Im Interview: Gunnar Hesse – ein Koch mit Frische in Hülle und Fülle

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Gunnar Hesse

Jahrgang 1979, in einer Beziehung lebend, 2 Kinder.

Er lernte sein Handwerk bei Sternekoch Jörg Müller* auf Sylt, arbeitete später bei Josef Viehhauser* im Le Canard in Hamburg, bevor er ins Hotel Paradies in Ftan in der Schweiz zu Eduart Hitzberger** wechselte. Mit 23 Jahren arbeitete er in Eutin im L Ètoile bei Klaus Heidel* und wurde der jüngste Küchenmeister in Schleswig-Holstein. Im Mai 2000 wurde er in Norddorf auf Amrum ansässig und hat ab 2000 die Leitung der Küche im Seeblick ****Genuss & Spa Resort, dem Familienhotel der Hesses, übernommen, das bereits seit 1913 besteht.

Was ist für Sie Genuss im Allgemeinen und kulinarischer Genuss im Besonderen?

Zum einen ist Genuss, Zeit zu haben, in jeder Beziehung zu entspannen. Das Leben ist viel zu schnell geworden. Entschleunigung ist angesagt. Kulinarisch gesehen muss Genuss nicht immer Kaviar sein. Was zählt, sind Gerichte, die auf solidem Handwerk mit Liebe zum Geschmack basieren. Beste Produkte einfach veredelt, das macht Genuss aus.

Wie beschreiben Sie Ihre kulinarische "Philosophie"?

Ich möchte dem Gast Gerichte mit regionalen Produkten ohne Schnörkel auf den Teller präsentieren. Top-Produkte zu fairen, bezahlbaren Preisen.

Beschreiben Sie das kulinarische Angebot Ihres Restaurants in einem Satz?

Ehrliche, regionale Küche , die sich durch "feinheimische" Vielfalt auszeichnet. Die variantenreiche Mischung ist das, was zählt und der Gast schätzt.

Anders gefragt: Was ist Ihr Anspruch beim Kochen hinsichtlich Zutaten, Verarbeitung und Präsentation?

Das Motto lautet: Frische Küche aus der Region.  Ich will das Geld auf der Insel lassen und in Verarbeitung und Präsentation die Gäste dazu animieren, wiederzukommen und die Kunde in die Welt zu tragen, dass auf Amrum gut essen ist.

Ist Amrum überhaupt ein Ziel für eine Klientel, die anspruchsvolle Küche schätzt und dafür zu zahlen bereit ist? Läuft Ihnen da nicht Sylt den Rang ab?

Wir bieten vor allem viel Ruhe, die vom Alltag entspannen lässt. Das ist auch unsere Chance, den Gast mit guter Küche anzusprechen, die nicht von Chichi geprägt ist.

Sie werben mit kulinarischen Gaumenfreuden in Hülle und Fülle, die von besten regionalen Produkten geprägt ist. Wie setzen Sie regionale Küche konkret  um?

Wir verarbeiten 70 Prozent unserer Lebensmittel, die aus Schleswig-Holstein kommen. Das schmeckt man auch, und das erwartet der Gast auch. Man muss auch bestimmte Dinge wie Obst und Gemüse selber produzieren. Das geht, man muss es nur wollen.

Mit einem Augenzwinkern gefragt: Wie kommt man auf die Schnapsidee, Nordfriesische Wildaustern zu sammeln und anzubieten? Ist die Mühe überhaupt wert?

Eigentlich ist es der Mühe nicht wert. Ich sammle diese Austern mit einem Fischer, der lizensierter Austernsammler ist, nur noch für unsere Küche und für ein paar befreundete Gastronomen. Außerdem ist das ein entspannendes Hobby. Was will man mehr...

Wenn sich ein Gast eine Art Überraschungsmenü mit ausgeprägt regionalen Akzenten außerhalb der Karte wünschen würde, was würde Ihnen da spontan für ein 4-Gang-Menü einfallen?

Aber klar:  Ich würde als erstes ein leichte, gelierte Essenz von Krabben auf den Tisch bringen. Danach gibt es falschen Seeigel, also Fördegarnelen im Teigmantel mir Birnen, Bohnen und Speck. Als Hauptgang folgt ein Zweierlei vom im Heu gegarten Amrumer Lamm mit Graupen und wildem Sellerie. Als krönenden Abschluss gibt's einen Schokokuchen mit zweierlei Sanddorn und Aprikosen mit Sago.

Was meinen Sie, erwartet der Gast auf Amrum überhaupt für eine Küche?

Ganz einfach: Eine Küche für jeden Tag und die ganze Familie. Immer wieder mit viel Abwechslung.

Und wenn es ein Gast mal etwas internationaler und exotischer wünscht, fällt Ihnen da auch etwas ein?

Ich schaue mich eigentlich immer mehr im unmittelbaren Umkreis um, damit ich Produkte verarbeiten kann, die regional zu uns passen. Exotik passt da nicht wirklich.

Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre Speisekarte?

Priorität hat die Saison. Ich kaufe ein, was es gibt, aber nicht nach dem Preis, sondern nach der Qualität.

Unterliegen Sie Beschränkungen beispielsweise monetärer Art auf, wenn es um Ihre kulinarische Kreativität geht? Soll auch heißen, entwickeln Sie Gerichte über den Preis oder über die kulinarische Komposition an sich?

Beschränkungen kenne ich nicht, auch, wenn man natürlich kaufmännisch rechnen und auch der Preis "passen" muss. Es kommt also darauf an, wo man den Schwerpunkt setzt.

Stichwort: Feinheimisch. Ist das für Sie mehr als ein Werbeslogan? Wie wirkt sich diese Initiative auf Ihre Küche aus?

Das kein bloßer Werbeslogan. Ich lebe "feinheimisch". In diesem Verein kann nicht jeder Mitglied werden. Man muss mindestens 60 Prozent seiner Produkte aus der Region beziehen und verarbeiten. Das wird auch streng rechnungstechnisch geprüft. Schwarze Schafe können und werden wir uns nicht leisten.

Hand auf's Herz: Kommt Ihre Küche ohne  "Verstärker" oder Convenience-Produkte aus?

Ja, denn das ist mein Verständnis von Gastronomie und Küche. Das wird auch so bleiben.

Woher beziehen Sie Produkte wie Gemüse und Fleisch?

Grundsätzlich nur bei mir persönlich bekannten Händlern, zu denen ich auch stets engen Kontakt suche. Ich muss schließlich wissen, wie produziert wird und was ich für den Gast an Qualität erwarten kann.

Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?

Das ist sehr wichtig und bleibt oberstes Prinzip. Die Erzeuger stellen ihre Produkte auch bei mir vor. Es muss ein stetes gegenseitiges Geben und Nehmen sein.

Wo liegt für Sie der sogenannte goldene Mittelweg zwischen bodenständiger und Gourmetküche? Oder anders gefragt: Ist Gourmetküche überhaupt noch ein zeitgemäßer Begriff?

Ich denke schon, dass der Begriff Gourmetküche noch seine Berechtigung hat. Der sogenannte  Mittelweg besteht aus meiner Sicht darin, dass man Produkte aus in der gehobenen Küche anbietet und moderne Techniken wie Sous Vide anwendet, aber insgesamt alles vollständig verarbeitet.

Ordnen Sie Ihre Küche auch unter dem Begriff Gourmet ein, wenn man davon ausgehen kann, dass ein toll kreiertes regionales Gericht durchaus Gourmetcharakter haben kann?

Richtig, auch gute gemachte Landhausküche hat Gourmetcharakter. Insofern hat Gourmet nicht unbedingt etwas mit Sternen und Punkten zu tun.

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Hinterfragt: Ist Gourmetküche für Sie mehr als "künstlerisches Kochen" auf hohem Preisniveau?

Das kann man nicht pauschalisieren. Es muss ehrliche Küche, verbunden mit gutem Fachwissen sein. In diesem Sinne ist es schon eine Kunst, die man beherrschen muss. Der Preis ist kein Kriterium dafür.

Woraus schöpfen Sie im Übrigen die Inspirationen für Ihre Gerichte und Menüs mit den eher geradlinig-schlichten Bezeichnungen? Lesen Sie viel in Kochbüchern, schauen Sie sich von Kollegen ab...?

Grundsatz ist, dass das Produkt auf dem Teller und nicht über Fantasienamen auf der Karte erkennbar sein muss. Ich sammle zwar Kochbücher, lese sie aber nur selten, weil einfach die Zeit dazu fehlt. Aber ich gehe gern essen und auch Foodblogger bieten eine Menge Inspirationen für neue kulinarische Ideen.

Was halten Sie von kulinarischen Auszeichnungen allgemein (Michelin, Gault Millau usw.)?

(Fast) jeder findet sie toll. Aber eigentlich müssen die Gäste die Sterne sein. Man muss auch ohne Bewertungen gut kochen und den Gast positiv überraschen können.

Stichwort Michelin & Co: Ist ein Stern für Sie ein Ziel? Oder hinterfragt: Können Sie nachvollziehen, warum aktuell einige Köche freiwillig auf den Stern verzichten?

Es ist kein Ziel für mich, weil es nicht zu unserem Haus passt. Und ich kann auch gut nachvollziehen, wenn ein Koch nicht mehr für den Tester kochen möchte.

Welche der bekannten deutschen oder internationalen Köche sind für Sie eine Art Vorbild in Bezug auf Authentizität und Qualität des Kochens?

Da ist vor allem Jörg Müller, der mich sehr geprägt hat. Ich achte aber besonders die, die aus eigener Erwirtschaftung und ohne große Finanziers  Spitzenküche zum fairen Preis abliefern.

Was halten Sie von Kochsendungen aller Couleur? Gibt’s da auch Dinge, die die Welt nicht braucht?

"Lanz kocht" war mal gut. Auch regionale Sender bieten oft recht anspruchsvollen Kochsendungen. Aber das Meiste verkommt vielfach zum Klamauk.

Wie viel Entertainer muss heute in einem Koch stecken, ohne in Klamauk zu verfallen?

Natürlich muss man auch kommunizieren, wenn man authentisch sein will. Das trifft beispielsweise für Kochkurse, aber auch für das Abendgeschäft zu. Man darf nur kein Komiker sein und Entertainment übertreiben. Das Gericht erklären können gehört aber schon zum Geschäft.

Welchen Traum als Koch würden Sie sich gern noch verwirklichen?

Ich habe immer nur das gemacht, was ich wollte. Aber im "Alter" ein kleines Restaurant mit 20 Plätzen und ganz entspannt kochen, das wäre es... Das ist übrigens ein ernsthaftes Ziel.

Wie muss ein Restaurant aussehen und was muss es Ihnen bieten, um sich dort als Gast wohl zu fühlen?

Ich möchte mich nicht verkleiden müssen und einfach ehrlich bekocht werden, wie auch ich meine Gäste bewirte. Da hat Deutschland im Detail noch Reserven. Oft geht es gerade in der Spitzengastronomie zu steif zu. Essen muss auch locker sein und Spaß machen...

Was essen Sie selbst am liebsten, und was kochen Sie am liebsten?

Vor allem das, was es sonst nicht alle Tage gibt. Und ich esse überall auch sehr gern regional.

Was hat ein Koch wie Sie für Hobbys? Spielt Kulinarik für Sie auch in der Freizeit eine Rolle?

An erster Stelle stehen die Kinder, die Familie. Dann spiele ich auch noch gern Fußball, wenn es meine Zeit erlaubt. Auf Reisen besuche ich immer gute Lokale, die Neugier ist immer präsent, was die Kollegen so in der Pfanne haben.

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