Der eine schilt den anderen dumm ...
geschrieben am 24. Januar 2005 für das Internet-Portal www.politik-poker.de, das in diesen Tagen von Netz genommen wird. Ich meine, da sind Gedanken drin, die auch heute noch aktuell sind. Ob ich das Kabinett der "Regierung der fähigsten Köpfe" heute noch so bilden würde, mag dahingestellt sein. Es geht mir um das Anliegen an sich. Parteien sind der Demokratie Feind.
Manchmal kommt mir Konrad Adenauer in den Sinn, der sagte: "Nehmt die Menschen, wie sie sind. Andere gibt es nicht." Das klingt ja fast wie Bismarck, dem der Satz zugeschrieben wird: "Verfallt nicht in den Fehler, bei jedem Andersmeinenden entweder an seinem Verstand oder an seinem guten Willen zu zweifeln."
Nun muss man politisch gesehen weder ein Freund des Reichskanzlers aus der deutschen Kaiserzeit noch des Alt-Bundeskanzlers aus der Zeit der Bundesrepublik Deutschland (alt) sein, um zu erkennen, dass beide Recht haben mit ihren Aussprüchen.
Was hat das mit Politik zu tun? Die Antwort könnte knapp und vieldeutig sein: "Alles und gar nichts." So leicht ist es aber nicht, oder ich will es mir nicht so leicht machen. Oft habe ich am Biertisch, bei Hinterzimmergesprächen oder sogar offiziellen politischen Anlässen gehört: "Der Mann ist gut. Er ist nur in der falschen Partei!" Das ist genau der Ansatz, der mir die eingangs genannten Ansichten von Bismarck und Adenauer sympathisch erscheinen lassen.
Es genügt eben nicht, den einen als dumm zu schelten, weil er ein anderes Parteibuch sein eigen nennt. Es genügt erst recht nicht, die guten Argumente politisch Andersdenkender ins Abseits zu stellen, wohl um deren sinnvollen Kern wissend. Und es ist auch nicht das Gebot der Zeit, sich parteipolitisch ständig und a priori als Gegner zu verstehen, will man die Gesellschaft ernsthaft voran bringen und tatsächlich alles zum Wohle des Volkes tun.
Ich habe bis 1989 in der DDR mit vielen Leuten zusammen gearbeitet, die vor Stolz auf "die Partei" kaum geradeaus gehen konnten. Die sich täglich einmal im Spiegel gesagt haben, wie Recht "die Partei" und welch' engagierte, uneigennützige Mitglieder sie doch hat. Ich habe aber auch erlebt, dass eben diese tollen Typen binnen weniger Wochen plötzlich und unerwartet erkannt haben, wer an ihren gesundheitlichen Beschwerden der letzten vierzig Jahre und am Zustand des Staates Schuld hatte: die Partei.
Und wer ist das: die Partei, wenn nicht ein politisches Sammelbecken von einzelnen Personen mit all ihren unterschiedlichen Charakteren, ihren persönlichen Stärken, ihren Schwächen und wohl auch ihren politischen Irrungen und Feigheiten? Das politische Katzbuckeln ging nämlich weit stärker von unten nach oben als die vermeintlich politische Repression von oben nach unten. Letzteres nicht zu verwechseln mit politischer Repression an einzelnen, anders denkenden und anders handelnden Personen.
Die Folgen des Wendeherbstes 1989 sind bekannt: Deutschland ist wieder einig Vaterland. Deutschland hat fünf Bundesländer mehr. Deutschland macht weltweit von sich reden und ist (vermeintlich) wieder wer. Deutschland beschreitet den schmalen Weg zur inneren Einheit zwischen Ost und West. Aber: Deutschland wird immer noch von Parteien bestimmt und regiert. Mehr noch, es zählt schon wieder und mehr denn je das richtige Parteibuch. Grund genug für eine große Anzahl Einzelner, sich in den Wendeturbulenzen einmal mehr zu profilieren. Motto der Zeit: "Parteibuch weg - Honecker nie gekannt - neue Karriere in neuem Gewand". Allen anderen werden als ewig Gestrige abgestempelt, denen der politische Scheiterhaufen gewiss ist.
Und komisch, es sind wieder "nur" einzelne Menschen, die Parteien ausmachen. Die (vermeintlich) ganz oben tönen mit markigen und wohl klingenden Worten. In der Hoffung, sich damit die Gunst der von (vermeintlich) ganz unten, allgemein auch Volk genannt, zu erhaschen. Die neue politische Elite trainiert sich in Selbstdarstellung und Polit-Marketing - die Politik selbst ist nur Mittel zum Zweck. Da sind opulente Gehälter und attraktive Nebenverdienste eher Randerscheinungen. Man arbeitet schließlich auch viel und hart.
Parteiprogramme aller Couleur haben Konjunktur. Wahlkampf wird zum Modesport und Medienereignis. Die Medien schlachten zum Wohle des Volkes alles aus, was Schlagzeilen und Quoten bringt. Sie bieten den politisch handelnden Personen die Arenen der Selbstdarstellung, wohl wissend, wie viel davon Schall und Rauch ist und sind jederzeit bereit, politischen Todesstößen die Hand zu führen und sie zu begleiten.
Mein Fazit: ich habe die Vision von einer Regierung der fähigsten Köpfe. Ich meine, dieses Land hat kluge und auch fähige Politiker. In allen politischen Lagern. Die ganz Rechtsaußen dabei bewusst ausgegrenzt. Und eben diese klugen Köpfe haben, das ist gut so, unterschiedliche Ansichten in politischen, wirtschaftlichen, überhaupt gesellschaftlichen Einzelfragen. Sind zu deren Lösung aber Parteien notwendig? Ich meine: nein! Sachverstand muss Parteibücher ersetzen und die gehören langfristig gesehen in die Mülltonnen der Geschichte.
Aus meiner Sicht wäre es nicht ehrenrührig, wenn in (m)einer "Regierung der fähigsten Köpfe" (unabhängig von deren zeitlichen politischen Wirken und nur als anschauliches Beispiel aufgezeigt)
Adenauer (Innenminister)
Genscher (Außenminister)
Schmidt (Verteidigungsminister)
Funke (Landwirtschaftsminister)
Gysi (Justizminister)
Enkelmann (Familienministerin)
Merkel (Forschungsministerin)
Bisky (Kultur- und Medienminister)
Fischer (Umweltminister)
Roth (Gesundheitsministerin)
Erhard (Wirtschaftsminister)
Apel (Finanzminister)
und andere an einem Kabinettstisch säßen. Geleitet würde die Runde von Bundeskanzlerin Maria Müller. Die kennt heute noch niemand, stammt aus dem Volk, hat eine Familie mit drei Kindern und weiß um die Sorgen und Nöte des Volkes aus eigener Erfahrung. Und die Medien schließlich brauchen hinter keinem Namen mehr eine Partei zu nennen. Das erleichtert die Arbeit und die Argumentationen ungemein. Irgendwer (bitte den historischen Kontext dazu einmal außen vor lassen) hat schließlich schon einmal gesagt: "Ich kenne keine Parteien mehr ..."
Zugegeben, in dieser Vision liegt viel Utopie. Der Historiker und Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski hat sich in der Zeit der politischen Wende schon auf die nächste Revolution gefreut, bei der er gern dabei gewesen wäre. Eine kleine Revolution wäre das schon: Eine Gesellschaft ohne Parteibücher. Aber bist dahin muss erst eine Revolution im Denken aller Menschen stattfinden.
Es ist zu befürchten, dass dieser Denkprozess noch sehr lange dauern wird. Aber man kann ja nie wissen. Bis dahin mache ich auch weiterhin meinen Mund auf, um für "meine Vision" zu streiten, gehe zu allen möglichen Wahlen und wähle die Partei meines Vertrauens. Dazu ermutigt mich ein Zitat von Gysi: "Getraut euch ruhig. Sieht doch keiner!" Hoffentlich.