Erik Schröter, Jahrgang 1964, geboren in Quedlinburg am Harz, in einer Beziehung lebend, eine Tochter.
Seine Lehre als Koch absolvierte er bis 1983 in Dessau, wo er bis 1986 auch in verschiedenen Restaurants arbeitete. Ab 1986 arbeitete er in der BRD u.a. in Oldenburg, am Tegernsee und in der Oberpfalz, bis er ab 1993 nach Mecklenburg-Vorpommern kam, erst in Buschwitz auf Rügen, dann in Gourmetrestaurants in Schwerin arbeitete und von 1998 bis 2005 ein eigenes Gourmetrestaurant „Schröters“ führte. Es folgte eine Tätigkeit als Küchendirektor im Schlosshotel Burg Schlitz. Ab Oktober 2007 leitete er bis Anfang 2010 ein Hotel in Ungarn am Balaton als Direktor und Küchenchef. Seit dem Frühjahr 2010 zog es ihn in die Schweiz, wo er bis 2018 in verschiedenen Gourmetrestaurants als Küchenchef wirkte und ab 2019 das Gasthaus „Zum Goldenen Sternen“ in Lüscherz am Bielersee als gleichberechtigter Geschäftsführer und Küchenchef übernahm. Er erhielt verschiedene kulinarische Auszeichnungen. Dazu gehörten 2011 Restaurant der Viva Michelin Stern, 2011 die Ehrung als Trendsetter des Jahres bei „Basel Geht Aus!“ und 2012 der Michelin-Stern im Restaurant „Matisse“ in Basel. Außerdem wurde er zweimal zum „Aufsteiger des Jahres“ im Bereich Baselland und Baselstadt geehrt und erhielt 17 Punkte Gault Millau.
Wie kommt man aus dem deutschen Osten in die weite Welt und lässt sich gar in der Schweiz heimisch nieder? Kulinarisches Vagabundentum oder Berufsverständnis?
Sie wissen ja, dass es in meinem Beruf sogenannte Lehr- und Wanderjahre gibt. Davon profitiert ein Koch ungemein. Ich habe diese Möglichkeit vor allem ab 1986 genutzt und mich im besten Sinne des Wortes „ausprobiert“ und mich in vielfältiger Weise weiterentwickelt.
Also alles heile Welt auf Ihrer kulinarischen Reise?
Natürlich nicht. Es waren auch Stationen dabei, die ihre Schattenseiten hatten. Man haut nicht einfach von einem Job ab. Aber man ist oft auch gewissen Leuten ausgeliefert. Dann muss man Entscheidungen treffen. Das habe ich stets getan. Auch, um mich nicht selbst zu verbiegen.
Wie definieren Sie Genuss im Allgemeinen und im kulinarischen Sinn?
Genuss kann man lernen. In jeder Beziehung. Und man wird Genuss in jeder Beziehung auch immer wieder neu entdecken. Kulinarisch gesehen, machen Top-Produkte den Genuss aus. Das ist die Basis für meine Arbeit, ohne die der Genuss nicht möglich wird, aber auf denen man alles aufbauen kann.
Beschreiben Sie das kulinarische Angebot Ihres Hauses in einem Satz?
Einfach frische Küche vom Seenland.
Bedeutet „einfach“ anspruchslos?
Sie können davon ausgehen, dass der Gast bei uns anspruchsvolle, raffinierte Küche genießen kann. Das „einfach“ bezieht sich nur Verwendung der Produkte, die weitestgehend aus der Region stammen und küchentechnisch veredelt und in Szene gesetzt werden.
Ihre kulinarische Vision definieren Sie über die Natur und Leidenschaft des Gartens. Beschreiben Sie bitte diesen Anspruch.
Wiederum ganz „einfach“. Ohne diese Vision, wie Sie es nennen, könnte ich gar nicht kochen. Auf dem Zusammenspiel von frischen, natürlichen Produkten habe ich meine Küche aufgebaut. Und die Natur ist ein Quell für kochende Ideen.
Also ist die Natur der inspirative Nährboden für Ihre Speisekarte?
Genau das will ich damit sagen. Man muss nur genau hinschauen und mit seinen Möglichkeiten spielen. Ich gestalte in diesem Sinne eine natürliche Symbiose zum Kochen.
Über welche Werte definieren Sie Ihre Küche?
Vor allem über die kochende Erfahrung und ständige Weiterentwicklung. Aber auch über die Tradition, die letztlich zu kochender Innovation führt. Man muss auf dem Laufenden bleiben und darf keine Grenzen setzen.
Apropos Handwerk: Gibt es für Sie eine originär Schweizer Küche?
Für mich nicht wirklich. Es gibt wohl einige spezielle Gerichte, die man der Schweiz originär zuordnen kann. Aber geht auch auf die Tradition des Alpenlandes zurück. Früher war Küche nur mIttel zum Sattwerden. Heute ist man vielfach übersättigt und sucht nach Originärem, das es so eigentlich nicht gibt.
Was zeichnet Ihre Küche zu Angeboten im regionalen kulinarischen Umfeld aus?
Ich setze vorwiegend regionale Produkte ein, die raffiniert, aber auch nicht überzogen in Szene gesetzt werden. Daan mangelt es aus meiner Kenntnis im Umfeld etwas
Anders gefragt: Worin wollen Sie sich bewusst unterscheiden?
Um es auf den Punkt zu bringen: Ich führe keine Frittierküche und schwimme nicht mit dem kulinarischen Strom. Das muss auch der Gast akzeptieren.
Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre Speisen?
Es wird bei mir immer eine Kombination von Saison und Angebot sein. Dabei muss man auch darauf achten, was man dem Gast an Wertigkeit zumuten kann.
Präzisiert: Wie viel „Freiheiten“ geben Sie sich und wo setzen Sie preisliche Grenzen?
Grenzen setze ich mir genau genommen nicht. Aber es muss sich wirtschaftlich tragen. Da beißt die Küchenmaus keinen Faden ab. Im Detail wird einiges zur Mischkalkulation. Aber man muss mit den Produkten spielen und sie exzellent in Szene setzen
Kommt Ihre Küche ohne "Verstärker" oder Convenience-Produkte aus?
Ohne Einschränkung: Ja. Und Verstärker sind Lügen am Geschmack. Die Natur selbst ist der Verstärker an sich.
Wo gehen Sie in kulinarischer Hinsicht Kompromisse ein?
In keiner. Haben Sie eine andere Antwort erwartet?
Aus der Kenntnis Ihres Lebenslaufes: Nein. Aber man(n) wird ja mal fragen dürfen.
(schmunzelt): Ihr Glück…
Verstehen Sie sich als Koch eher als Handwerker oder Künstler?
Sowohl als auch. Aber das Handwerk setzt zu 70 Prozent die Akzente. Das, was man unter Kunst einordnen kann, bringt schließlich nicht mehr Geschmack auf den Teller.
Hinterfragt: Wie viel „Kunst“ lassen Sie auf Ihren Tellern zu?
Kunst ist ja auch immer eine Frage der Definition. Da sagen die einen so, die anderen so. Für mich darf der Teller auf jeden Fall nicht gekünstelt wirken. Und man muss das Produkt an sich noch erkennen.
Kochen Sie eigentlich nach Rezepten, oder weitgehend nach Intuition?
Ich entwickle meine Rezepte aus der Idee. Soll heißen, ich sehe etwas, stelle das in geschmacklichen Kontext und probiere mich dann aus, bis es passt…
Welche Rolle spielt traditionelle Küche in Ihrem Haus?
Ich gehe solchen Aspekten nicht mehr vorrangig nach, sondern baue neue kulinarische Traditionen auf.
Oho, also eine Küche neuen Typus‘. Geht das ohne Tradition?
Die Tradition spielt nur insofern eine Rolle, dass sie gegebenenfalls in neue geschmacklich-kombinatorische Akzente umgesetzt wird.
Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?
Das ist das A und O für meine Küche. Ich bin auch stets persönlich vor Ort, weiß, wie dort produziert wird und hole die Ware selbst ab.
Konkret: Wie viel Regionalität findet sich auf Ihrer Karte wieder?
Aus der Region stammen mindestens 80 Prozent der eingesetzten Produkte. Das wird von den Gästen gut angenommen und geschätzt.
Inwieweit arbeiten Sie auch internationale Akzente in Ihre Küche ein und welche Grenzen setzen Sie diesbezüglich?
Das kommt vor allem beim Einsatz von Gewürzen beispielsweise aus der asiatischen Küche zum Tragen. Aber stelle auch vieles selbst her, dehydriere, trockne und kombiniere mit anderen Gewürzen, die mir so natürliche Geschmacksverstärker sind.
Wie stehen Sie zu dem Grundsatz der ganzheitlichen Verwertung von Tieren oder der kulinarischen These von Franz Keller: Vom Einfachen das Beste?
An sich ist diese These nichts Neues, wohl aber etwas in Vergessenheit geraten. In unserer Küche verarbeiten wir aber so.
Provokant: Ist diese These nicht auch ziemlich PR-belastet?
Sagen wir es mal so: Auch beim Koch gehört Klappern zum Handwerk. Und wenn es dem Verständnis für gutes Essen dient, ist das ja nicht ehrenrührig.
Was ist für Sie ein Spitzenkoch? Ist ein Stern dafür ein Muss?
Man definiert den Begriff oft über den Stern. Das eine bedingt aber das andere nicht, denn der Erfolg hat viele Kriterien. Auch handwerklich gute Arbeit zeichnet einen Spitzenkoch aus, ohne das ein Stern am Restaurant prangt.
Was ist für Sie ein Spitzenkoch? Ist ein Stern dafür ein Muss?
Man definiert den Begriff oft über den Stern. Das eine bedingt aber das andere nicht, denn der Erfolg hat viele Kriterien. Auch handwerklich gute Arbeit zeichnet einen Spitzenkoch aus, ohne das ein Stern am Restaurant prangt.
Wie viel Unternehmer und wie viel kreativer Freigeist muss ein Koch in leitender Position sein?
In erster Linie wohl Unternehmer. Denn in Schönheit sterben gilt nicht. Beides muss sich die moralische Waage halten, dann führt das zu respektablen Ergebnissen.
…und wie viel Entertainer darf in einem Koch stecken, der seriöse Ansprüche hat?
Wissen Sie, man kann heute nicht mehr als anonymer Koch verkaufen. Der Gast erwartet den Kontakt zum Küchenchef auch. Deswegen muss man aber kein klassischer Entertainer sein, oder sich in Klamauk üben.
Können Sie sich eine Art Mittelweg von Gourmetküche und anspruchsvoller regionaler Landküche vorstellen?
Gourmetküche gibt es für nicht mehr. Allein mit dem Begriff wurde zu viel Schindluder getrieben. Wenn ich täglich gut arbeite, brauche ich solche Unterschiede auch nicht mehr. Und anspruchsvolle Landküche ist ohnehin ehrlicher.
In diesem Zusammenhang: Wie wichtig ist Ihnen die gutbürgerliche Küche?
Auch dieser Begriff ist mir eher suspekt. Genau genommen gibt es die eigentlich gar nicht.
Befürworten Sie es, den Gast für gutes Essen zu „erziehen“ und evtl. Empfehlungen für geschmacklich-kombinatorische Nuancen zu geben?
Ja, ich sehe darin sogar eine Art Pflicht für den Gastgeber. Man muss auch in dieser Beziehung ausgleichend und informierend wirken und Küche damit „natürlicher“ präsentieren.
Also erfüllen Sie jeden Wunsch des Gastes?
Nein. Das geht gar nicht. Allein in personeller Hinsicht. Man muss mit seinem Potenzial arbeiten. Die Vielfalt macht den Unterschied aus.
Was bedeuten Ihnen Auszeichnungen? Streben Sie höhere kulinarische Weihen an?
Alles hat seine Berechtigung. Und Qualität muss auch anerkannt, lobend erwähnt und ausgezeichnet werden. Auszeichnungen sind auch sehr gute PR und erzeugen Aufmerksamkeit für die Küche. Man darf aber nicht für den Tester arbeiten, sondern für den zufriedenen Gast.
Soll auch heißen, sind Sie auf der Jagd nach dem Stern?
Auf der Jagd sind wir nicht. Aber wir werden ihn bekommen.
Wie sehen Sie die Vergleichbarkeit der Bewertungen von Guide Michelin und Gault Millau? Gibt es da aus Ihrer Sicht Divergenzen?
Aus meiner Sicht wird in Deutschland anders gewertet als in der Schweiz. Hier wird das irgendwie ernsthafter betrieben. In Deutschland ist das viel Selbstunterhaltung.
Wie ist die aktuelle Lage in der Gastronomie in der Schweiz, worin liegen die Probleme?
Der Beruf findet zu wenig Anerkennung und es hapert auch an der Ausbildung. Die Bezahlung lässt ebenfalls zu wünschen übrig. Das hält viele davon ab, in die Gastronomie einzusteigen. Die Arbeitszeiten sind ein weiterer Faktor dafür.
…und wie könnte man diese Probleme aus Ihrer Sicht lösen?
Genau genommen kann man daran nicht wirklich etwas ändern. Das liegt, mal von der Optimierung der Ausbildung abgesehen, in der Natur der Sache. Gastronomie ist eben nach wie vor ein Geschäft, das seine eigenen Gesetze hat.
Haben Sie kochende Vorbilder?
Grant Achatz vom Alinea in Chicago, der eine faszinierende Fusionsküche bietet. Früher hat auch Heinz Winkler zu meinen Vorbildern gehört. Und die „großen Franzosen“ sind nach wie vor das Maß aller Dinge.
Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Freizeit? Spielt dabei Kulinarik eine Rolle?
Ich verlebe gern viel Zeit mit der Familie und fotografiere sehr gern. Wir gehen auch oft zusammen essen und genießen. Es ist uns wichtig, dass unsere Tochter eine enge Beziehung zu gutem Essen und gesunder Ernährung hat.
Letzte Frage: Sehnsucht nach dem deutschen Osten? Bleibt Erik Schröter für immer ein Wahl-Schweizer?
Ich habe gelernt, dass man nie nie sagen soll. Meine früheren nordöstlichen Jahre haben mir für meine Arbeit sehr viel gegeben. Und es zieht mich auch immer mal wieder an die See. Aber vorerst will und werde ich hier arbeiten und meine Passion leben. Und einen herrlichen See haben wir ja buchstäblich vor der Haustür.