Im Interview: Rainer Hensen* – ein Koch mit natürlichen Ambitionen

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Rainer Hensen

Jahrgang 1961, verheiratet, 1 Kind, 2 Enkelkinder.

Nach seiner Lehre als Koch und Konditor sowie dem Dienst bei der Bundeswehr stieg er auf direktem Weg in die Selbstständigkeit ein und eröffnete am 12. September 1986 sein Restaurant „Burgstuben Residenz“ in Heinsberg-Randerath, mit dem er seit 15 Jahren einen Michelin-Stern verteidigt.

Was ist für Sie Genuss im Allgemeinen abseits kulinarischer Freuden?

Dazu gehört für mich vor allem, Zeit zu haben. Zeit für die Familie, Zeit für Freunde und angenehme Stunden der Unterhaltung und Entspannung.

Und wie beschreiben Sie kulinarischen Genuss?

Ich fasse das immer mit „Klarheit auf dem Teller“ zusammen. Man muss sehen und schmecken, was es sein soll, was es ist. Das mache ich an den kleinsten Details fest. Daraus entwickelt sich für mich Genuss.

Wie beschreiben Sie Ihre kulinarische "Philosophie"?

Ich setze auf erstklassige Produkte, die ich guten Gewissens verarbeiten kann. Dazu gehört für mich auch, dass ich die Produzenten und ihre Philosophie kenne. Das hat auch etwas mit Verantwortung in vielfältiger Hinsicht zu tun.

Wie würden Sie das kulinarische Angebot Ihres Restaurants in einen Satz fassen?


Natürlich Natur. Oder umgekehrt, was auf das Gleiche herauskommt…

Das ist also für Sie Ihre praktizierte kulinarische Philosophie?

Natürlich, das eine ist vom anderen nicht zu trennen. Wenn ich meine Intentionen nicht auf der Karte umsetze, sind sie ja nichts wert.

Sie setzen sich dem Anspruch aus, Geschmack durch Frische und Produkten aus biologischem Anbau zu bieten. Ist das, provokativ gefragt, Slogan oder tatsächlicher Anspruch?

Was denken Sie denn? Aber ganz im Ernst: Was meinem Anspruch nicht genügt, kommt auch nicht auf die Karte. Slogan ist so gar nicht mein Ding. Und ich gehe mit diesem Anspruch auch nicht PR-mäßig hausieren. Es ist für mich einfach eine Selbstverständlichkeit.

Sie erliegen also nicht dem Klischee des Begriffes „Bio“?


Warum sollte ich das tun? Ich arbeite gern mit Erzeugern zusammen, die nach bestem Wissen und Gewissen produzieren. Und ich setze diesen Gedanken in meiner Küche fort. Das ist für mich auch Lebenseinstellung. Geld verdient man nur mit der Masse.


Anders gefragt: Über welche Werte definieren Sie Ihre Küche?

Über das erstklassige Produkt und die Menschen, die daran arbeiten, anderen Freude und Genuss zu bereiten. Jeder Einzelne gibt mit seiner Arbeit Seele auf den Teller. Das bedingt, dass man die Verantwortung verinnerlicht, die man diesbezüglich hat.

Und welche Rolle spielt Bio dabei? Ist das tatsächlich sozusagen das Gelbe vom Ei?

Wissen Sie, das kann man so nicht pauschal beantworten. Bio ist für mich kein kulinarischer Klamauk mit einem Zertifikat. Vielmehr muss man die Menschen und ihre Einstellung zum Produkt kennen. In diesem Sinne ist auch der Gemüse-Gärtner ein Bio-Produzent, der ohne Siegel seine Produkte natürlich wachsen lässt und pflegt.

Verstehen Sie sich als Koch eher als Künstler oder als Handwerker?

Sagen wir es mal so: Ich bin ein leidenschaftlicher Handwerker. Außerdem ist der künstlerische Aspekt unsere Arbeit, so man das Wort Kunst benutzen möchte, ein sehr schnell vergänglicher.

Sie bieten einen Mix aus mediterran und französisch ausgerichteter Küche. Wie wichtig ist Ihnen in diesem Zusammenhang auch die regionale Komponente?

Das ergibt sich einfach aus meinem Faible, meiner Leidenschaft für mediterrane und französische Küche. In der Umsetzung für mein Restaurant bevorzuge ich natürlich regionale Produkte und lehne mich auch an traditionelle Rezepte aus meiner Kindheit und von meinen Eltern und Großeltern an. Das alles kann man gar trefflich mediterran-französisch zubereiten.

Soll auch heißen: Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?

Ich kenne fast alle Bauern und Erzeuger im weiteren Umfeld persönlich. Da versuche ich selbstverständlich, immer wieder neue Kooperationen anzuschieben, damit in unserer Küche ständig neue kreative Ideen reifen können. Wir stellen im Übrigen auch unsere Wurst selber her. Dafür ist eine Zusammenarbeit mit kompetenten Fleisch-Erzeugern unerlässlich.

Was zeichnet Ihre Küche zu vergleichbaren Angeboten im kulinarischen Umfeld aus? Worin wollen Sie sich bewusst unterscheiden?

Ich verschwende in Sachen „bewusst unterscheiden“ keinen Gedanken. Wir leben einfach unseren Hang zur Natur aus und wollen Bodenständigkeit mit Anspruch bieten. Oberste Priorität hat die Qualität und die Frische der Produkte, die wir verarbeiten. Und auch die Verarbeitung ganzer Tiere gehört zu diesem Anspruch.

Genau genommen liegt Ihr Restaurant in der Provinz. Was, meinen Sie, ist der Schlüssel Ihres Erfolges, hier über 15 Jahre Sterneküche zu etablieren?

Ich glaube, dass ich ein Dickschädel bin. Je mehr Zweiflern an meinem Weg ich begegnet bin, umso hartnäckiger bin ich geworden, diesen Weg zu gehen. Dass sich das schließlich ausgezahlt hat und bei unseren Gästen angekommen ist, dürfte bewiesen sein.

Mal Hand auf ’s Herz: War aller Anfang so schwer wie allgemein beschrieben?

Das können Sie laut sagen. Der Gegenwind kam sogar aus dem Ort, in dem ich ja geboren bin. Man warf mir vor, nur für Reiche zu kochen. Ich musste in der ersten Zeit buchstäblich alle Mittel nur in  das Restaurant einsetzen. Da blieb nicht viel auf dem eigenen Tisch und in der Kasse. Aber mit der Kraft der Familie haben wir auch dieses Tal durchquert.

Inwieweit setzen Sie mit Ihren Gerichten und Menüs im Detail auch regionale Akzente, oder setzen Sie beispielsweise regionale Produkte „nur“ französisch-mediterran um?

Dazu habe ich ja bereits etwas gesagt. Solche kulinarischen Kreationen entstehen nicht wirklich bewusst. Es muss einfach passen, dann sprudeln die Ideen nur so und eines kommt zum anderen.

Inwieweit räumen Sie dem Gast ein,  (s)ein Menü zusammenstellen?

Wenn ich den Gast „lenken“ kann, dann ist das für mich am schönsten. Wir beraten natürlich, aber grundsätzlich ist alles möglich, was im Rahmen unserer Küche umsetzbar ist.

Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre Speisen?

Die Saison bestimmt die kulinarische Musik. Aber es muss natürlich alles auch wirtschaftlich Sinn machen und für den Gast bezahlbar sein. Grundsatz ist, die saisonalen Produkte kommen auch wirklich nur dann auf den Tisch, wenn sie regional verfügbar sind. Das ist für mich auch eine Frage des Umweltbewusstseins.

Legen Sie sich Beschränkungen monetärer Art auf, wenn Sie neue, kreative Gerichte entwickeln?

Nein, das Ergebnis zählt. Das Verhältnis von Aufwand und Nutzen muss aber schon gegeben sein.

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Kommt Ihre Küche ohne  "Verstärker" oder Convenience-Produkte aus?

Reicht es Ihnen, wenn ich sage, dass ich Geschmacksverstärker und Convenience hasse…?

Sie definieren sich sicher über den Begriff Gourmet-Küche? Ist der überhaupt noch zeitgemäß? Was gehört aus Ihrer Sicht dazu?

Gourmet ist mit Genießen und Genussstunden gleichzusetzen. Gast und Koch müssen gleichermaßen Zeit haben, das alles zu verinnerlichen. Vor allem muss es dem Koch gelingen, dass der Gast sein Essen begreift und eine Distanz zu reiner Nahrungsaufnahme aufbaut. Gourmet, oder wie man es immer nennen mag, ist in diesem Sinne ein Gesamterlebnis.

Wie kann der Mittelweg zwischen bodenständiger und Gourmet-Küche aussehen?

Das muss jeder für sich selbst ausmachen. Bodenständigkeit und Gourmet schließen sich nicht aus. Also bedarf es eines Mittelwegs nicht wirklich.

Was ist für Sie ein Spitzenkoch? Ist ein Stern dafür das Muss?

Ein Spitzenkoch bereitet auf der Grundlage seines Handwerks Dinge auf natürliche Weise zu, die dann zu Freude und exzellentem Genuss führen. Dafür ist der Stern aber weder Muss, noch entscheidendes Kriterium.

Zusatzfrage: Haben Sie Verständnis für Kollegen, die ihren Stern freiwillig zurückgeben?

Ja, wenn Sie der Stern belastet, oder sie ein völlig neues Konzept umsetzen möchten. Nein, wenn sie es mit einem PR-Hintergedanken machen, um eventuell vorzubeugen. Genau genommen kann man ihn gar nicht zurückgeben. Dann hat man ihn für ein Jahr und kann höchstens darum bitten, im nächsten Jahr nicht berücksichtigt und nicht mehr im Guide Michelin aufgenommen zu werden. Das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied.

Wie viel Entertainer muss ein Koch heutzutage sein? Wie viel kochender Entertainer sind Sie selbst?

Ich denke schon, dass ich Entertainer bin, denn ich arbeite und rede gern mit Menschen. Wenn man, wie ich, 29 Jahre Kochkurse gibt, dann ist auch das Feedback der Mitmacher sehr wichtig. Gleiches trifft auch für den Gast zu. Deshalb bin ich auch gern sehr nah am Gast. Aber ein kulinarischer Pausenclown bin ich natürlich nicht.

Hatten Sie dieses Selbstverständnis schon immer, oder hat sich das entwickelt?

Beileibe nicht. In meinen Anfangsjahren war ich sehr schüchtern. Aber durch die Kochkurse und die Beschäftigung mit den Teilnehmern habe ich an Selbstvertrauen gewonnen. In der Küche war ich der Macher, dort konnte ich auf Augenhöhe parlieren. Das hat mich dann im Laufe der Zeit auch ins Restaurant an den Tisch gebracht.

Was halten Sie von der aktuellen Flut von Kochsendungen aller Couleur?

Diesbezüglich schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Einerseits werden damit der Stellenwert des Kochs und seine Wertschätzung erhöht. Andererseits werden die prägenden Details des Berufs oft verzerrt, ja gar falsch, dargestellt. Solche Sendung müssen Feeling und Leidenschaft über den Fernseher rüberbringen und dürfen nicht in bloßen Quoten-Klamauk ausarten. Grundsätzlich meine ich auch, dass das Fernsehen zu viel Sex und Kochen, auch zu viel Gewalt, bringt.

Apropos Kochnachwuchs: Wo liegen aus Ihrer Sicht diesbezüglich die Probleme und Reserven?

Die Fehler lagen bzw. liegen teilweise noch in schlechter Bezahlung, schlechten Arbeitszeiten und auch schlechter Behandlung. Der Gast erwartet Qualität zu niedrigen Preisen. Das zwingt den Gastgeber oft dazu an der Ware oder am Personal zu sparen und führt zu einer Art teuflischem Wechselspiel.

Halten Sie die Kochausbildung heute noch für zeitgemäß? Ist hier aus Ihrer Sicht Umdenken nötig, vor allem, was die Kreativität im Rahmen der Prüfungen usw. betrifft?

Die Ansprüche und die Ausbildung müssen qualitativ höher sein. Und es gibt noch Betriebe, die eigentlich gar nicht mehr ausbilden dürften. Das weist wohl auf erstarrte Strukturen hin. Ziel muss es sein, dass der Koch nach der Ausbildung stolz auf seinen Beruf ist und ihn mit Freude weiter ausübt.

Welche der bekannten deutschen oder internationalen Köche sind für Sie eine Art Vorbild in Bezug auf Authentizität und Qualität des Kochens?

Da nenne ich nur Harald Wohlfahrt und Helmut Thieltges. Beide sind in ihrem Kochen außerordentlich authentisch und besitzen die Gabe, dem Gast Freude und Genuss auf den Teller zu zaubern.

Mit welchem Koch würden Sie selbst einmal zusammenarbeiten?

Ich treffe mich zwar gern mit anderen Kollegen. Aber glauben Sie es mir: Meine Mannschaft, auf die ich sehr stolz bin, reicht mir für die Zusammenarbeit völlig aus.

Welchen Traum würden Sie sich als Koch gern noch verwirklichen?

Ich lebe diese Träume gerade in vollen Zügen aus. Ich bekomme eine neue, moderne Küche und baue eine sehr großzügige Genuss-Schule für meine Kochkurse auf. Darüber hinaus wird unser Haus auch zu einem kleinen Hotel umgebaut. Darauf habe ich seit Jahren hingearbeitet und freue mich dementsprechend darauf.

Wie muss ein Restaurant aussehen und was muss es Ihnen bieten, um sich dort als Gast wohl zu fühlen?

Ich sage es mal skizzenhaft: Netter Service, Sauberkeit und eine unaufdringliche Ordnung. Das Restaurant muss im besten Sinne des Wortes einen „Geruch“ haben, wie man sich ihn vorstellt. Und das Essen darf nicht mit einem Sakralessen zu tun haben. Alles in allem: Genuss in ungezwungener Atmosphäre.

Was hat ein Koch wie Sie für Hobbys? Spielt Kulinarik für Sie auch in der Freizeit eine Rolle?

Meine Hobbys sind u.a. Moped fahren und Reisen. Bevorzugt nach Frankreich und Mallorca. Aber ich besuche berufsbedingt auch Bauern und Winzer und koche auch in meiner Freizeit gern mit Freunden und natürlich der Familie.

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