Im Interview: Annett Senst – eine Köchin, die handwerklich zaubert

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Annett Senst

Jahrgang 1973, geboren in Königs-Wusterhausen, verheiratet, 1 Kind.

Ihre Kochausbildung absolvierte sie in Frankfurt/Oder, bevor sie in Bad Saarow und Frankfurt/Main, später bei einem Catering-Dienstleister in Hessen und als Bereichsleiterin in Erfurt arbeitete. Dem schloss sich eine Zusatzausbildung und Tätigkeit als Vertriebskauffrau an. Auf der Suche nach einem Haus in Brandenburg wurde sie an der Elbe bei Dömitz fündig und führt seit dem mit ihrem Mann Dirk Wolters, der wie sie eine kaufmännische und vertriebstechnische Ausbildung und Praxis hat und oft mit am Herd steht, den Alten Hof am Elbdeich. 

Was ist für Sie Genuss im Allgemeinen?

Das ist für mich vor allem, Zeit zu haben. Aber nicht, um nichts zu tun, sondern Dinge zu tun und zu unternehmen, die mir Freude machen.

Wie definieren sie Genuss in kulinarischer Hinsicht?

Mit Muße gut essen und trinken. Kurz: Geschmackserlebnis in einer Wohlfühlumgebung.

Wie beschreiben Sie Ihre kulinarische "Philosophie"?

Ich bin stets bemüht, Produkte und Zutaten so zu verarbeiten, dass sie dem Anspruch von Naturküche gerecht werden.

Beschreiben Sie Ihr kulinarisches Angebot in einem Satz?

Moderne deutsche Küche, nach ayurvedischen Grundsätzen zubereitet. Auch hier darf der Begriff ehrliche Naturküche nicht fehlen.

Über welche Werte definieren Sie Ihre Küche insgesamt?

Ehrlichkeit, Authentizität, Bodenständigkeit.

Erklären Sie Ihren Anspruch von „raffinierter Normalität“.

Einfach kann jeder. Ich will aus den Produkten geschmacklich und kombinatorisch das Neue heraus kitzeln und damit den Bogen vom Normalen zum kulinarisch Spannenden ziehen.


Wie ergänzen Sie Produkte mit regionalen Zutaten im Rhythmus der Jahreszeiten?

Saison hat Priorität bei uns. So hat eben alles seine Zeit, in der wir geschmacklich kombinieren, was die Natur auf dem Speiseplan hat. Da wagen wir uns auch an Dinge, die zunächst ungewöhnlich anmuten. Gerade das macht aber den kreativen Aspekt unserer Küche aus.

Bio, vegetarisch, vegan, ayurvedisch – wie viel gastronomische Strategie und wie viel kulinarischer Anspruch steckt hinter diesem Angebot?

Ganz ehrlich: Das richtet sich auch nach der Gästeklientel, die sich im Laufe der Zeit entwickelt und in gewisser Hinsicht eingepegelt hat. Viele Gäste erwarten solche Angebote mittlerweile einfach. Sollen wir die enttäuschen? Also gibt’s bei uns auch eine sogenannte grüne Karte mit vegetarischen und veganen Gerichten.

Verstehen Sie sich als Köchin eher als Handwerker oder als Künstler?

Ich selbst bin in unserer Küche eher für das Handwerk, mein Mann für den künstlerischen Touch zuständig. Wobei man das nicht trennen kann. Letztlich ist alles Gemeinschaftsarbeit, eine Symbiose von Ideen.

Wie wichtig ist Ihnen traditionelle Küche?

Die erwartet man ja gerade in diesem ländlichen Umfeld. Man muss also auch die kulinarische Identität der Region wahren und im besten Sinne des Wortes auf die Karte setzen. Aber wir sind natürlich stets bemüht, die traditionelle Küche mit dem bereits genannten Anspruch der raffinierten Normalität zu verbinden und sie damit weiter zu entwickeln.

Was zeichnet Ihre Küche zu vergleichbaren Angeboten im kulinarischen Umfeld aus? Worin wollen Sie sich bewusst unterscheiden?

Wir messen uns nicht an den ohnehin schwer zu vergleichenden Angeboten der Region. Insofern machen wir kulinarisch unser Ding und bieten eine stets abwechslungsreiche Karte mit dem bereits genannten Prämissen an.


Inwieweit räumen Sie dem Gast ein,  (s)ein Menü zusammenstellen?

Im Rahmen der Karte ist das dem Gast völlig freigestellt. Was nicht heißt, dass wir nicht hier und da auch Empfehlungen abgeben. Nicht alles schmeckt geschmacklich so zusammen, wie man es zunächst vermuten könnte.

Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre Speisen?

Die Saison hat Priorität. An diesem Grundsatz rütteln wir nicht. Da ist der Preis erst einmal nachgeordnet. Was nicht heißt, dass man ihn außer Acht lassen kann. Qualität hat schließlich auch ihren Preis.

Wie leben Sie als Küchenchefin Ihre kreative Ader als Köchin aus?

Sie spielen diesbezüglich sicher auf Beschränkungen monetärer Art an. Was zunächst in unseren Köpfen entsteht, ordnet sich unserer schöpferischen Kreativität unter. Alles ist möglich, aber nicht alles nötig. Es muss auch zu unserem Haus und zum Umfeld passen. Was nicht passt, kommt konsequent von der Karte.

Woher holen Sie sich Inspirationen für Gerichte und geschmackliche Kombinationen?

Gehen Sie einfach davon aus, dass wir im besten Sinne des Wortes Geschmack haben. Aber im Ernst, wir holen uns Anregungen aus allen Küchen weltweit, schauen auch bei Kollegen sozusagen über die Schulter, ohne zu kopieren, lesen kulinarisch viel und hören auch den Gästen zu, die so manche Ideen für neue Gerichte einbringen.

Kommt Ihre Küche ohne  "Verstärker" oder Convenience-Produkte aus?

Ja. Punkt.

Woher beziehen Sie Ihre Produkte? Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?

Das ist uns wichtiges Anliegen und gehört schließlich zu unserer Philosophie. Unsere Zulieferer sind unter anderem Jäger, Bauern, die Müritzfischer, ein Ziegenkäse- und ein Kräuterhof in der Region.

Definieren Sie sich auch über den Begriff Gourmet-Küche? Was gehört aus Ihrer Sicht dazu?

Ja, aber… Gourmet ist ein dehnbarer Begriff und ein Frage des Küchenstils. Gesunde, bodenständige Kost hat in diesem Sinne auch einen Gourmet-Charakter. Immer vorausgesetzt, sie wird fachlich gut und mit Anspruch umgesetzt.

Wie schätzen Sie einen Mittelweg zwischen bodenständiger und Gourmet-Küche ein?   Ergänzend: Praktizieren Sie diesen Mittelweg im Detail in Ihren Restaurants?

Ich wiederhole mich: Ehrliches Kochen, was immer man auch da hinein interpretiert, ist auch Gourmet. Insofern praktizieren wir diesen Mittelweg. Erst kommt das Handwerk, dann das kulinarische Zaubern.

Was ist für Sie ein Spitzenkoch? Ist ein Stern dafür das Muss?

Ein Spitzenkoch muss für mich diszipliniert arbeiten, kreativ sein und sichtbar Spaß an seiner Arbeit haben. Dafür braucht man keinen Stern.

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Sind ein Stern oder Punkte bei Gault Millau ein Ziel Ihres kulinarischen Schaffens?

Nein, wir machen unseren kulinarischen Anspruch nicht an solchen Meriten fest. Das würde auch nicht zum Charakter unseres Hauses und unserer Gästeklientel passen. Und auf bzw. für ein gesondertes Gourmetrestaurant haben wir weder Bock noch die personellen und küchentechnischen Voraussetzungen.

Wie viel Entertainer muss ein Koch heutzutage sein? Wie viel kochender Entertainer sind Sie selbst?

Entertainment im Alten Hof am Elbdeich halten wir für den falschen Weg. Wir gehen eher dezent-zurückhaltend auf den Gast zu. Daraus entwickeln sich oft sehr angenehme und dauerhafte Kontakte.

Nachgefragt: Was halten Sie von der aktuellen Flut von Kochsendungen aller Couleur? Auf welche Art davon kann die Welt verzichten?

Das kann und will ich nicht einschätzen, weil ich dazu zu wenig in der Materie stehe. Ich weiß aber, dass auch Sendungen zu diesem Genre gehören, die besonders für junge Menschen ein falsches Bild über Köche und ihre Arbeit bieten.

Welche der bekannten deutschen oder internationalen Köche sind für Sie eine Art Vorbild in Bezug auf Authentizität und Qualität des Kochens?

Da möchte ich niemanden hervorheben, weil das für mich eigentlich keine Rolle spielt. Es gibt eine riesige Anzahl toller Köche unterschiedlichster Ausrichtung. Ich partizipiere in diesem Zusammenhang mehr von Dingen und Personen, die meinem beruflichen Umfeld nah sind. Volker Mehl beispielsweise ist ein hervorragender Koch mit ayurvedischem Ansatz. Das ist ein Typ, wie wir ihn  mögen. Von seinen Kenntnissen und Fertigkeiten profitieren wir.

Welchen Traum als Köchin würden Sie sich gern noch verwirklichen?

Ich würde gern eine kulinarische Reise durch Europa unternehmen, überall mitkochen und viele, viele Ideen mit nach Hause nehmen.

Wie muss ein Restaurant aussehen und was muss es Ihnen bieten, um sich dort als Gast wohl zu fühlen?

Da lege ich mich auf kein Klischee fest. Ambiente und Angebot müssen harmonieren, die Küche authentisch und nicht aufgesetzt rüberkommen.

Was hat eine Köchin wie Sie für Hobbys? Spielt Kulinarik  auch in der Freizeit eine Rolle?

Der Beruf ist das Hobby. Wir probieren gern Neues aus und holen uns überall kulinarische Anregungen, was nicht selten zu neuen kulinarischen Kreationen am Elbdeich führt.

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