Im Interview: Herbert Brockel* – ein Koch mit hohem regionalem Anspruch

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Herbert Brockel

Jahrgang 1965, verheiratet, 2 Kinder.

Wichtige Stationen seiner beruflichen  Laufbahn waren die Lehre im Hotel "Seehof" in Heimbach, die "Krone" in Heimbach, das Gasthaus "Sanct Peter"* in Bad Neuenahr, das "L'Ecole"** in Bad Laasphe, das "Hefter's"* in Düren sowie die "Traube"** in Grevenbroich. Seit 1995 betreibt er das "Husarenquartier" in Erftstadt-Lechenich und erhielt 2000 den ersten Michelin-Stern.

Was ist für Sie Genuss im Allgemeinen und in kulinarischer Hinsicht?

Genuss im Allgemeinen ist für mich, wenn ich den Alltag vergessen, abschalten kann und Zeit habe, mich mit dem Moment zu beschäftigen. Kulinarischer Genuss ist für mich immer mit Geschmack und geschmacklichem Aha-Effekt verbunden, hängt aber auch von meiner Stimmungslage ab.

Wie beschreiben Sie Ihre kulinarische "Philosophie"?

Es geht mir vor allem darum, regionale Produkte geschmacklich innovativ, kreativ, aber auch klassisch in Szene zu setzen.

Beschreiben Sie Ihr kulinarisches Angebot in einem Satz?

Ich biete neue deutsche Küche, die ich mit den Traditionen der Haute Cuisine und regionalen Akzenten verbinde.

Sie versprechen "Haute Cuisine regional". Erläutern Sie die mit Ihren Worten.

Ganz einfach: Das ist die moderne Interpretation regionaler Produkte und Zubereitungsarten.

Nachgefragt: Sie zählen sich zu den 100 besten kulinarischen Solisten Deutschlands. Was muss man für diese Aussage können/mitbringen?

Man muss Kontinuität beweisen und fähig sein, Produkte in hoher Qualität auf den Teller zu bringen. Aber eigentlich müssten Sie diese Fragen denen stellen, die mich unter die 100 besten Köchen eingeordnet haben.

Anders gefragt: Verstehen Sie sich auch ein wenig als kulinarischer Provokateur, der den rheinisch-kulinarischen Geist neu interpretieren möchte?

Als Provokateur sehe ich mich nicht, aber als einer, der neugierig machen möchte und durch seine Kreativität überzeugt.


Sie stellen sich den Anspruch, regionale kulinarische Akzente mit traditioneller Haute  Cuisine zu verbinden? Geben Sie dafür bitte ein markantes Beispiel.

Man kann beispielsweise die bekannte "Kalte Schnauze" mit anderen Komponenten umsetzen, ein Schicht als Baumrinde und Schokolade als Stacheldraht kreieren.

Was zeichnet Ihre Küche zu vergleichbaren Angeboten im kulinarisch Umfeld aus? Worin wollen Sie sich bewusst unterscheiden?

Ich denke, wir haben ein extrem günstiges Angebot, das in der Kombination von gehobener Frittenbude mit Lunch und dem Sterne-Restaurant besteht und damit einen bewusst konträren Reiz hat.

Inwieweit räumen Sie dem Gast ein,  (s)ein Menü zusammenstellen?

Bei uns ist eigentlich alles möglich, wir gehen gern auf individuelle Wünsche ein. Andererseits ist mir natürlich auch wichtig, dass der Gast unser Angebot versteht. Denn wir haben uns schließlich mit einer Menüfolge Gedanken gemacht. In diesem Zusammenhang ist es schon ein wenig kontraproduktiv, wenn der Gast seine eigene Menüvorstellung mitbringt.

Inwieweit vertragen sich Spitzenküche und Bistro in Ihrem gastronomischen Konzept?

Sehen Sie es mal so: Beides kommt aus der gleichen Küche. Da wird qualitativ kein Unterschied gemacht. In diesem Sinne ergänzt sich beides und bildet einen bewusst gewählten kulinarischen Kontrapunkt.

Sie schwärmen förmlich von Ihrer legendären Currywurst: Ist Currywurst nicht gleich Currywurst? Was macht den geschmacklichen Reiz der von Ihnen kreativen Wurst aus?

Da hat jeder sein eigenes Konzept und Rezept. Ich setze dabei auf eine Mischung von 14 Gewürzen, auf gewürztechnische Traditionen nach Hildegard von Bingen und den Fair Trade Gedanken. Meine Zutaten und der Geschmack sprechen für sich, die Wurst ist kein beliebiges Massenprodukt.


Ein Blick auf Ihre Homepage verrät die kreative Umtriebigkeit und Vielseitigkeit, die Sie an den Tag legen. Ist diese Vielfalt nicht auch zeitlich kontraproduktiv, sich ganz auf ein Projekt zu konzentrieren, oder erzeugt diese Vielfalt gerade den Reiz kulinarischer Kreativität?

Vielfalt ist gewollt. Es hat aber durchaus nicht alles die gleiche Bearbeitungsintensität. Man muss dabei auch lernen, zu delegieren, dann gleicht sich manches wieder aus. Grundsätzlich halte ich aber an dem, Gedanken fest, vielseitig präsent zu sein.

Sie gelten als ausgewiesener Bekenner zu regionaltypischer Küche. Was sind diesbezüglich Ihre Intentionen?

Ja ich bekenne mich im Bezug auf Produkte und Zutaten konsequent zum regionalen Gedanken. Solche Gerichte kann man durchaus auch in verschiedensten gastronomischen Segmenten anbieten. Und ich wiederhole mich: Damit wird auch kulturelle Identität geschaffen und bewahrt.

Sie werden aber auch zukünftig anspruchsvolle regionaltypische Küche mit anderen, internationalen Einflüssen kombinieren. Ist das nicht ein gewisser Widerspruch?

Das ist überhaupt kein Widerspruch, sondern bietet 1001 kulinarisch interessante Varianten. Man kann beispielsweise durchaus Müritzfisch mit asiatischen und exotischen Zutaten kombinieren. Es gilt nur, darauf zu achten, dass die Geschmackliche Traditionen die Grundlage für Kreativität bilden und nicht wild  durcheinandergewürfelt wird was nicht zusammen passt.

Regionale Küche aller Couleur braucht natürlich auch regionale Zutaten. Wie wichtig ist Ihnen diesbezüglich die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?

Sehr wichtig, aber im Detail nicht immer unkompliziert und wunschgemäß zu realisieren. Um das Problem zu lösen hane ich 2010 das Netzwerk „ländlichfein“ mitgegründet. Dort treffen landwirtschaftliche Bio-Erzeuger aus der Region auf Verarbeiter und Gastronomen um miteinander regionale Bio-Qualität zu fördern.

Gelegentlich flammt in der "Szene" ein Streit auf, was sich ein Spitzenkoch in Sachen Geschmacks-verstärker, Convenience-Produkte und Werbung dafür "leisten" darf? Was ist dazu Ihre diesbezügliche Meinung?

In Sachen Handwerk müssen solche Dinge natürlich außen vor bleiben. Alles andere täuscht Natur nur vor. Man muss nicht jeden Trend mitgehen und auch in wirtschaftlicher Hinsicht klug entscheiden. Das ist auch für mich ein wichtiger Teil beruflicher Ethik. Es gibt verlockende Angebote von der Industrie und wer im Fernsehen ist, dessen Restaurant ist auch voll. Dennoch finde erwarten Gäste zu Recht ehrliche, chemiefreie Küche von Fachleuten und guten Gastronomen. Wir halten das Versprechen, soweit dass wir keine industriellen Convenience- oder Fertigprodukte verwenden. Keine Suppen-und Saucenpülverchen und auch keine Fertigdressings.

Nach welchen Kriterien entwickeln Sie Ihre Speisen zu Anlässen aller Art?

Ganz eindeutig hat die Saison Vorrang. Da rechnet sich die Sache auch, weil es dann die besten Produkte zum besten Preis gibt.

Ihre Gänge/Menüs sind vergleichbar preisgünstig. Ist das mehr Strategie oder mehr Kalkulation? Soll auch heißen, welche Klientel wollen Sie mit diesem Preisgefüge erreichen?

Das hat einfach etwas mit der Realität der Lage zu tun. Wir passen und einfach der Klientel an und setzen dabei auch auf junge Leute, die neben dem Genuss auch Spaß haben wollen.

Wie leben Sie als Küchenchef Ihre kreative Ader als Koch aus? Legen Sie sich Beschränkungen beispielsweise monetärer Art auf?

Man muss schon wirtschaftlich denken und darf nicht mit dem Schinken nach der Wurst schmeißen. Deshalb verkneifen wir uns bestimmte Produkte auch, die nicht über den Preis vermittelbar sind. Aber je nach Wunsch lassen wir uns natürlich auch etwas Besonderes einfallen, wo der Preis eher eine untergeordnete Rolle spielt.

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Kommt Ihre Küche ohne  "Verstärker" oder Convenience-Produkte aus?

Ja, aber man kann bestimmte Dinge nicht ganz ausschließen. Den Geschmack setzen wir aber vor allem durch frische Kräuterküche um.

Woher beziehen Sie Ihre Produkte? Wie wichtig ist Ihnen die Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern?

So weit wie möglich aus der Region. Dazu gehören auch Fisch, Gemüse und Fleisch, das vom Metzger stammt, der noch selbst schlachtet. Aber das Angebot ist eben begrenzt und man muss auch  über den gut sortierten Großhandel bestellen.

Ich gehe davon aus, Sie definieren sich über Gourmet-Küche. Was gehört aus Ihrer Sicht dazu?

Falsch, wir bieten keine Gourmet-Küche, sondern definieren uns über gehobene regionale deutsche, zeitgemäße Küche. Der Gourmet-Begriff ist für mich im Übrigen etwas antiquiert und stellt für den Gast auch eine gewisse Hemmschwelle dar.

Können Sie sich einen Mittelweg zwischen bodenständiger und Gourmet-Küche vorstellen? Ergänzend: Praktizieren Sie diesen Mittelweg im Detail?

Ohne wieder auf den Gourmetbegriff einzugehen, meine ich, dass wir eben diesen Weg beschreiten. Wir wollen aber das Bodenständige mehr herausheben und sehen den Unterschied auch im personellen Aufwand, den die sogenannte Gourmet-Küche erfordert.

Was ist für Sie ein Spitzenkoch? Ist ein Stern dafür das Muss?

Das ist kein Muss, aber eine Garantie dafür, dass ich in einem solchen Haus einen Spitzenkoch antreffe.

Wie sehen Sie die Situation hinsichtlich des Nachwuchs im Koch-Metier? Wo liegen hier aus Ihrer Sicht die Reserven und Notwendigkeiten?

Das Niveau ist extrem schlecht geworden. Das hat einerseits mit mäßiger Schulbildung, aber auch mit der deutschen Bürokratie und dem Ausbildungssystem zu tun. In diesem Sinne muss sich etwas bewegen. Es muss für alle die gleiche Basis geschaffen werden und auch die Prüfer müssen umdenken.

Wie viel Entertainer muss ein Koch heutzutage sein? Wie viel kochender Entertainer sind Sie selbst?

Man braucht heutzutage die ganze Palette von Internet über Social Media und Marketing. Man muss ganz einfach damit umgehen können, dass der Gast in gewisser Hinsicht bespaßt werden möchte. Das hat was mit Zeitgeist zu tun. Ich bin aber in Sachen Entertainer eher von der ruhigeren Sparte, gehe aber schon auf den Gast zu und erkläre meine Küche.


Nachgefragt: Was halten Sie von der aktuellen Flut von Kochsendungen aller Couleur? Auf welche Art davon kann die Welt verzichten?

Mit solchen Sendungen hat unsere Zunft auf jeden Fall eine bessere Lobby bekommen. Aber es gibt durchaus Sendungen, die die Realität des Berufes nicht oder verzerrt darstellen. Einige Spitzenköche haben zu dieser Entwicklung aber auch selbst beigetragen.

Welche der bekannten deutschen oder internationalen Köche sind für Sie eine Art Vorbild in Bezug auf Authentizität und Qualität des Kochens?

Da gibt es einige. Allen voran Juan Amador und Tim Raue, Dieter und Jörg Müller, Sergio Herman, Marc Veyrat und Sven Elverfeld.

Welchen Traum als Koch würden Sie sich gern noch verwirklichen?

Ein absoluter Traum wäre, ohne Druck einfach so zu kochen, wie ich es möchte. Also ohne den wirtschaftlichen Zwang und frei aller Vorschriften.

Wie muss ein Restaurant aussehen und was muss es Ihnen bieten, um sich dort als Gast wohl zu fühlen?

Das Aussehen  ist für mich eigentlich zweitrangig. Wichtig sind für mich ein freundlicher Service und frische Küche. Vor allem möchte ich auch ungezwungen und mit Spaß essen und trinken. Und die Kleidung der Gäste sollte nicht abgehoben sein und einem gewissen Respekt vor dem Gastronomen und Koch ausstrahlen. Die Deutschen sind in dieser Beziehung allerdings meist Blender.

Was hat ein Koch wie Sie für Hobbys? Spielt Kulinarik für Sie auch in der Freizeit eine Rolle?

Man muss seinen Job leben. Der ist auch mein Hobby, und deshalb bin ich schon viel auf der Suche nach neuen Ideen und kulinarischen Anregungen.

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