Im Interview: Daniel Schmidthaler* – ein Koch, der einen Sterneladen in der Provinz hat

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Daniel Schmidthaler

Jahrgang 1981, verheiratet, keine Kinder.

Er stammt aus Österreich und begann seine berufliche Laufbahn in St. Christoph im Arlberg. Später arbeitete er im mallorquinischen Restaurant "Tristan", im "Neuwirth", dem Restaurant des Hotels "Schwarzer Adler" in Kitzbühel und im "Brandenburger Hof" in Berlin. Nach einem Intermezzo als Küchenchef des "Kutscher-Haus" in Templin zog er gemeinsam mit seiner Frau Nicole ins Hotel und Restaurant "Alte Schule" in Fürstenhagen. Hier erhielt er seinen ersten Michelin-Stern, den er jährlich verteidigte. 2016 wurde er als Berliner Meisterkoch der Region ausgezeichnet.

Wie kommt man als Österreicher auf die Schnapsidee, in die mecklenburgische Provinz an der Grenze zu Brandenburg und Vorpommern zu ziehen und dort einen Sterneladen aufzumachen? Gibts dazu eine Geschichte?

Es ist eigentlich eine ganz banale Geschichte, die sich, wie so oft, um die Liebe dreht. Ich habe in Kitzbühel meine Frau kennen und lieben gelernt. Die aber wollte in ihre alte Heimat in den Nordosten und hatte schon einen Pachtvertrag im "Kutscher-Haus" in Templin. Also bin ich ihr gefolgt, und habe es nicht bereut. Wir haben etwa dreieinhalb Jahre in Templin gearbeitet, davon eineinhalb Jahre zweigleisig mit der "Alten Schule", deren Übernahme man uns angetragen hat. Hatten wir bisher eher gutbürgerliche Küche zu bieten, kam plötzlich der Stern nach Fürstenhagen. Das war nie ein Ziel, aber durchaus ein positiver Nebeneffekt. Also habe wir unsere "gute Landküche" auf dieses Niveau ausgerichtet.

Was ist für Sie kulinarischer Genuss im Allgemeinen und im Besonderen?

Ich meine, entweder man lebt Genuss, oder eben nicht. Und der beginnt für mich im Alltag und nicht im Gourmet-Restaurant. Auch frisches Brot, Gemüse oder Obst schließt Genuss ein. Den muss man für sich erschließen. Dann weiß man auch die geschmacklichen Feinheiten und Nuancen zu schätzen.

Wie beschreiben Sie Ihre kulinarische "Philosophie"?

Kurz und bündig: Aus den Produkten der Region kulinarisch etwas herauszuziehen und daraus geschmackliche Überraschungen zu kreieren.

Beschreiben Sie Ihr kulinarisches Angebot in einem Satz?

Weg von der etablierten Gourmet-Restauration. Hin zu ganzheitlicher Verarbeitung regionaler Produkte. Und, wie bereits angesprochen, gute Landküche auf hohem Niveau.

Sie beschreiben Ihr Haus als Oase für Feinschmecker. Für welche Klientel haben Sie Ihr Restaurant konzipiert?

In unserem Haus ist jeder willkommen, der Gastlichkeit, Herzlichkeit und anspruchsvolles Essen in lockerer Atmosphäre genießen möchte. In diesem Sinne freut es uns, dass wir zunehmend Zuspruch von der Generation U30 erhalten. Also scheint unsere Philosophie ein guter Weg zu sein.

Oder anders gefragt: Gibt das regionale Umfeld diese Feinschmecker-Klientel überhaupt her? Oder wollen Sie etwa gar den kulinarischen Otto-Normalverbraucher auf den Geschmack bringen?

Unser kulinarisches Angebot hat sich eben herumgesprochen. Die Gäste kommen, teils ganz gezielt, aus Berlin, Rostock, Neubrandenburg und der Uckermark. Und auf den Geschmack kommen die Leute nur über das Angebot. Wer dafür einen Sinn hat, wird das auch zu schätzen und geschmackliche Nuancen einzuordnen wissen. Im Übrigen sind die, wie Sie sagen, "kulinarischen ONV" spannender als die, oft auch vermeintlichen, Feinschmecker, weil sie kulinarisch unverbrauchter sind und man sie mehr überraschen kann.

Sie werben auf Ihrer Internetseite mit Küchenkultur. Wie erklären Sie einem Gast diesen Anspruch?

Wir wollen Küchenkultur vermitteln. Die reicht vom Ambiente unseres Restaurants, über die Zubereitung der Produkte und deren Präsentation bis hin zu Service. Wir arbeiten deshalb auch alte Rezepte aus Österreich und Mecklenburg neu auf und bringen das in Einklang mit dem Bildungs-Anspruch unseres Hauses als "Alte Schule". Das birgt interessante Möglichkeiten in sich.

Wenn Sie regional kochen, was kommt dann bei Ihnen auf den Tisch in Verbindung mit dem Anspruch an gehobene authentische Kochkunst?

Eigentlich ist bei uns alles regional. Und es kommt alles auf den Tisch, womit wir unseren Qualitätsansprüchen gerecht werden können. Das gilt auch für kurzfristige Angebote, die etwa nur eine Woche gelten, denn unsere Karte wechselt öfters. Das ist auch eine Art Überraschungseffekt.

Immerhin kommen Sie aus Österreich. Wie international ist die Küche, die Sie bieten?

Ich verarbeite mit Ausnahme asiatischer Küche vielfältigste internationale Einflüsse, bin aber ländermäßig nicht starr festgelegt. Vor allem der regionale kulinarische Faden muss gewahrt werden. Internationale geschmackliche Nuancen entstehen dann auch durch den Einsatz von Gewürzen und ergänzender Produkte.

Was zeichnet Ihre Sterneküche zu vergleichbaren Angeboten im kulinarischen Umfeld aus? Worin wollen Sie sich bewusst unterscheiden?

Wir bieten ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis und ermöglichen so auch "Einsteigern" in die Gourmetküche den Genuss unserer Gerichte. Man muss die Leute im besten Sinne des Wortes süchtig machen, ohne aufdringlich zu sein. So versteht der Gast anspruchsvolle Küche auch besser.

A propos Stern: Ist der ein unverzichtbares Muss, oder...?

Michelin präsentiert sich mittlerweile sehr modern und offen. Lockere Atmosphäre, verbunden mit gutem Essen, versteht sich, wird belohnt. Ein Muss ist der Stern sicher nicht, aber es ist aus meiner Sicht für das Renommee eines Hauses schon einigermaßen schlimm, wenn man ihn verliert.

Inwieweit räumen Sie dem Gast ein,  (s)ein Menü zusammenstellen? Was würde Ihnen spontan für ein viergängiges Überraschungsmenü einfallen?

Unsere Gäste können sich ihr Menü völlig frei zusammenstellen. Und unsere Karte bietet auch sogenannte "Diktate" als Überraschungspunkt. Die zu bestellen sind für uns ein großes Lob, weil sie vom Vertrauen des Gastes in unsere Leistungen zeugen.

Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre Speisen zu Anlässen aller Art?

Die Saison prägt das Angebot, sofern die Preisschiene gehalten werden kann. Das Produkt muss aber immer im Mittelpunkt stehen. Immerhin generieren wir 3/4 unseres Umsatzes durch das Restaurant. Das ist schon ein wichtiger ökonomischer Ansatz.

Wie leben Sie als Küchenchef Ihre kreative Ader als Koch aus? Legen Sie sich Beschränkungen beispielsweise monetärer Art auf, oder bekommen Sie die von den Gästen/Kunden auferlegt?

Mir ist Kreativität sehr wichtig, also experimentiere ich auch sehr gern. Was ich ablehne, sind aber Experimente am Gast. Der muss ein "fertiges" Gericht mit einem geschmacklichen Überraschungseffekt auf den Tisch bekommen.

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Kommt Ihre Küche ohne  "Verstärker" oder Convenience-Produkte aus?

Wir kommen definitiv ohne alles aus und machen sogar den Speck selbst. Wir verarbeiten auch Produkte aus Schlachtungen nahezu vollständig, um daraus "Beigaben" für bestimmte Gerichte zu erhalten.

Woher beziehen Sie Ihre Produkte? Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?

Wir beziehen 80 Prozent unserer Produkte wie Fisch, Wild und anderes Fleisch aus der unmittelbaren Region. Diese Strategie kommt erst jetzt so richtig zum Tragen, weil man sich kennt und die Qualität einschätzen kann. Außerdem gibt's in unserem Schulgarten immer frisches Gemüse und Kräuter.

Wo liegt für Sie der sogenannte goldene Mittelweg zwischen bodenständiger und Gourmetküche?

Ich meine, alles basiert auf der klassischen, bodenständigen Küche. Daraus kann man neu interpretieren und kombinieren. Das ist eine Art Mittelweg. Bodenständigkeit und Gourmet schließen sich in diesem Sinne nicht aus.

Zusatz: Was ist für Sie Gourmetküche überhaupt? Ist das für Sie mehr als "künstlerisches Kochen" auf hohem Preisniveau?

Genussküche ist aus meiner Sicht der treffendere Ausdruck. der Geschmack geht immer vor Kunst. Es kommt darauf an, frische Zutaten auf den Punkt zu bringen und etwas Einzigartiges daraus zu entwickeln.

Nochmal zum Thema Stern: Was ist für Sie ein Spitzenkoch? Ist ein Stern dafür einziges Kriterium?

Der Stern ist dafür kein Alleinstellungsmerkmal. Es gibt viele exzellente Köche, die den Sterneköchen ebenbürtig sind. Durch den Stern wird allerdings der Stellenwert der Küche höher.

Wie sehen Sie die Situation hinsichtlich des Nachwuchses im Koch-Metier? Wo liegen hier aus Ihrer Sicht die Reserven und Notwendigkeiten?

Die meisten handwerklichen Berufe haben es schwer mit dem Nachwuchs. Das hat auch etwas mit geburtenschwachen Jahrgängen und Weiterbildungsmöglichkeiten wie Abitur und Studium zu tun. Außerdem ist die Bezahlung in unserer Branche nicht all zu rosig. Die Branche müsste in vieler Hinsicht aufgewertet werden. Aber es gibt auch viele Lichtblicke hinsichtlich des Nachwuchses, wie diverse Wettbewerbe zeigen.

Was müsste in MV noch passieren, damit sich die Branche noch nachhaltiger entwickelt?

Diesbezüglich muss vor allem ein Umdenken bei den Gästen weg von der unseligen Preisdiskussion erfolgen. Herausragende Qualtität muss sich auch im Preis niederschlagen.

Wie viel Entertainer muss ein Koch heutzutage sein?

Nur gut essen, ist den Leuten heutzutage zu wenig. Man muss sie auch ansprechen und sie in gewisser Hinsicht "führen". Dazu gehört auch das persönliche Gespräch, was nicht jedermanns, sprich: jeden Kochs, Sache ist. Am leichtesten fällt das natürlich bei Stammgästen.

Nachgefragt: Was halten Sie von der aktuellen Flut von Kochsendungen aller Couleur? Auf welche Art davon kann die Welt verzichten?

Ich kann diesbezüglich auf das meiste gut verzichten. Aber Aufklärungsarbeit a la Christian Rach finde ich gut, weil das wissensbildend und die Einstellung zum Essen schärft.

Welche der bekannten deutschen oder internationalen Köche sind für Sie eine Art Vorbild in Bezug auf Authentizität und Qualität des Kochens?

Beispielsweise Rach, weil er nach vorn geht und die genannte Aufklärungsarbeit leistet. Aber auch solche Ausnahmeköche wie Harald Wohlfahrt und Eckart Witzigmann.

Welchen Traum als Koch würden Sie sich gern noch verwirklichen?

Wir haben viel erreicht und sind so ganz glücklich. Eine neue Küche wäre ideal. Wie heißt es so schön: Kommt Zeit, kommt Rat...

Wie muss ein Restaurant aussehen und was muss es Ihnen bieten, um sich dort als Gast wohl zu fühlen?

Das Aussehen ist für mich nicht so wichtig. Die Leute, die darin wirken, machen es aus. Soll auch heißen, die Mitarbeiter in allen Bereichen müssen ihre Aufgaben exzellent erledigen. Das schafft Wohlbefinden. Und dazu gehört dann auch wieder das Ambiente, wofür man ein Händchen haben muss.

Was hat ein Koch wie Sie für Hobbys? Spielt Kulinarik für Sie auch in der Freizeit eine Rolle?

Früher war ich noch auf dem Mountainbike unterwegs. Dazu fehlt mir jetzt oft die Zeit. Wir gehen aber auch gern einmal gut essen und holen uns dabei Anregungen für die eigene Arbeit.

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