Im Interview: Steffi Kerber-Reichel – eine Köchin, die ihrer Linie treu bleiben möchte

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Steffi Kerber-Reichel

Jahrgang 1986, verheiratet, Mutter dreier Kinder Max, Franz und Lotte.

Sie absolvierte ab 2002 eine Kochlehre im "Landhotel Baumwiese" Dresden-Boxdorf (Lehre ein halbes Jahr verkürzt), arbeitete danach im Hotel & Restaurant "Goldener Hahn" Finsterwalde, im Schwarzwaldgasthof "Zum Goldenen Engel" Glottertal und im Hilton Berlin. Es folgten Praktika bei Dieter Müller in Lerbach und Karl-Heinz Hauser "Süllberg" Hamburg. Ab 2007 ist sie Küchenchefin im elterlichen Landhotel "Trakehnerhof" Großwaltersdorf.

Im ersten Lehrjahr hatte sich Steffi Kerber nach eigenen Angaben ziemlich gelangweilt, weil sie schon einige Erfahrungen im Kochmetier hatte. Also suchte sie sich Herausforderungen im Umfeld und nahm an Wettbewerben teil. Zu ihren ersten Erfolgen gehörte ein 3. Platz um den Ernst-Lößnitzer-Pokal sowie die gleiche Platzierung bei der Sachsenmeisterschaft der Köche. Später folgten ein 2. Platz in dem genannten Pokal und der Sieg bei der Sachsenmeisterschaft. Das war auch die Qualifikation zur Deutschen Meisterschaft.

Um auch dort Erfolg zu haben, suchte sie über den Verband der Köche Kontakt zur renommierten Kochausbilderin, -trainerin und Jurorin Thea Nothnagel. Der Anruf lief etwa so ab: "Guten Tag, ich bin die Steffi Kerber und möchte mit Ihrer Hilfe Deutsche Meisterin werden..." Das weckte bei der Angerufenen Interesse. Es folgten zwei Tage Koch-Training in Berlin. Der erste übergreifende Erfolg war ein 6. Platz bei der Deutschen Meisterschaft. Später kam auch dieser Titelgewinn hinzu, und Steffi Kerber wurde auch Brandenburger Meisterin. Ein besonderer Höhepunkt war dann die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in Australien, von der sie als Vizeweltmeisterin zurückkehrte. Dazu muss man wissen, dass die Aufgabe denkbar schwer war: Aus einem unbekannten Warenkorb musste ein Drei-Gang-Menü gezaubert werden. Zeit war dafür eine halbe Stunde, um das Menü zu entwickeln und zu schreiben. Hinzu kamen dreieinhalb Stunden für das eigentliche Kochen. 2008 schließlich belegte Sie mit der deutschen Jugendnationalmannschaft in allen drei Kategorien den 1. Platz bei der Koch-Olympiade in Erfurt.

Zu ihrem Vizeweltmeister-Menü gehörte:
Duett von Krebs und Weißfisch: Weißfisch-Mousse mit Apfelgelee, pochierter Krebsschwanz, lauwarmer Gurkensalat und grüne Sauce mit gefüllter Cocktailtomate
Gefüllter Lammrücken im Kräutermantel auf Paprika-Pilz-Gemüse, tourniertem Gemüse und Ananas-Risotto-Croustini
Lauwarmer Schokoladenkuchen mit flüssigem Kern an Blaubeer-Vanille-Sauce, Mangoeis auf Kiwi-Ragout und Balsamico-Reduktion

Wie würden Sie Ihre kulinarische "Philosophie" beschreiben? Oder anders gefragt: Was ist Ihr Anspruch beim Kochen hinsichtlich Zutaten, Verarbeitung und Präsentation?

Genau genommen verfolge ich zwei kulinarische Philosophien. Was nicht heißt, dass ich nicht weiß, was ich will. Einerseits biete ich unseren Gästen sogenannte gutbürgerliche Küche an. Andererseits verkörpern wir auch anspruchsvolle Gastronomie mit hochwertigen Gerichten.

Und das ist kein Widerspruch in sich?

Keineswegs. Der Gast und seine Ansprüche stehen im Mittelpunkt unserer Arbeit. Also muss man auch verschiedensten Ansprüchen gerecht werden. Und ich denke, wir entwickeln dabei in beiden Bereichen eine ganz eigene Handschrift. Das spricht sich herum und wissen die Gäste zu schätzen.

Was ist für Sie kulinarischer Genuss im allgemeinen und im besonderen?

Das erklärt sich bereits aus der eingangs formulierten Frage: Ich liebe Omas bodenständige, deftige Küche und hole mir daraus viele Inspirationen für neue Gerichte. Ich genieße aber auch gern einmal Sterneküche und die Arbeit solcher Köche, die den Stern längst verdient hätten. Nach Dresden ist es nicht weit, da lohnt sich ein kulinarischer Ausflug immer. Und man kommt mit neuen Ideen in die eigene Küche zurück. Ohne dabei eins zu eins zu duplizieren. Kreativität ist das Motto...

Beschreiben Sie kurz das kulinarische Angebot Ihrer Restaurants?

Vielseitiger Mix aus ländlich-regionaler und ambitionierter, anspruchsvoller Küche für den verwöhnten Gaumen.

Sie bieten wohl vor allem ländlich-deftige Küche. Wie verbinden Sie dabei deutsche und regionale Küche?

Unsere typischen regionalen Gerichte kennzeichnen wir auf unserer Karte mit einem "Raachermannel". Das heißt auf gut deutsch "Räuchermännchen" und ist ein Markenzeichen für erzgebirgische Tradition. Ich versuche aber auch, dem regionalen geschmackliche Nuancen zu verleihen, die eine Weiterentwicklung traditioneller Gerichte sind. Beispiele dafür sind unter anderem  die Neukräutersuppe mit Croutons, der würzig-herbe Fichtennadelgulasch, oder der im Heu gegarte Mufflonbraten.

Wie setzen Sie deutsche und regionale Küche um - eher traditionell, oder mit neuen geschmacklichen Nu-ancen? Gibt es auch Bezüge zur internationalen Küche?

Sie werden es ahnen: es ist eine Kombination aus beiden Aspekten. Neue Nuancen, ich wiederhole und ergänze mich, sind dazu da,  dass wir uns von anderen Küchen unterscheiden. Also lasse ich auch nicht nach, ständig zu experimentieren und zu kombinieren. Da kommen einem dann schon Ideen, die beispielsweise zu geschmackvoller Verbindung mit  asiatischen  und französischen Einflüssen führen. Das heißt aber auch, dass man ständig Ideenfindung im Team betreiben und Harmonie mit dem Koch-Partner herrschen muss. Da habe ich mit Martin Deutschmann eine sehr kreative Ergänzung gefunden.

Von wem stammt Ihre Liebe zur ostpreußischen Küche, wer gibt Ihnen dazu die Inspirationen?

Meine Familie hat ostpreußische Wurzeln. Daher auch der Bezug zu den bekannten Trakehner-Pferden und dem Namen unseres Hauses. Die Großeltern haben natürlich auch kulinarische Traditionen weitergegeben. Außerdem arbeiten wir regelmäßig mit dem Bund der Vertriebenen und erhalten auch auf diesem Weg viele kulinarische Anregungen und veranstalten einmal im Jahr "Ostpreußische Wochen".

Bieten Sie auch Gerichte oder Menüs im gehobenen kulinarischen und damit auch preislichem Segment an? Was den Schluss zulässt, ob Sie anspruchsvoll mit teuer gleichsetzen...?

Darauf hatte ich ja bereits hingewiesen. Unsere Karte hat auch eine sogenannte Genuss-Ecke mit Gerichten, die eben über die typisch regionale Küche hinausgehen. Anspruchsvoll heißt dabei für mich vor allem, dass es sich um besonders hochwertige Produkte handelt, jedoch abseits von Schickimicki. Es kommt mehr darauf an, traditionelle Produkte edel zu verarbeiten. Das wirkt sich natürlich auch auf den Preis aus, denn Qualität muss bezahlt werden. Da mache ich auch keine Abstriche.

Ergänzend: Kann man bei Ihnen auch Menüs auf Wunsch bestellen?

Keine Frage, alles ist möglich, wie man so schön sagt. Nach Absprache setzen wir besondere Gästewünsche natürlich auch über die "normale" Speisenkarte hinaus um. Beispiel: Ein Gast wünscht ein mediterranes Vier-Gänge-Menü mit Amuse Bouche, Vorspeise, Zwischengang, Hauptgericht und Dessert... Dann bekommt er das. Und ich berate natürlich auch, was passt, und was machbar und sinnvoll ist. Ein klein wenig muss man den Geschmack des Gastes schließlich auch lenken.

Nach welchen Kriterien  wie Saison, Preis, Produkte wählen Sie Ihre a la carte Angebote aus?

Ganz eindeutig die Saison hat Priorität. Alles andere widerstrebt auch meinem eigenen Anspruch als Köchin. Spargel gibt es also nur zu seiner Zeit. Und in diesem Sinne haben wir das ganze Jahr über genügend Themen, die man kulinarisch beackern kann. Das hat etwas mit der bereits angesprochenen kulinarischen "Erziehung" des Gastes zu tun. Trotzdem werden Sonderwünsche natürlich auch erfüllt.

Woher beziehen Sie Ihre Produkte und Zutaten, wenn man davon ausgeht, dass bei Ihnen Covenience Produkte weitgehend nicht zum Einsatz kommen?

Alle Fleischprodukte stammen sozusagen  aus Familienhand. Wir sammeln aber auch Wildkräuter und Beeren selbst und verfügen über einen ansehnlichen Kräutergarten. Auch das Wildbret stammt von Jägern aus dem Erzgebirge, das von einem heimischen Fleischermeister fachgerecht zerwirkt und portioniert und von uns schonend und kreativ verarbeitet und zubereitet wird. Auch Herzoginkartoffeln, Burger, Nuggets und Nudeln stellen wir selbst her.

Wie kann man als Küchenchef in einem Haus wie dem Ihren seine kreative Ader als Koch ausleben? Gibt es dabei Beschränkungen?

Es wäre schlimm, wenn es so wäre. Nur Kreativität bringt voran. Jeder kann seine Ideen einbringen, die dann kollektiv besprochen und umgesetzt werden. Ohne die wirtschaftliche Seite des Ganzen zu vernachlässigen, kann ich bei meinem Experimentieren schon recht aus dem Vollen schöpfen. Das kommt natürlich dem Ruf der Küche zu Gute.

Wie meistern Sie den Spagat zwischen dem Anspruch der meisten Gäste "viel und preisgünstig" zu essen und Ihrem eigenen Anspruch, niveauvolle Küche abseits lediglich voller Teller zu bieten?

Das gelingt dann besonders gut, wenn man die Produkte wie Fleisch vollständig und für verschiedenste Ansprüche verarbeiten kann. Das hat nichts mit Küche erster oder zweiter Klasse zu tun. Aber auf diese Weise, also, wenn man ganze Tiere verarbeitet, kann man einen ausgewogenen preislichen Mix anbieten, der sich letztlich auch rechnet.

Wo liegt für Sie der sogenannte goldene Mittelweg zwischen bodenständiger und Gourmetküche?

Der Mittelweg sind Restaurants, wie sie landauf, landab in großer Vielzahl anzutreffen sind: Handwerklich solide Küche mit gehobenem Anspruch, wie es beispielsweise die Bib Gourmand Restaurants verkörpern. Gut und günstig eben, aber nicht abgehoben.

Was halten Sie von Sterneküche allgemein? Ist das für Sie mehr als "künstlerisches Kochen" auf hohem Preisniveau?

Es kommt auf das Haus an. Es gibt durchaus eine Reihe von Sternerestaurants, da ist es eher Kunst. Um es einmal vorsichtig auszudrücken. Wenn damit aber keine Qualität verbunden ist, ist die Kunst buchstäblich auch im Eimer. Soll heißen, man kann als Gast solcher Restaurants auch Pleiten erleben.

Wäre das für Sie einmal eine neue berufliche Herausforderung, auch Gourmetküche anzubieten?

Nicht wirklich. Ich möchte bei meiner Linie bleiben und einen Mix aus bodenständiger, regionaler und gehobener Küche anbieten. Außerdem sind auf unserer Karte saisonal durchaus auch Gerichte, die dem anspruchsvollen Gaumen von Feinschmeckern sehr wohl entsprechen.

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Welche der bekannten Köche sind für Sie eine Art Vorbild in Bezug auf Authentizität und Qualität des Kochens? Mit wem würden Sie gern einmal gemeinsam in der Küche stehen?

Da ist für mich eindeutig Dieter Müller der Favorit und sozusagen der Fels in der Brandung. Er ist für mich der Inbegriff eines Spitzenkoch, zudem menschlich sehr angenehm und sympathisch.

...und, gibt es auch berühmte Kollegen, mit denen man nicht so kann?

Das liegt in der Natur der Dinge. Natürlich kann nicht jeder jeden gleich gut "riechen". Aber hier schweigt der Köchin Höflichkeit. Das Entscheidende  aber ist ja wohl immer noch, was als Ergebnis auf den Tisch eines Hauses kommt.

Welchen Traum als Koch würden Sie sich gern noch verwirklichen?

Mal längere Zeit auf einem Schiff zu kochen, hätte schon seinen Reiz. Aber an Land gibt's auch noch genug Herausforderungen. So träume ich beispielsweise noch von einem separaten Raum für meine Kochkurse.

Was essen Sie selbst am liebsten und welche Gerichte bereiten Ihnen als Koch die meiste Freude?

Jetzt aber nicht lachen: Mein Lieblingsgericht sind saure Eier. Das ist so etwas wundervoll einfaches, aber schmackhaftes. Und: essen hängt für mich auch von meiner Verfassung ab. Mal mag ich es Karo einfach, mal anspruchsvoll und gut aufgemacht.

Wie muss ein Restaurant aussehen und was muss es Ihnen bieten, um sich dort als Gast wohl zu fühlen?

In jeder denkbaren Auslegung der Frage geradlinig und schlicht. Das trifft auf das Ambiente ebenso zu, wie auf die geschmackliche und "gestalterische" Präsentation eines Gerichts oder Menüs. Man muss die kulinarische Meisterschaft eben sehen und schmecken.

Wie viel bedeutet Ihnen eine funktionierende Küchen-Crew?

Das ist eine klare Suggestivfrage: Die Mannschaft ist das A und O. Ohne sie bin ich aufgeschmissen und kann nichts bewegen. Ich habe bei meinem Einstieg in den elterlichen Betrieb nach und nach die komplette Crew ausgetauscht. Das hat sich gelohnt, denn nur mit eben diesem funktionierenden Team kann man die eigenen  Ansprüche optimal umsetzen.

Was hat ein Koch wie Sie für Hobbys? Spielt Kulinarik auch in der Freizeit eine Rolle?

Zum Fithalten, neben meinen Kinder, die mir viel zurück geben,  treibe ich gern etwas Sport, laufe, auch auf Skiern, und reite ab und zu. Aber natürlich kommt auch die Ideenfindung in der Freizeit nicht zu kurz. Demzufolge lese ich auch fachliche Dinge und nutze das Internet auch für meinen Beruf.

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