Im Interview: Markus Semmler* – ein Koch mit Instinkt und Visionen

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Markus Semmler

Jahrgang 1966, verheiratet.

Nach der Kochlehre in Melsungen und dem Wehrdienst arbeitete er in verschiedenen Hotels als Koch, bevor es ihn in die Schweiz unter anderem ins Seerestaurant "Zum Stern" nach Zürich, in "Petermanns Kunststuben" in Küsnacht und als  Sous-Chef in die "Wirtschaft zur Höhe" in Zollikon zog. Später folgten Tätigkeiten in Hessen und der Besuch der Hotelfachschule in Heidelberg inklusive eines Praktikums im Pariser Hotel "Le Crillon". Danach arbeitete er als Küchenchef und Gastronomischer Direktor, bevor er Küchendirektor im Schlosshotel "Cecilienhof" Potsdam und im Schlosshotel "Vier Jahreszeiten" im Berliner Grunewald wurde. 1996 wurde er vom Magazin "Feinschmecker" zum Aufsteiger des Jahres, 1998 als Berliner Meisterkoch und 2000 von Gault Millau zum Restaurateur des Jahres gekürt. Er wirkt außerdem als gastronomischer Berater für verschiedene Häuser bundesweit. Seit 2011 ist er Inhaber und Maitre des nach ihm benannten Restaurants und der Cateringfirma "Kochkunst & Ereignisse".

Was ist für Sie Genuss im Allgemeinen und kulinarischer Genuss im Besonderen?

Ganz einfach: Im Allgemeinen auf Convenience-Produkte zu verzichten und im Besonderen, frische Produkte so zu verarbeiten, dass daraus Genuss erwächst.

Wie beschreiben Sie Ihre kulinarische "Philosophie"?

Ich setze auf einen Kopf zum Denken und tatkräftige Hände zum Arbeiten. Für gute Küche reichen neben frischen Produkten Kräuter und Salz und Pfeffer zum Würzen.

Anders gefragt: Was ist Ihr Anspruch beim Kochen hinsichtlich Zutaten, Verarbeitung und Präsentation?

Ich biete mit einem höchstmöglichen Grad an Handwerk Gerichte an, die mit frischen Produkten bestmöglich kombiniert sind und ansehnlich auf dem Teller präsentiert werden.

Beschreiben Sie das kulinarische Angebot Ihres Restaurants in einem Satz?

Man kann bei uns in lockerer Atmosphäre eine perfekte Gastronomie auf hohem Niveau erleben.

Sie gelten als kulinarisches Allroundtalent und Kochkünstler. Was macht aus  Ihrer Sicht Ihre Originalität aus?

Ich bin ein Mann, der seine Arbeit ohne Kompromisse verrichtet und immer gleichbleibende Qualität bietet. Egal, ob es für 10 oder 1000 Personen ist.

Wie setzen Sie, wenn überhaupt, regionale Küche aus Berlin und Brandenburg auf anspruchsvollem Niveau um?

Es ist keine typische regionale Küche, die ich biete. Aber wir lassen in unserer Küche natürlich Top-Produkte aus der Region einfließen und verarbeiten bzw. kombinieren sie kreativ. Das gilt für Wild aus dem Berliner Umland ebenso wie für die bekannten Teltower Rübchen.

Sie bieten, jedenfalls was das Internet aussagt, keine ausgeprägte regionale Küche an. Täusche ich mich da, oder ist das gewollt?

Was ist eigentlich überhaupt regional? Die Grenzen  dazu sind doch fließend. Ich sagte es aber bereits, wir kombinieren frische Produkte mit raffinierten geschmacklichen  Nuancen. Wer typisch regional essen möchte, muss ins Gasthaus gehen. Und das ist beileibe nicht abwertend gemeint.

Sie bieten aus meiner Sicht eher Kombinationen von exotischer Küche (Wildwassergarnele, Rochenflügel, Schwertfisch) mit traditioneller Küche (Wild usw.) an. Welches Klientel an Gästen erreichen Sie damit vor allem?

Wir wollen den Genussmenschen erreichen, der das perfekte Handwerk schätzt und ohne Starallüren für Genuss bereit ist.

Zu welchen Anteilen bieten Sie klassische bzw. moderne Küche? In welchen Merkmalen Ihrer Gerichte spiegelt sich das wider?

Dazu ein Zitat eines bekannten Gastrokritikers: „Markus Semmler ist einer der raren Instinktköche Deutschlands, selbst wenn er wollte, könnte er nicht schlecht kochen." Ich habe mir übrigens kürzlich nach 15 Jahren wieder einmal ein Kochbuch gekauft. Alles, was darin steht, habe ich aber auch schon vor 15 Jahren gemacht. Insofern koche ich schon klassisch. Modern nur in solchen Dingen, wo Geschmack drinsteckt.

Und wie ist es mit dem modernen Kochen?

Ich meine in diesem Zusammenhang auch, dass man seinen Weg nicht verlieren darf.

Kann ein Gast sich auch eine Art Überraschungsmenü mit regionalen Akzenten wünschen. Was würde Ihnen da spontan für ein 4-Gang-Menü einfallen?

So aus dem Stehgreif ist das nur ein Versuch, den ich aber trotzdem wage: Im ersten Gang würde ich Flusskrebssalat mit konfierten Zitronen und karamellisiertem Kopfsalat anbieten. Es folgen ein Havelzander mit gerösteten Steinpilzen und Petersilien Beurre blanc sowie Rehrücken mit geräuchertem Sellerie, wildem Brokkoli  und Pfifferlingen. Als krönenden Abschluss würde ich Sauerkirschen mit Schokoladencrumble, Ziegenkäse Espuma und Thymian-Rahmeis servieren.

Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre  Speisekarte?

Ich komme da wieder auf den Instinktkoch in mir zurück. Kochen findet bei mir im  Kopf und nicht am Herd statt. Unsere Karte wechselt alle sechs bis acht Wochen. Die entwickle ich mehr oder weniger aus dem Bauch heraus. Die Saison spielt dabei schon eine Rolle. Und die Produkte sind und bleiben frisch. Das ist eherners Gesetz.

Wie können Sie Ihre kreative kulinarische Ader als Koch auszuleben? Gibt es diesbezüglich Beschränkungen beispielsweise monetärer Art, die Sie sich selbst auferlegen?

Ob die Kreativität Erfolg hat, entscheidet der Gast. Nur wenn ich dessen Geschmack getroffen habe, geht die Rechnung auf. Oder man muss so extrovertiert sein und kochen, dass man Gesprächsstoff bietet und so die Gäste anzieht. Beschränkungen, um auf den Kern Ihrer Frage zurückzukommen, erlege ich mir aber nicht auf. Es muss einfach passen. Punkt.

Kommt Ihre Küche ohne  "Verstärker" oder Convenience-Produkte aus?

Ohne weitere Worte: Ja. Eher würde ich mir, das können Sie getrost so schreiben, die Hand abhacken.

Woher beziehen Sie Produkte wie Gemüse und Fleisch?

In bewährter Weise seit etwa 20 Jahren Gemüse vom Großmarkt oder Fleisch aus dem Frischeparadies. Da ist Vertrauen gewachsen und die Qualität stimmt. Was ich gegebenenfalls außer der Reihe möchte, besorgt man mir. So einfach ist das.

Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?

Wer Qualität bietet und korrekt liefern kann, ist dabei. Das kommt immer auf die Produkte und die entsprechenden Angebote an.

Wo liegt für Sie der sogenannte goldene Mittelweg zwischen bodenständiger und Gourmetküche?

Diesen Mittelweg versucht, glaube ich, jeder zu finden. Bodenständigkeit ist Handwerk und Gourmetküche optimiert die Kreativität bei der Umsetzung geschmacklicher Nuancen. Das muss jeder für sich entscheiden.

Zusatzfrage: Was ist für Sie Gourmetküche überhaupt? Was halten Sie davon allgemein?

Der Begriff an sich ist meiner Meinung nach schon eine falsche Aussage. Das kann auch auf ein tolles Gulasch mit Spätzle, oder die x-te Variante von Stopfleber zutreffen. Wichtig ist der Anlass des Essens. Wichtig ist, was ich als Gast möchte. Soll es gediegen und sehr anspruchsvoll sein, dann gehe ich eben ins sogenannte Gourmetrestaurant. Gut essen kann man aber auch im Landgasthof, der auf seine Art, Stichwort: Gulasch, Gourmet bietet.

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Hinterfragt: Ist Gourmetküche für Sie mehr als "künstlerisches Kochen" auf hohem Preisniveau?

Grundsätzlich: Nein. Aber ein hoher Personalaufwand und qualitativ hochwerter Produkteinsatz hat auch seinen Preis. Man muss im Übrigen auch ein Faible für solche Küche haben. Manche Gäste verbinden damit auch eine gewisse Imagebildung. Das trifft meiner Meinung nach nicht den Sinn des Ganzen.

Sie gelten in der Branche als "Verrückter". Worauf führen Sie das zurück?

Ich bin absolut konsequent in meinem täglichen Tun. Bei mir gibt's in der Arbeit 0, in Worten: Null, Kompromisse. Wenn andere auch so denken, dann gibt's viele Verrückte in diesem Land, dieser Branche.

Hinterfragt: Was macht Ihre kulinarische "Verrücktheit" im Vergleich zu anderen Berliner Spitzenköchen aus? Fühlen Sie sich diesbezüglich unterbewertet?

Jeder hat seinen eigenen Stil. Und, um mit den Wortes des Regierenden Bürgermeisters zu sprechen, das ist auch gut so. Der Gast entscheidet letztlich, zu wem er geht und gibt demzufolge Bewertungen ab. Ich fühle mich übrigens im Berliner Kollegenkreis sehr wohl, von Neid kann da keine Rede sein.

Was halten Sie von kulinarischen Auszeichnungen allgemein?

Wissen Sie, je älter ich werde, und je länger ich dabei bin, halte ich bald gar nichts mehr davon. Viele Entscheidungen dieser Art werden sozusagen auch auf "politischer Ebene" getroffen. Trotzdem ist beispielsweise der Michelinstern wichtig für den internationalen Gast, den wir auch erreichen wollen.


Sie kochen also für den Stern?

Ja und nein: Der Tester ist für mich kein entscheidendes Kriterium. Ich koche für alle Gäste gleich. Und ich sage es einmal sehr salopp: Wenn einem Tester, die ich meist alle kenne, meine Nase nicht passt, bin ich eben in den Arsch gekniffen...

Stichwort Michelin & Co: Ist ein Stern für Sie ein Ziel? Oder hinterfragt: Können Sie nachvollziehen, warum aktuell einige Köche freiwillig auf den Stern verzichten?

Der Stern war unser ausgegebenes Ziel, weil er auch wirtschaftlich wichtig ist. Den anspruchsvollen internationalen Gast bekommt man eben nur durch solche Bewertungen. Das ist übrigens gerade im Westteil der Stadt ein Problem, hier ist die Klientel ganz anders. Ich kann aber verstehen, wenn Kollegen den Stern sozusagen zum Erlöschen bringen, ihn abgeben. Aber grundsätzlich: Ich würde mit und ohne nicht anders kochen als jetzt.

Welche der bekannten deutschen oder internationalen Köche sind für Sie eine  Art Vorbild in Bezug auf Authentizität und Qualität des Kochens?

Eindeutig Dieter Müller, der nicht nur ein Klasse Mensch, sondern auch ein exzellenter Koch ist, der seine individuelle Linie sein ganzes Leben lang voll durchgezogen hat.

Was halten Sie von Kochsendungen aller Couleur? Gibt’s da auch Dinge, die die Welt nicht braucht?

Gibt es überhaupt noch klassische Kochsendungen? Leider überwiegt der Klamauk und das widerspricht dem Sinn solcher Sendungen, zumal auch die Kameraführung bestimmter Sendungen unter aller Kanone ist.

Wie viel Entertainer muss heute in einem Koch stecken, ohne in Klamauk zu verfallen?

Koch ist ein ernsthafter Beruf, zu dem kein Klamauk an sich passt. Aber man muss schon in gewisser Hinsicht Entertainer für Personal und Gäste sein. Der persönliche Kontakt zum Gast sollte demzufolge nicht unterschätzt werden.

Welchen Traum als Koch würden Sie sich gern noch verwirklichen?

Das wird einen Aufschrei des Erstaunens erzeugen: Wenn die finanziellen Grundlagen gegeben wären, würde ich auf drei Sterne kochen. Das Handwerk dazu habe ich drauf. Im Übrigen soll jeder das Ziel haben, bester Koch der Welt zu werden.

Wie muss ein Restaurant aussehen und was muss es Ihnen bieten, um sich dort als Gast wohl zu fühlen?

Ganz kurz;: Es muss nette Mitarbeiter haben und lecker Küche bieten. Alles andere ist zweitrangig.

Was essen Sie selbst am liebsten, und was kochen Sie am liebsten?

Rehleber, die es sehr selten gibt. Oder Seezunge Müllerin mit Omas Kopfsalat und mehligen Kartoffeln. Ich selbst koche das, was mir gefällt und was beim Gast ankommt.

Was hat ein Koch wie Sie für Hobbys? Spielt Kulinarik für Sie auch in der Freizeit eine Rolle?

In meiner Freizeit nehme ich mir jede Woche einen Tag für Freunde, und koche mit ihnen beziehungsweise für sie. Das ist meine Art der Entspannung. Aber mal ehrlich: Kulinarik an sich spielt in meinem Leben täglich zu 100 Prozent eine Rolle. Und wenn es die Zeit hergibt, fröne ich auch manchmal den Vergnügen des Auto-Rennsports sowie dem Tauchen.

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