Im Interview: Maria Groß* – eine Frau, die kreative Freiheiten braucht

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Maria Groß

Jahrgang 1979, ledig, verliebt und verlobt.

Zum Kochen kam sie sie über einen Nebenjob beim Philosophie- und Germanistik-Studium in Berlin. Eine Ausbildung zur Köchin erfuhr sie im Restaurant Guy am Gendarmenmarkt. Im Anschluss arbeitete sie  in verschiedenen, kleinen Küchen Berlins ohne besonderen Rang und Namen. Danach folgten ein Abstecher nach NRW in das "Alte Zollhaus" und schließlich die Schweiz, wo sie u.a. in Solothurn, Zürich und Zermatt arbeitete, ehe sie dem Ruf als Küchendirektorin und Küchenchefin im Restaurant Clara im Kaisersaal Erfurt folgte und dort ihren ersten Stern erhielt. Mit ihrem Partner Matthias Steube hat sie sich 2015 mit der „Bachstelze“ in Erfurt-Bischleben ein gastgeberisch-kulinarisches Refugium geschaffen.

Was ist für Sie Genuss im Allgemeinen und kulinarischer Genuss im Besonderen?

Allgemein gehört dazu alles Schöne im Leben. Man muss zum Genießen bereit sein, loslassen, sich fallen lassen und jetzt und heute leben können. Kulinarischer Genuss ist für mich Kultur, Kommunikation, Austausch. Dazu gehört einfache Kost ebenso wie die Nouvelle cuisine.

Wie beschreiben Sie Ihre kulinarische "Philosophie"?

Ich bin immer bemüht, meine eigene Kreativität auf den Teller zu bringen. Kochen macht mir keinen Stress, denn damit kann ich der Welt am Besten etwas Gutes tun.

Hat sich diese Philosophie vom Kaisersaal zur Bachstelze signifikant verändert?

Nein, die Philosophie an sich nicht. Aber ich koche jetzt schlichter, jedoch nicht weniger anspruchsvoll. #

'Beschreiben Sie das kulinarische Angebot Ihres Restaurants in einem Satz?

Ich stehe für authentische, auch regional geprägte Küche und biete das auf hohem Niveau an, was ich auch selbst gern esse.

Zusatzfrage: Verstehen Sie die Bachstelze als klassisches Restaurant, oder…?

Die Bachstelze ist eine Kombination aus Küche und Kneipe. Hier herrscht ein eher puristischer Service. Aber ich biete auf Anfrage auch das an, was man allgemein Fine Dining nennt. Mein Handwerk habe ich schließlich nicht verlernt.


Also kann man das wohl mit einer sehr persönlichen Atmosphäre beschreiben..?

Ja, man kann hier ein ganz eigenes Wohlfühlambiente erleben. Wir als Wirtsleute, um es einmal salopp zu sagen, agieren auf Augenhöhe mit dem Gast. Wir reden jeden mit Du an, decken nur einmal ein und gehen mit dem Geschirr pragmatisch-sparsam um. Nachhaltigkeit fängt für uns in diesem Zusammenhang nicht bei Bio-Ei an. Wir lassen uns auch nicht vom Markt leiten und treiben.

Anders gefragt: Was ist Ihr Anspruch beim Kochen hinsichtlich Zutaten, Verarbeitung und Präsentation?

Ich muss nicht mit aufwendigen fremden Produkten arbeiten, setze meinen ganz eigenen Stil um und mache mir auch ganz gern mal Ideen anderer zu Nutze, indem ich sie kreativ umsetze.

Welche Alleinstellungsmerkmale in kulinarischer Hinsicht sehen Sie im Vergleich zu anderen Häusern in der Region? Sowohl in kulinarischer als auch in gastgeberischer Hinsicht.

Thüringen hat in dieser Beziehung noch viel Spielraum. Wir müssen den Dienstleistungsgedanken noch mehr in den Mittelpunkt stellen und nicht zwischen Gastgeber- und Dienstleistungsmentalität unterscheiden. Es muss ein einheitliches Ganzes sein. Das versuche ich in unserem neuen Haus umzusetzen.

Sie haben offensichtlich ein Faible für die Umsetzung regionaler Küche auf hohem Niveau. Wie setzen Sie das konkret um?

Ich suche eigentlich alle Ideen und Zutaten in der Region. So kennt man mich. Ich gehe dabei aber nicht etwas strukturiert zu Werke, sondern entwickle das Meiste aus dem Gefühl heraus.  Wenn dann was Geniales dabei herauskommt, freut es mich natürlich. Die Kunst liegt aus meiner Sicht vor allem in der Kreativität.

Wie wichtig ist Ihnen überhaupt, dass sich auf Ihrer Karte die Region widerspiegelt?

Thüringer Produkte gibt es in großer Vielfalt. Sie sind dazu angetan, dem Gast ein Stück unverwechselbare Landschaft auf den Teller zu bringen. Das ist mein kulinarisches Hauptanliegen, denn das ist meine Heimat.

Wenn ein Gast sich außerhalb der Karte eine Art Überraschungsmenü mit ausgeprägt regionalen Akzenten wünscht, was würde Ihnen da spontan für ein 4-Gang-Menü einfallen?

Es wird immer ein recht bodenständiges Surprise-Menü, bei dem der Teller am Ende voll wirken muss. Das bedingt, dass man ein Verhältnis zu den Produkten entwickelt und weiß, was zusammen passt. Ein Vier-Gänge-Menü, lassen Sie mich nachdenken: Ich würde auf jeden Fall vegetarisch starten: Blumenkohl mit Macadamia und Orange. Darauf folgt Forelle in Sauerrahm und Kresse. Als Hauptgang gern Thüringer Lamm mit Majoran und Erfurter Boden und das süße Finale von heimischen Ziegenkäse an Vanille und Rahm.

Das war im Kaisersaal so, und wie siehst in der Bachstelze aus?

Solche Überraschungen behalte ich mir auch in der Bachstelze vor. Ich wiederhole mich: Vielleicht etwas schlichter, aber vom Anspruch her auch sehr regional geprägt und ebenso effektvoll wie anspruchsvoll zubereitet. Un d es gilt der Grundsatz: Die Nachfrage bestimmt das Angebot.

Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre Karte(n)?

Die Saison hat sicher eine gewisse Bedeutung. Ich finde es aber gut, wenn man stets aus dem Vollen schöpfen und seine Ideen umsetzen kann. Das geht zu jeder Jahreszeit. Aber im klassischen Sinne haben wir keine Karte. Ich biete ein Drei-Gang-Menü mit Fleisch oder vegetarisch sowie eine Nachspeise als Käse oder Dessert an.

Legen Sie sich Beschränkungen beispielsweise monetärer Art auf, wenn es um Ihre kulinarische Kreativität geht? Soll auch heißen, entwickeln Sie Gerichte über den Preis oder über die kulinarische Komposition an sich?

Beschränkungen lege ich mir nicht auf. Ich setze um, was meine Fantasie mir eingibt. Praktisch sieht das so aus, dass quasi alles ein Art Mischkalkulation ist. Es muss letztendlich natürlich alles passen und sich auch rechnen.

Wie stehen Sie zu der oft geäußerten Meinung, dass das Essen in Deutschland meist nicht als Genuss, sondern eher als profane Nahrungsaufnahme verstanden wird. Motto: Viel und preiswert. Muss die Tendenz nicht eher zu mehr Genuss-Bewusstsein und damit zu höheren Preisen gehen?

Die deutsche Preispraxis nicht nur im gastronomischen Bereich ist nahezu pervers. Dumpingpreise machen viel kaputt. Die Preise müssen unbedingt höher angesetzt werden, damit nicht nur die Produkte an sich, sondern ebenso das Handwerk "Kochen" wieder wertgeschätzt werden. Angesichts des allgemeinen Konsumverhaltens ist es mehr als traurig, dass man gerade über das Essen diskutiert und feilscht wie auf einem orientalischen Basar.

Hand auf's Herz: Kommt Ihre Küche ohne  "Verstärker" oder Convenience-Produkte aus?

Solche Dinge haben auch in der Bachstelzen-Küche nichts zu suchen. Handwerkliches Kochen kommt ohne solche Sachen aus.

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Woher beziehen Sie Produkte wie Gemüse und Fleisch?

In der Bachstelze geht es um kleinere Mengen. Da kann man die Produkte der Region noch besser, weil überschaubarer einsetzen. Als gebürtige Thüringerin ist mir das natürlich sehr wichtig. Bedingung für eine solche Zusammenarbeit ist aber immer, dass Flexibilität und Kontinuität an den Tag gelegt werden. Daran mangelt es leider manchmal.

Wo liegt für Sie der sogenannte goldene Mittelweg zwischen bodenständiger und Gourmetküche?

Ich stelle mir in dieser Hinsicht immer die Frage, was ich selbst gern essen würde. Und das setze ich mit Bodenhaftung, aber auch mit Kreativität um. Wenn Sie das Mittelweg nennen, bitteschön... Das gitl für die Bachstelze erst recht.

Wie viel Gourmet-Nuancen bringen Sie in die Küche der Bachstelze ein?

Wie bereits gesagt, Handwerk verlernt man nicht. Egal, in welchem gastronomischen Segment man arbeitet. Ich stehe auch weiterhin für anspruchsvolle kulinarische und gastgeberische Qualität. Das hat im übertragenen Sinne auch etwas mit Gourmet zu tun. Ich habe mit dem Begriff an sich keine Probleme und man muss auch keinen neuen dafür erfinden. Gourmet ist ein hoher Anspruch, der viel Können und auch Zeit erfordert. Das sollte man respektieren.

Was ist für Sie Gourmetküche überhaupt, wie definieren Sie sie?

Wie vorher schon gesagt, es ist ein Anspruch, scheinbar einfache Produkte auf höchstem Niveau in Szene zu setzen. Dazu muss man mit den Produkten auch besonders bewusst umgehen. Das ist aber kein Alleinstellungsmerkmal der Gourmetküche.

Hinterfragt: Ist Gourmetküche für Sie mehr als "künstlerisches Kochen" auf hohem Preisniveau?

Kurz und bündig: Man muss Gourmetküche über das Handwerk und nicht über den Preis definieren.


Woraus schöpfen Sie im Übrigen die Inspirationen für Ihre Menüs und Gerichte?

Eine große Rolle spielen bei mir auch Ideen anderer, ohne dass ich kopiere. Und ich lese viel und schaue mich offenen Auges in der Natur um, was man alles auf den Teller bringen kann. Mein Grundsatz: Das Schöne rettet die Welt. Ohne Sinn für Kunst und Ästhetik sowohl im Auge des Betrachters  als auch auf der Zunge des Einzelnen wären wir um einiges ärmer.


Mal Hand aufs Herz: Kochen Frau anders als Männer? Wie würden Sie das beschreiben?

Ich möchte im Beruf als Köchin, nicht als Frau, wahrgenommen werden und koche mehr aus Eingebung, denn nach strengen Regeln. Frauen haben da wohl mehr den Panoramablick und setzen die Prioritäten anders.

Hinterfragt: Hat man es als Frau in dieser Männerdomäne schwerer, zu kulinarischen Ehren zu kommen?

Schwerer würde ich nicht sagen. Aber man muss sich erst einmal durchsetzen und Burschikosität an den Tag legen. Mit einem gewissen Körperteil mehr an mir würde ich wohl anders akzeptiert. Frau muss sich aber auch für den Einlass in diese Männerwelt in gewisser Hinsicht anpassen und auch mal Tacheles reden.

Was halten Sie von kulinarischen Auszeichnungen allgemein?

Sie sind für mich sehr wichtig, weil sie Anerkennung verkörpern. So ein bisschen Ruhm und Ehre ist mir schon was wert, denn die Arbeit ist sozusagen mein Lebensmittelpunkt.

Stichwort Michelin & Co:  Waren Sie überrascht, den Stern so relativ schnell zu bekommen? Was hat aus Ihrer Sicht den Ausschlag dafür gegeben?

Das war für mich schon eine Riesenüberraschung, hatte aber auch eine nicht zu unterschätzende Rückkopplung auf die Region. Diese Auszeichnung ist für mich die Würdigung praktizierter kulinarischer Heimatliebe. Das heißt nicht, dass ich mich für perfekt halte. Ich weiß auch um Defizite und Fehler. Daran muss man eben arbeiten.

Können Sie nachvollziehen, warum aktuell einige Köche freiwillig auf den Stern verzichten? Wäre das jemals ein Option für Sie?

Ich lebe nicht im Vergleich und kann das nicht wirklich einschätzen. Jedoch man sollte nie nie sagen, aber im Jetzt und Hier leben heißt für mich aktuell. Es kommt immer auf die Umstände an. Da sollte man nicht über andere richten, sondern nur seinen eigenen Weg gehen.


Und warum haben Sie den Stern jetzt so „leichtfertig“ abgegeben?

Ich war und bin stolz darauf, mit meinem Team im Kaisersaal einen Stern bekommen zu haben. Aber ich habe auch gern auf den Stern verzichtet, weil ich mir einen neuen Traum erfüllen will. Das ist für mich ein neuer Lebensabschnitt. Und ich bin noch viel zu jung, um still zu stehen.


Wie sehen Sie jetzt Ihre neue berufliche Rolle?

Ich bin jetzt Kneiperin und Köchin in Personalunion, habe einen Partner und tausend Ideen, was wir gemeinsam bewegen können. Das ist ein Stück Freiheit, das man nicht hoch genug schätzen kann. Wobei gerade in dieser Beziehung Partnerschaft durchaus auch anstrengende Momente hat, denn jeder will seine Intentionen einbringen.

Welche der bekannten deutschen oder internationalen Köche sind für Sie eine Art Vorbild in Bezug auf Authentizität und Qualität des Kochens?

Ich bin von vielen Köchen beeindruckt. Deshalb ist es müßig, einzelne herauszuheben. Ein Beispiel wäre aber das Essigbrätlein in Nürnberg. Ich bin beeindruckt, wie einfach, authentisch und handwerklich exzellent Yves Ollech und Andree Köthe kochen.

Was halten Sie von Kochsendungen aller Couleur? Gibt’s da auch Dinge, die die Welt nicht braucht?

Sie werden lachen, aber ich besitze keinen Fernseher. Im Übrigen meine ich, dass die Leute weg von der Glotze kommen und mehr selber kochen sollten. Das lernt man aber nicht von solchen Shows.

Wie viel Entertainer muss heute in einem Koch stecken, ohne in Klamauk zu verfallen?

Ich bin in dieser Hinsicht eine Rampensau und bringe mich da unkompliziert ein. Ein gewisses Entertainment wird einfach gefordert. Wer dem nicht entspricht, hat es schwerer.

Welchen Traum als Köchin würden Sie sich gern noch verwirklichen?

Ich möchte auch weiterhin einfach ohne Druck meine Träume verwirklichen. Das macht es leichter, seine Ideen umzusetzen und glücklich zu sein. Ich definiere mich aber nicht über irgendeinen Status, sondern setze vor allem auf kreative Freiheiten.

Und welche konkreten Träume wären für Sie wichtig?

Mal sehen, wo die Fahrt hingeht: Dinge wie eine Art Berghütte, eine italienische Trattoria oder ein Landgasthof wären schon Ideen. Aber man kann solche Dinge auch kombinieren. Dafür bietet auch die Bachstelze viele Möglichkeiten. Mal sehen, vielleicht ist eine kleine Weinbar in der Bachstelze ein nächster Schritt.

Wie muss ein Restaurant aussehen und was muss es Ihnen bieten, um sich dort als Gast wohl zu fühlen?

Das kann man nicht in Rubriken einordnen. Für mich kommt es auf die Energie an, die von einem Restaurant ausgeht. Alles muss passen. Dafür hat der Gast im Allgemeinen auch ein gutes Gespür. Und die Bachstelze ist der ideale Ort, sich diesbezüglich gestalterisch auszutoben.

Was essen Sie selbst am liebsten, und was kochen Sie am liebsten?

Ich stehe auf Spagetti Napoli, Käse, Wein und Champagner. Sie werden staunen: Ich koche am liebsten zu Hause gar nicht. Und wenn, dann Karo einfach, aber schmackhaft.

Was hat eine Köchin wie Sie für Hobbys? Spielt Kulinarik für Sie auch in der Freizeit eine Rolle?

Ich mag Literatur im Allgemeinen, Lyrik im Besonderen. Das gehört für mich ebenso zur Entspannung wie die Natur. Aber ich gehe auch sehr gern gut essen und schaue mir bei Kollegen fachlich etwas ab. Ich gebe zu, ich bin in dieser Hinsicht ein Snob:  Für mich sind Lifestyle und gutes Essen sehr wichtig.

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