Im Interview – Tobias Funke, ein Koch mit Weitsicht…

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Tobias Funke

Tobias Funke, Jahrgang 1982, geboren in Wetzikon im Zürichseegebiet, in einer Beziehung lebend.


Er absolvierte ab 1998 eine Koch- und Service-Lehre im Schloss Rapperswil. Seine ersten beruflichen Stationen waren die "Kunststuben" in Küsnacht und das Restaurant "Il Casale" in Wetzikon im Kanton Zürich. Es folgten das Restaurant "Falkenburg" in Rapperswil und der "Obstgarten" in Freienbach jeweils als Pächter und Küchenchef. 2015 übernahm er die Leitung des Restaurants "Fernsicht" in Heiden im Appenzeller Vorderland als Geschäftsführer und Executive Küchenchef. Die Küche des dortigen Restaurants "Incantare" ist mit einem Michelin-Stern und 16 Punkten Gault Millau ausgezeichnet. Funke ist Autor der "ältesten Speisekarte der Schweiz" mit bis zu 600 Jahre alten Gerichten.

Wie definieren Sie Genuss im Allgemeinen und im kulinarischen Sinn?

Für Genuss in jeder Beziehung muss man Zeit haben und sich Zeit nehmen können. Allgemein hat Genuss oft ganz simple Facetten. Das kann ein Naturereignis ebenso sein, wie ein gutes Buch, oder die Gemeinsamkeit mit Menschen meines Vertrauens. Kulinarisch gesehen kommt für mich Genuss auf, wenn ich merke und schmecke, dass mit Hingabe und Handwerk gekocht wurde.


Machen Sie da Unterschiede in der Ausrichtung der Küche?

Nein, ich esse eigentlich alles gern. Es ist für mich eher wichtig, dass ein Gericht in seiner Zubereitung Sinn macht und einfach gut ist. Was immer man mit diesem Begriff verbindet.

 

Beschreiben Sie das kulinarische Angebot Ihres Hauses in einem Satz?

Wir betreiben in unserem Haus zwei Küchen und bieten so ziemlich die gesamte Palette von Gourmet und Fine Dining bis hin zu deftiger Hausmannskost. Da kann man sich als Koch richtig ausleben und es beispielsweise im Gourmet-Bereich so richtig auf die Spitze treiben.

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Über welche Werte definieren Sie Ihre Küche?

Das Handwerk ist und bleibt die Grundlage. Und die Produkte müssen erstklassig sein.

 

Welche Rolle spielt traditionelle Küche in Ihrem Haus?

Darauf bauen wir auf und interpretieren beispielsweise klassische französische Küche und Produkte neu, setzen geschmacklich-kombinatorisch neue Zutaten ein und vergeben so unseren Gerichten eine ganz eigene Note.

 

Wie kommt man auf die Idee, die älteste Speisekarte der Schweiz zu „erfinden“?

Ich wollte einfach  die „alte“ Schweizer Küche besser verstehen und habe mit in Bibliotheken und Archiven kundig gemacht. Das hat auch meinen Blick für das „Kochen er Neuzeit“ geschärft.

 

Wie viel ist davon „Erfindung“, wie viel Interpretation alter Gerichte auf die Neuzeit?

Die Schweiz hat geschmacklich viel zu bieten. Wir verwenden deshalb alte und nicht mehr so häufig verwendete Produkte wie Innereien, die wir neue in Szene setzten. Das ist also eine Mischung aus kreativer Verarbeitung von Tradition und Moderne.

 

„Incantare“: Was war entscheidend für die Namenswahl des Gourmet-Restaurants?

Sie werden wissen, das bedeutet „Entzückung“ und/oder „Erstaunen“. Es ist in diesem Sinne mein Anspruch, dem Gast ein Lächeln auf die Lippen zu zaubern, wenn er im Gourmet-Restaurant diniert. Der Name soll gleichermaßen locken und zu einem nachhaltigen Genuss-Erlebnis animieren.

Was zeichnet Ihre Küche zu Angeboten im regionalen kulinarischen Umfeld aus?

Wir verwenden nur Produkte aus der Schweiz und verarbeiten sie zu kulinarischen Kreationen auf höchstem Niveau.

 

Anders gefragt: Worin wollen Sie sich bewusst unterscheiden?

Ob das ein Unterschied ist, muss jeder für sich erkunden: Wir zeigen die Schönheit und Vielfalt von Gastronomie und Kulinarik. Und wir wollen dem Gast auch zeigen, dass in alen Bereichen Mitarbeiter für sie da sind, die Spaß an ihrer Arbeit.

 

Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre Speisen?

Saison und das damit verbundene Angebot haben Vorrang.

 

Präzisiert: Wie viel „Freiheiten“ geben Sie sich und wo setzen Sie preisliche Grenzen?

Der Preis ist erst einmal zweitrangig. Aber in der Summe muss natürlich alles passen. Mischkalkulation ist hier ein gefragtes Thema.

 

Woher holen Sie sich die Inspirationen für Ihre Speisekarte?

Ganz einfach aus dem Angebot heraus. Es ist immer wieder eine Frage der Intuition, wie man saisonale Produkte kombiniert und geschmacklich in Szene setzt. Es ist immer wieder eine Herausforderung, aus dem aktuell Verfügbaren ein Klasse-Gericht zu zaubern.

Kommt Ihre Küche ohne  "Verstärker" oder Convenience-Produkte aus?

Bei uns ist alles frisch und natürlich. Sogar den Ketschup stellen wir selbst her. Und die Geschmacksverstärker bietet uns die Natur. Die muss man nur herauskitzeln.

 

Verstehen Sie sich als Koch eher als Handwerker oder Künstler?

Das ist zwar eine Frage der Definition. Aber ich verstehe mich vorwiegend als Handwerker.

 

Hinterfragt: Wie viel „Kunst“ lassen Sie auf Ihren Tellern zu?

Sie werden es mir nicht sofort glauben, aber Kunst lasse ich in diesem  Zusammenhang fast keine zu. Es geht ir um den Geschmack. Und man muss auf dem Teller alles erkennen. Mein erklärtes Ziel ist es stets, alles so gut machen, dass die „Kunst“, also die Garnitur und Anrichte, ersetzbar, zweitrangig ist.

 

Kochen Sie eigentlich nach Rezepten, oder weitgehend nach Intuition?

Es gibt einige „feste“ Rezepte. Beispielsweise bei Pasta-Gerichten. Das meiste entwickle ich jedoch, im Zusammenspiel mit den maßgeblichen Mitarbeitern, intuitiv. Sozusagen aus der Lamäng heraus.

 

„Swiss Alpine Food“. Welchen Unterschied setzen Sie zu den anderen Alpenländern?

Gute Frage. Darüber habe ich noch nicht wirklich nachgedacht. Ich verwende den Begriff aber hauptsächlich, um zu verdeutlichen, dass wir nur Schweizer Produkte einsetzen. Das gilt auch und im Besonderen für unser gutbürgerliches Restaurant.

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Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?

Die ist für unsere kulinarische Philosophie unabdingbar. Ich suche meine Zulieferer übrigens stets persönlich aus und weiß, wie sie produzieren.

 

Konkret: Wie viel Regionalität findet sich auf Ihrer Karte wieder?

Ich lege vor allem auch Wert darauf, mit meinen Produzenten im ständigen Erfahrungsaustausch zu stehen. Damit versteht man auch die Produkte besser und kann sie optimal einsetzen. Wir arbeiten mit vielfältigsten Schweizer Produzenten zusammen. Darunter einen Müller aus dem Aargau oder einem Essigproduzenten, der Schweizer Trauben verarbeitet.

 

Inwieweit arbeiten Sie auch internationale Akzente in Ihre Küche ein?

Es gibt bei uns auch Rind aus Irland und Meeresfrüchte, die eben (Tobias Funke lacht) nicht in der Schweiz wachsen…


Also doch nicht alles made in Suisse?

Man muss es auch nicht übertreiben. Das Wichtigste ist das Gericht als Gesamtkomposition und der damit verbundene Genuss für den Gast.

Wie stehen Sie zu dem Grundsatz der ganzheitlichen Verwertung von  Tieren oder der kulinarischen These von Franz Keller: Vom Einfachen das Beste?

Das kann ich nur unterstützen, wenn es in der Zielsetzung auch nicht wirklich etwas Neues ist. Gerade die nicht so bekannten, nicht so gängigen Teile eines Tieres sind sehr geschmacksintensiv und bieten alle Möglichkeiten einer trefflichen Kombination.

 

Provokant: Ist diese These nicht auch ein wenig suggestiv werbe-belastet?

Sicher. Aber man muss die Botschaft natürlich auch „verkaufen“. Solange man es nicht übertreibt…

 

Was ist für Sie ein Spitzenkoch? Ist ein Stern dafür ein Muss?

Begriffe wie „Starkoch“ an sich sind für mich „Mist“, aber natürlich wie immer auch eine Frage der Definition. Und ein Stern ist dafür erst recht kein Muss. Es kommt auf das kochende Ergebnis und die Erkenntnis an, wie der Koch seinen Beruf versteht und lebt.

 

Können Sie sich eine Art Mittelweg von Gourmetküche und anspruchsvoller regionaler Landküche vorstellen?

Das funktioniert in „einem“ Restaurant nicht, weil man dann zu viele Kompromisse machen muss. In zwei getrennten Restaurants kann man das kulinarische Profil mehr schärfen. Und das ist besser für das Team und den Gast.

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In diesem Zusammenhang: Wie wichtig ist Ihnen die gutbürgerliche Küche?

Auch die hat ihre Berechtigung und bietet viel Spielraum für kochende Kreativität. Bei uns beispielsweise wird das „gutbürgerliche“ Restaurant sehr gut angenommen und Klassiker wie unser Hackbraten sind die Renner, wegen denen manche Gäste sogar weitere Anfahrtwege in Kauf nehmen.

 

Oder anders gefragt: Kochen Sie im gutbürgerlichen Restaurant weniger anspruchsvoll?

Natürlich nicht. Da gibt es keine Unterschiede. Gekocht wird in beiden Restaurants „sauber“ und mit dem ehernen Anspruch, dem Gast Geschmack auf den Teller zu bringen.

 

Generell: Wie viel Tobias Funke ist in der Küche beider Restaurants drin?

Ich setze die grundlegenden Akzente, bespreche mich mit beiden Küchenchefs, dann wird alles im Team umgesetzt. Und natürlich stehe ich auch mit am Herd, oder dirigiere das Geschäft.

Wie wichtig ist Ihnen in der Gesamtheit Ihres kulinarischen Angebots das Thema Dessert?

Das ist ein ganz wichtiger Teil unserer Menüs. Schließlich sind die Desserts das finale Geschmackserlebnis, das besonders in Erinnerung bleibt.

 

…und wie ordnen Sie diesbezüglich Ihren Patissier Kay Baumgardt ein?

Er passt perfekt, wie ein Topf auf den Deckel, ins Team. Und er ist neben dem Küchenchef im „Incantare“ und mir ein maßgeblicher Akteur im Leitungsteam. Seine Ideen sind gefragt. Ich bin oft sehr überrascht über seine Ideen, die von Genialität bis Wahnsinn alles bieten. Gemeinsam rücken wir dann alles in die gewünscht Spurweite.

Befürworten Sie es, den Gast für gutes Essen zu „erziehen“ und evtl. Empfehlungen für geschmacklich-kombinatorische Nuancen zu geben?

Man muss im Detail „erziehen“ und beispielsweise mit Märchen von angeblichen Allergien aufräumen. Und man sollte auch über den Sinn und Unsinn von geschmacklichen Kombinationen Empfehlungen geben. Wir haben uns mit unseren Gerichten schließlich etwas gedacht und möchten dieses Genussempfinden auch an den Gast transportieren.

 

…also erfüllen Sie jeden Wunsch eines Gastes?

Nein, wie bereits erläutert. Und wir bieten auch Wunsch keine vegane Kost und spezielle Länderküche.

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Was bedeuten Ihnen Auszeichnungen? Streben Sie höhere kulinarische Weihen an?

Dem Ego sind solche Meriten natürlich zuträglich. Aber man kann auch nicht mit mehreren Sternen oder Hauben zwangsläufig mehr oder besser kochen. Und solche Ehrungen sind natürlich auch Empfehlungen für den anspruchsvollen Gast. Sie können aber auch Schwellenängste hervorrufen.

 

Wie sehen Sie die Vergleichbarkeit der Bewertungen von Guide Michelin und Gault Millau? Gibt es da aus Ihrer Sicht Divergenzen?

Ja, solche Divergenzen bestehen in der Tat. Manchmal sogar sehr signifikant. Die Maßstäbe und die Sprache sind wohl ziemlich unterschiedlich. Ich will dabei nicht darüber urteilen, ob das gewollt ist.

Wie ist die aktuelle Lage in der Gastronomie in der Schweiz, worin liegen die Probleme?

Eigentlich kann die hiesige Gastronomie nicht meckern. Wer seine Küche gut macht, ist gut besucht. Aber nicht durchgängig. Es müssen auch neue gastronomische Konzepte her, denn der Anspruch an gute Küche wächst. Vor allem auch im Service besteht großer Nachholbedarf.


…und wie könnte man diese Probleme aus Ihrer Sicht lösen?

Die Ausbildung muss verbessert und angepasst werden. Den Mitarbeitern müssen gute Konditionen geboten werden. Das fördert die Motivation ebenso wie die Verweildauer in einem Job.

Haben Sie kochende Vorbilder?

Ob Vorbild der treffende Begriff ist, sei einmal dahingestellt. Mich beeindrucken aber Köche wie Andreas Caminada (Schlosshotel & Restaurant Schauenstein in Fürstenau), Masayoshi Takayama (Restaurant Masa in New York), Sergio Herman (Restaurant „The Jane“ in Antwerpen und Christian Bau (Restaurant Victor’s in Perl-Nennig). Als Köche und auch als Menschen.


Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Freizeit? Spielt dabei Kulinarik eine Rolle?

Ich verbringe gern Zeit mit meiner Partnerin, die als Lehrerin arbeitet. Wir entdecken da oft Gemeinsamkeiten im Umgang mit Menschen. Wichtig ist mir auch die Beschäftigung mit meinem Hund. Und ich tauche sehr gern und kicke in der Fußballmannschaft der Schweizer Köche. Natürlich gehe ich sehr gern essen und möchte auch über den Genuss weltweit Land, Leute und Kultur besser kennenlernen. Auch über diesen Weg holt man sich Inspirationen für die eigene Küche.

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