „Walk of Love“ schließlich die Dame seines Herzens blicktechnisch erreicht, wurde das finale Anbaggern manchmal mit einem Besuch in dem Hotel gekrönt. Im Restaurant, versteht sich. Nicht, was Sie denken (könnten)…

Das traditionsreiche Haus wird heute von Benjamin Unger, einem der besten Köche des Freistaates, geleitet.  Der hat richtig viel auf der Pfanne und schwingt natürlich auch in der Küche des Hauses das Zepter. Sein Gourmet-Restaurant „St. Andreas“ ist immerhin mit 17 von 20 Punkten beim Restaurantführer Gault Millau bewertet. Warum das nur einen Bib Gourmand, das ist der kleine Michelin-Stern, wert ist, wissen wohl nur die Küchengötter.

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Den jungen Küchenchef juckt das aber nicht. Für ihn zählt allein die Zufriedenheit seiner Gäste. Für einen Restaurant-Tester in Schönheit sterben, kommt für ihn nicht in Frage. Unger sieht sich dem Anspruch verpflichtet, erzgebirgische kulinarische Traditionen neu aufzulegen und im Detail mit Elementen der sächsisch-höfischen und französischen Küche zu kombinieren. Was dabei herauskommt, ist kompositorisch beachtlich. Im aktuellen Menü bringt er Wasser, Erde, Meer und Wald zusammen und tischt Eismeersaibling, Schweinebacke und Kalbsbries mit Topinambur, Kabeljau und Reh auf. Auch dicke Milch und Frucht in Form von Käse und Birne mit Nuss fehlen nicht in der faszinierenden geschmacklichen Kombination.

Dem steht auch das Angebot in der Tausendgüldenstube in nichts nach. Hier gibt es eher bodenständige, aber geschmacklich nicht weniger anspruchsvolle Kost. Wickelbraten, Sauerbraten, Grüne  Klöße, Knödel, Kartoffelpuffer und andere Verführungen zaubert das Küchenteam traditionsbewusst auf den Teller.

Wer es noch deftiger mag, dem ist der angeschlossene Brauereigasthof „Lotters Wirtschaft“ genau der richtige Ort, um Großmutters Rezepte mit neuer Kochtechnik zu erleben. Hier kann man trefflich die kulinarische Sau rauslassen, würziges Bier und Klassiker wie die erzgebirgische Käsespezialität Schieböcker, oder Eisbeinsülze, Strammen Max und Tartar genießen.

Als Rezept bietet Benjamin Unger ein Allerlei vom Breitenbrunner Reh an. Das vollständige Rezept gibt’s auf meiner Internetseite. Es ist für einen Hobbykoch zugegebenermaßen eine Herausforderung. Ich habe es aber in Familie ausprobiert. Das macht nicht nur Spaß, sondern ist im Ergebnis auch ein Hochgenuss. Trauen Sie sich etwas zu und probieren Sie eigene Geschmackskombinationen aus.

Diese Kolumne erschien samt einem Rezept für ein Allerlei vom Reh
am 24. Februar 2016 in der Sächsischen Zeitung und der Freien Presse.

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